Währung der Todgeweihten: Die Konzentrationslager der Nazis hatten ihre eigene Währung. Papiergeld, das die SS drucken ließ – und das manchem KZ-Häftling das Leben rettete. Ein Buch beweist: Man konnte sich die Scheine verdienen und sie auch ausgeben – sogar im Bordell.
Die Häftlinge im KZ Oranienburg hüteten das Hakenkreuz wie einen Schatz. Sie trugen das Zeichen ihrer Peiniger immer bei sich, auf kleinen, gelb-braunen Zetteln, ganz nah am Körper. Manche schliefen sogar darauf.
Die Papierchen mit fettgedrucktem Hakenkreuz halfen, das Unerträgliche ein wenig besser auszuhalten: Sie waren das Geld, das die Nazis eigens für dieses Konzentrationslager drucken ließen. Jedes Detail der Scheine spiegelte die hoffnungslose Lage der Unterdrückten. Zwei Nazi-Schergen, die sich anblicken. Ein Band aus Stacheldraht. Darüber: Reichsadler und Hakenkreuz.
So aufwändig gestaltet war das Geld in keinem anderen KZ. Doch Zahlungsmittel – teils die Reichsmark, teils eigene Währungen – gab es in vielen Lagern und Ghettos. Und die Möglichkeit, sie auszugeben. In Lagerkantinen verkaufte die SS den Lagerinsassen überteuerte und oft minderwertige Ware.
Verfaultes Fleisch, käferartiges Meeresgetier, übersäuerter Rübensalat – so hatte der einstige KZ-Häftling Stanislav Zámecnik das Angebot der Kantine des Lagers Dachau in Erinnerung. Doch die Gefangenen kauften, was immer sie für ihre Scheine bekamen. Im Kampf gegen den Hungertod zählte jeder Bissen.
Die Kluft zwischen Reich und Arm hatte auch hinter den KZ-Mauern und Stacheldrahtzäunen Bestand. Wer etwas besaß, hatte mehr Waffen gegen den Tod. Und je mehr Geld ein Häftling hatte, „um so größer konnten seine Chancen auf Überleben sein“, so schreibt es der Numismatiker Hans-Ludwig Grabowski in seinem Buch Das Geld des Terrors.
(KZ-Wachen und Hakenkreuz: ein Schein über 50 Reichspfennig aus dem KZ Oranienburg)
Grabowski, Geldschein-Guru mit Vollbart und gemütlichem Thüringer Dialekt, schafft es immer wieder, der trockenen Wissenschaft aufregende Erkenntnisse abzutrotzen. Unlängst gehörte er zu jenem Gutachter-Team, das zehntausenden Nazi-Opfern zu einer Altersrente verhalf. Die Rentenversicherung hatte sie früheren Ghetto-Insassen mit dem Argument verweigert, sie hätten nur unbezahlte Zwangarbeit geleistet – und deshalb keinen Rentenanspruch erworben.
Denn das Geld, das die Nazis für viele Ghettos eigens drucken ließen, galt lange Zeit als wertloses Pseudogeld – auch unter angesehenen Drittes-Reich-Experten. Aber: Sie alle mussten sich von Grabowski eines Besseren belehren lassen. Er wies nach, dass die Ghetto-Währungen echte Zahlungsmittel waren – für die man etwas kaufen konnte. Offenbar hat sich keiner so tief in das Thema vergraben wie Hans-Ludwig Grabowski.
(Papier-Lohn: Prämienscheine wie diese erhielten Häftlinge des KZ Dachau für besondere Leistungen)
Erst wollte er nur eine Art Sammler-Katalog über das Lagergeld der Nazi-Zeit herausgeben. So sieht das Buch auch aus: Schein für Schein, Lager für Lager listet Grabowski die Zahlungsmittel auf, die die Nazis in Lagern kursieren ließen. Hunderte Scheine hat er aus Sammlungen zusammengetragen.
In den meisten KZ waren simpel gestaltete Papiermärkchen, sogenannte Prämienscheine, im Umlauf, die Häftlinge zu verstärktem Einsatz für die Kriegswirtschaft anspornen sollten. In den Ghettos vieler Städte, in denen die Juden eingepfercht wurden, war die Parallel-Währung so detailreich gestaltet wie offizielle Länderwährungen. Im polnischen Litzmannstadt bekam das Ghettogeld zum Schutz vor Fälschern ein Wasserzeichen (Internationale Allianz mit Hitler (Teil 2): IBM, BIZ, Chase – die Schweiz- und Frankreich-Connection (Video)).
Grabowskis Thema aber wuchs und wuchs. „Irgendwann wurde mir klar, dass sich der geschichtliche Kontext nicht ausklammern lässt“, erzählt der 49-Jährige. Er bettete das Lagergeld in historische Zusammenhänge ein.
Die Folge: Das Geld des Terrors wurde kein Sammlerkatalog, sondern ein Fachbuch, das ganz neues Wissen zur gut erforschten Holocaust-Geschichte beisteuert. Wie schon beim Gutachten stellte Grabowski das gängige Geschichtsbild auf den Kopf. Auch sein eigenes.
(Die deutsche Ghettoverwaltung bestätigt den Erhalt von 600 RM von einer deutschen Firma für den Juden Blausztajn)
Ging es um Geld, wurden die Peiniger pedantische Bürokraten
Wie viele Historiker hatte der Numismatiker geglaubt, dass die Nazis den KZ-Häftlingen ihr Geld einfach wegnahmen. „So war es aber nicht.“ In vielen Lagern mussten die Häftlinge ihr Geld zwar bei der Ankunft abgeben. Doch dann geschah etwas, das so gar nicht zur grausamen Willkür passen will, mit der die SS ihre Opfer sonst behandelte. Denn: Die Peiniger wurden zu pedantischen Bürokraten.
Statt das Geld dem Reichsvermögen gutzuschreiben oder es in die eigene Tasche zu stecken, legten sie für jeden Häftling eine Art Lagerkonto an. In diese „Geldkarteien“ trugen die Nazis fein säuberlich ein, wie viel Geld ein Häftling bei seiner Ankunft eingezahlt hatte, was Verwandten und Freunde ihm zur Unterstützung überwiesen. Selbst wenn ein Insasse starb, wurde sein Vermögen in der Regel nicht einfach einbehalten. „Die Lagerverwaltung schickte es zusammen mit seinen anderen Habseligkeiten an die Hinterbliebenen“, so Grabowski (Internationale Allianz mit Hitler und Nazi-Deutschland – Teil 1: Die USA Connection).
(Ghetto Theresienstadt, Quittung über 50 Kronen vom 1.1.1943, Vorderseite)
Doch die Nazis fanden andere Methoden, um ihren Opfern das Geld aus der Tasche zu ziehen. In den Lagerkantinen verkauften sie den Häftlingen nicht nur miserable Ware, sondern zum Teil auch völlig unbrauchbare. Der ehemalige Häftling Zámecnik berichtet in seinem Buch Das war Dachau davon, dass die Möglichkeit, Lebensmittel zu erwerben, häufig „an den Kauf unverkäuflicher oder unnützer Güter gebunden war, wie etwa Bakelitbecher oder sogar Puderdosen und Kämme (in einem Lager, in dem alle kahl geschoren waren)“.
Manchmal gab es fürs Geld gar keinen Gegenwert. So zwang man wohlhabende Häftlinge vor allem in den Anfangsjahren der Lager zu sogenannten „Spenden“, mit denen Bau-Projekte finanziert wurden (Die katholische Kirche und der Holocaust).
In Grabowskis Werk heißt es: „Der Lagerkommandant von Buchenwald, Karl Otto Koch, ließ sich z. B. aus ,Spenden‘ von Häftlingen in unmittelbarer Nähe des Todeszauns einen SS-Zoo mit Bärenzwinger errichten, der von den Familien führender SS-Männer als Freizeitbereich genutzt wurde.“
(Zwangsarbeit: Das undatierte Bild zeigt Dachauer KZ-Häftlinge. Sie stellten Waffen her – womöglich für KZ-Geld)
Ein Bordellbesuch kostete zwei, später nur eine Reichsmark
Die Insassen konnten in den Konzentrationslagern jedoch nicht nur Geld ausgeben. Die Nazis ließen ihre Zwangsarbeiter auch welches verdienen, um sie zu höherer Leistung anzutreiben. Je heftiger der Krieg tobte, desto wichtiger wurde die Arbeit der Häftlinge für die Rüstungsindustrie.
1943 führte die SS daher sogenannte Prämienscheine ein, als Belohnung für besonderen Eifer. Wer sein Pensum schneller erledigte als vorgeschrieben, bekam Gutscheine über bis zu vier Reichsmark pro Woche. Auch Firmen, die KZ-Insassen beschäftigten, konnten solche Prämienscheine von der SS kaufen, um sie an ihre Häftlings-Arbeiter weiterzugeben. Diese konnten dafür in der Lagerkantine – soweit vorhanden – Lebensmittel und Zigaretten kaufen.
Da jedoch nur wenige Waren zur Verfügung standen, setzte die SS auf Empfehlung ihres Reichsführers Heinrich Himmler andere Anreize. Sein Vorschlag: „Für notwendig halte ich allerdings, dass den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.“
(Hart arbeitende KZ-Häftlinge sollten Prämienscheine erhalten, mit denen sie in den Lagern Essen und Zigaretten kaufen konnten – oder Frauen)
Bei den Frauen handelte es sich meist ebenfalls um KZ-Häftlinge, denen vorgegaukelt wurde, sie würden nach einigen Monaten Liebesdienst in die Freiheit entlassen. Die Treffen fanden in „Sonderbauten“ statt, die längst nicht so schäbig waren wie die Häftlingsbaracken. Statt acht einfachen Pritschen stand in jedem Raum nur ein einzelnes Bett, vor den Fenstern hingen Gardinen. Manche Zimmer waren gar mit Blumen dekoriert.
(Ein Antragsschein für den Bordellbesuch im KZ Dachau)
Noch mehr Liebe zum Detail zeigten die Nazis bei der bürokratischen Abwicklung der Begegenungen. So waren beispielsweise Art und Höhe der Bezahlung strikt durchgeregelt und in Dienstvorschriften festgehalten. Bis Januar 1944 waren zwei Reichsmark in Prämienscheinen zu entrichten. Ab Februar kostete der Besuch nur noch eine Mark, wovon die „Insassin des Bordells“ 90 Reichspfennig und „der aufsichtsführende weibliche Häftling“ 10 Reichspfennig erhielten (Befreiung von Auschwitz: Verzerrung der Geschichte (Video)).
Auch bei der Entscheidung, wer ins Bordell gehen durften, bewies die SS Ordnungssinn. Der Besuch musste bei der Lagerleitung beantragt werden. Schriftlich, per vorgedrucktem Formular: Man bat „gehorsamst“, ins Bordell gehen zu dürfen.
(Ein Arzt untersuchte die Zwangsprostituierten regelmäßig auf Krankheiten. Auch hier hielt die SS alles akribisch fest. Die Abbildung zeigt einen Begleitzettel aus dem Lagerbordell Monowitz. Der SS-Arzt nahm an Frauen im Rahmen der „regelmäßigen Untersuchung des Bordells“ Muttermundabstriche vor)
Rezension: Das Geld des Terrors
Geld eignet sich hervorragend auch als Zwangsmittel – eine Eigenschaft, deren Darstellung in den einschlägigen geldtheoretischen Handbüchern allerdings nicht eben zum Standardrepertoire gehört. Daher bleibt zumeist unberücksichtigt, daß sich über die Schaffung von Sonderwährungsräumen eine weitestgehende Kontrolle über die Zahlvorgänge der Bevölkerung erreichen läßt. Je kleiner dieser Sonderwährungsraum ausfällt, desto umfassendere ökonomische Zwangsmöglichkeiten ergeben sich.
Die extremste Form eines solchen Geldregimes entsteht bei eingeschränkter oder gänzlich fehlender Konvertibilität der Sonderwährung. Den Betroffenen fehlt die Möglichkeit zu ökonomischer Interaktion mit der Außenwelt. Ein Verlassen des engen Währungsraums wird stark dadurch erschwert, daß man das dort verdiente Geld außerhalb von dessen Grenzen nicht verwenden kann und andernorts somit mittellos ist. Auf diese Weise wird das Geldsystem zu einem Werkzeug des Terrors und der Unterdrückung.
Um einen solchen Fall handelt es sich bei dem Geld, das in den Konzentrationslagern und Ghettos des „Dritten Reichs“ ausgegeben wurde. Eine umfassende Dokumentation dieser Münzen und Geldscheine fehlte bislang; Hans-Ludwig Grabowski legt sie mit dem aktuellen Buch vor. Darin werden die Ausgaben von 17 Konzentrationslagern und sechs Ghettos verzeichnet und in Farbabbildungen vorgelegt. Ob die Darbietungsform dieser monetären Zeugnisse von Tod und Verfolgung angemessen ist, läßt sich allerdings gewiß kontrovers diskutieren, denn zu allen Objekten finden sich in diesem Zusammenhang sehr profan erscheinende Angaben der Sammlerpreise (Holocaust: 16.000 verlorengegangene Dinge von Auschwitzopfern wiedergefunden (Video)).
Materialgrundlage des Bandes ist die herausragende, durch Ausstellungen und Dokumentationen weithin bekannte Sammlung von Wolfgang Haney. Der Berliner hat seit 1990 zunächst das Geld und zunehmend auch weitere Objekte zusammengestellt, die von den Konzentrationslagern und Ghettos zeugen. Darüber hinaus umfaßt die Sammlung zahlreiche antisemitische Postkarten und Plakate. Wesentliche Ergänzungen hat der Verfasser dazu aus den Archiven der Gedenkstätten zusammengetragen.
Aus diesem ebenso reichen wie verstörenden Materialschatz kann die opulente Bebilderung des Bandes schöpfen. Es sind gerade die Zeugnisse des Alltagslebens in den Konzentrationslagern und Ghettos, die in ihrer oberflächlichen Normalität erschüttern. Beispielhaft genannt seien nur ein Auszahlungsschein der Kantinenverwaltung Dachau über 1.400 Reichsmark für Prämienscheine, die im Herbst 1943 eingeführt wurden (S. 66), die Geldkartei eines Polnischen Häftlings, auf der zahlreiche Einträge von Prämien und Kantineneinkäufen notiert sind (S. 70), oder eine Raucherkarte der Häftlingskantine in Auschwitz (S. 96).
Grabowski geht auch auf die Funktion von Geld in den Lagern ein. Als Quelle dafür dient ihm unter anderem eine Disziplinar- und Strafordnung aus Dachau von 1933, die Vorbildcharakter für entsprechende Regelungen in anderen Konzentrationslagern hatte.
Darin wurde den Häftlingen unter anderem das Ansammeln von Geld verboten, während der Besitz von Bargeld bis zu einem bestimmten Betrag gestattet werden sollte (Die Holocaust-Industrie (Videos)).
Mit der Einführung der Prämienscheine im Jahr 1943 wollte man die Auszahlung von Bargeld unterbinden, andererseits sind Grabowski noch Kassenanweisungen für Geldanforderungen vom Sommer 1944 aus Dachau bekannt. Der Verfasser fordert mit Recht eine genauere Untersuchung dieser widersprüchlichen Angaben (S. 145-149).
Das bislang wenig erforschte Geld- und Zahlungssystem in den Konzentrationslagern bedarf dringend einer eingehenden Aufarbeitung.
Quellen: PublicDomain/merkur.de/hendrik.maekeler.eu am 29.05.2010
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