Mit einer faktischen Ausladung verhindern EU-Staaten die Teilnahme des russischen Präsidenten an den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Damit bleibt der höchste Repräsentant desjenigen Landes, dessen Armee dem Massenmord in dem deutschen Vernichtungslager am 27. Januar 1945 ein Ende setzte, von der Gedenkveranstaltung ausgeschlossen. Anwesend sein wird hingegen der Präsident Deutschlands. Joachim Gauck hat schon seine Rede zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen genutzt, um massiv gegen Moskau Stimmung zu machen und das Gedenken an die NS-Verbrechen in einen Appell zum Schulterschluss gegen Russland zu transformieren.
In seinen Memoiren äußert Gauck über die Soldaten der Roten Armee, die Deutschland befreiten, sie seien Wesen „mit asiatischen Gesichtszügen“, die „nach Wodka“ gerochen sowie „requiriert und geklaut“ hätten. Vor wenigen Jahren hat er darüber hinaus beklagt, „das Geschehen des deutschen Judenmordes“ werde „in eine Einzigartigkeit überhöht“, weil „bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften“ nach einem „Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren“ suchten. 2010 wurde er mit der Äußerung zitiert, er „frage“ sich, „wie lange wir Deutschen unsere Kultur des Verdrusses noch pflegen wollen“.
„Gleich wie die Nazi-Truppen“
Die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz sind bereits im vergangenen Jahr Gegenstand politischer Machenschaften geworden. Zum 60. Jahrestag der Befreiung hatte der russische Präsident Wladimir Putin noch selbstverständlich an dem Gedenken teilgenommen: Es war schließlich die sowjetische Armee, die am 27. Januar 1945 – nach schwersten eigenen Kriegsverlusten – Auschwitz erreichte und dem bestialischen Morden der Deutschen dort ein Ende setzte. Im Sommer 2014 kam es zu den ersten öffentlichen Vorstößen in Polen; dort wurde ein Parlamentsabgeordneter mit den Worten zitiert, die Rote Armee sei im Zweiten Weltkrieg „Aggressor gewesen“, „gleich wie die Nazi-Truppen“, weshalb Russlands Präsident nur zu einem „Bußgang“ nach Polen kommen dürfe.[1] Meinte der polnische Präsident Bronisław Komorowski damals noch, Putins Teilnahme am Auschwitz-Gedenken stehe nichts entgegen, so haben sich nun antirussische Kräfte durchgesetzt und den Moskauer Präsidenten auf diplomatischem Wege ausgeladen. Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz hat sich zudem Berichten zufolge dafür stark gemacht, dass Putin auch an einer Parallel-Gedenkveranstaltung in Prag nicht teilnehmen kann. Damit wird der Präsident des Landes ausgeschlossen, dessen Armee alleine bei der Befreiung des Deutschen Reichs und der deutsch besetzten Teile Polens mehr als eine Million Todesopfer zu beklagen hatte.
Gegen Russland gewendet
Mit Putins faktischer Ausladung schreitet die antirussische Instrumentalisierung der Erinnerung an die deutschen Menschheitsverbrechen voran. Schon am 1. September 2014 hatte Bundespräsident Joachim Gauck seine Gedenkrede in Gdańsk zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen genutzt, um gegen Russland Stimmung zu machen. Gauck warf Moskau mit Blick auf den Konflikt um die Ukraine vor, „dem Machtstreben“ Vorrang vor der „Wahrung von Stabilität und Frieden“ einzuräumen. Die westliche Unterstützung für Umsturz und Bürgerkrieg in der Ukraine gänzlich ausblendend und zudem sämtliche westlichen Kriege von Jugoslawien über den Irak bis Libyen glatt ignorierend, unterstellte Gauck Russland, „internationales Recht [zu] brechen“ und „fremdes Territorium [zu] annektieren“.[2]
Auf die Billigung der deutschen Okkupation von Teilen der Tschechoslowakei durch Großbritannien und Frankreich im Oktober 1938 anspielend, erklärte Gauck, gegen Russland zielend: „Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern.“ Das Gedenken an die NS-Verbrechen war damit in einen Appell zum Schulterschluss gegen das einst von Deutschland überfallene Russland gewendet worden.
Eine „Kultur des Verdrusses“
Gauck, der – im Unterschied zu Russlands Präsident Putin – am 27. Januar nach Auschwitz reisen wird, hat sich vor seinem Amtsantritt als Bundespräsident mehrfach öffentlich über sein Bild von der Befreiung Deutschlands 1945 und über seine Ansichten zur Shoah geäußert. Über die Befreiung Deutschlands schrieb er in seinen Lebenserinnerungen, sie sei als „Schreckensnachricht“ gekommen; die Soldaten der Roten Armee nannte er Wesen „mit asiatischen Gesichtszügen“, die „nach Wodka“ gerochen, „requiriert und geklaut“ und systematisch Frauen vergewaltigt hätten.[3] 2006 hat Gauck bedauernd behauptet, es gebe „eine Tendenz der Entweltlichung des Holocausts“, die darin bestehe, dass „das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist“. „Bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften“ suchten beständig „nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren“; dieses könne auch durch „das absolute Böse“ ausgelöst werden und sei „paradoxerweise ein psychischer Gewinn“.[4] Gauck hat mehrfach geäußert, „die Deutschen“ täten gut daran, ihren Umgang mit der Vergangenheit zu ändern: „Ich frage mich, wie lange wir Deutschen unsere Kultur des Verdrusses noch pflegen wollen“, teilte er im Herbst 2010 mit.[5] Bereits zuvor hatte er auf die Frage, ob „die Mehrheit der Deutschen“ reif sei für eine „Hinwendung zu den eigenen Opfern, die Hinwendung zum Patriotischen“, bejahend erklärt: „So sehe ich das.“[6]
Grobe Raster
Vor Gaucks Amtsantritt waren in der deutschen Öffentlichkeit durchaus noch kritische Stimmen zu seiner Geschichtsauffassung zu hören. So hieß es etwa mit Blick auf Äußerungen des heutigen Bundespräsidenten in der deutschen Ausgabe des „Schwarzbuch des Kommunismus“, er neige „zu groben Rastern“.[7] Gauck hatte geschrieben: „Unbeliebt machten sich die Kommunisten auch, als sie … die Westverschiebung Polens und damit den Verlust der deutschen Ostgebiete guthießen.“ Und weiter: „Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten.“[8] Gauck hatte sich zudem im Streit um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ auf die Seite der damaligen BdV-Präsidentin Erika Steinbach geschlagen, die vor allem in Polen wegen revisionistischer Äußerungen scharf kritisiert wurde. Ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ sei in Berlin ganz gewiss am richtigen Platz, ließ sich Gauck auf einer Website des BdV zitieren: Dorthin passe es, denn in Berlin sei es „am Ort verschiedener ‚Topografien des Terrors‘, dem Ort der Wannseekonferenz und der Stasizentrale, dem einstigen Regierungssitz brauner und roter Despoten“.[9]
Jazenjuks „sowjetische Invasion“
Gaucks Auschwitz-Reise und die Ausladung Putins fallen in eine Zeit, in der Berlin, um in Kiew einen prowestlichen Umsturz durchzusetzen, offen mit faschistischen Nachfolgern einstiger NS-Kollaborateure zu kooperieren begonnen hat (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Deren antirussische Haltung ist inzwischen in die Kiewer Regierungspositionen eingegangen und findet zunehmend auch Anschluss an die deutsche Debatte, wo sie auf alte, ebenfalls antirussische Ressentiments trifft. Erst kürzlich hat ein Interview mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk im deutschen Fernsehen Aufsehen erregt. Jazenjuk behauptete wörtlich: „Wir können uns alle sehr gut an die sowjetische Invasion in der Ukraine und in Deutschland erinnern.“[11] Die Äußerung blieb unwidersprochen.
Verweise:
[1] Streit in Polen über Einladung Putins zu Auschwitz-Gedenken 2015. www.tt.com 09.05.2014.
[2] Gedenkfeier zum deutschen Überfall auf Polen 1939. www.bundespraesident.de 01.09.2014.
[3] Joachim Gauck: Winter im Sommer, Frühling im Herbst. München 2009. S. auch Hans-Rüdiger Minow: Der Zug der Erinnerung, die Deutsche Bahn und der Kampf gegen das Vergessen.
[4] Joachim Gauck: Welche Erinnerungen braucht Europa? www.robert-bosch-stiftung.de. S. dazu Der Konsenspräsident.
[5] „Mutige Politiker ziehe ich vor“. www.sueddeutsche.de 30.09.2010.
[6] Gauck: Erinnerung an Vertreibung leugnet nicht den Nazi-Terror. www.dradio.de 31.08.2006.
[7] Daniela Dahn: Gespalten statt versöhnt. www.sueddeutsche.de 10.06.2010.
[8] Stéphane Courtois et al.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. München 1998.
[9] www.z-g-v.de.
[10] S. dazu Vom Stigma befreit
[11] www.facebook.com/tagesschau/posts/10152968920374407
Quellen: dpa/german-foreign-policy.com vom 16.01.2015
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Sehr geehrte Redaktion,
vielen Dank für Ihren Artikel. Die verkürzte Form bei „german-foreign-policy“ hatte ich in meinem Bekanntenkreis verteilt, und das Thema hat mich zu weiteren Recherchen angeregt. Dabei bin auf folgenden Leserbrief gestoßen:
„Ich moechte darauf hinweisen, dass der ukrainische Ministerpräsident in der deutschen Uebersetzung sagte, dass sich die Ukrainer wie auch Deutsche noch gut an den ANMARSCH und nicht EINMARSCH der Sowjetischen Truppen erinnern koennen. Die russischen Medien haben dann das Wort “napal”=”einfallen” bzw “angreifen” daraus gemacht, was dann in den sozialen Netzwerken zu einem Sturm der Entruestung fuehrte. Zu Unrecht.“ (http://drwn.de/blog/2015/01/13/auschwitz-putin-nicht-willkommen/)
Ist die ganze Geschichte tatsächlich ein Missverständnis? Im Interesse der dringend notwendigen Deeskalation, halte ich diese Frage für nicht unerheblich, habe jedoch keine Möglichkeit, das selbst zu klären. Vielleicht können Sie weiterhelfen. Im Voraus vielen Dank.
Beste Grüße
Joachim Schappert