Das Gesetz kommt einem Enthüllungsverbot gleich und zerstört die Pressefreiheit: Alle internen Dokumente stehen in Zukunft als »Firmengeheimnis« unter Schutz. Journalisten dürfen nichts mehr daraus veröffentlichen. Nur noch unter strengsten Auflagen, sonst stehen sie schon mit einem Bein im Gefängnis. Brüssel verpasst auch den Whistleblowern einen Maulkorb. Was sie sagen, ist genauso Firmeneigentum. Niemand darf darüber berichten. In Zukunft bestimmen Juristen und Bürokraten, welche Skandale wir erfahren.
Eine neue EU-Regelung wird brisante Enthüllungen von Journalisten, Whistleblowern und Betriebsräten fast unmöglich machen. Offenbar soll sich in Europa nicht wiederholen, was die USA mit Edward Snowden erleben. Auch kein Lux-Leaks mehr, kein Swiss-Leaks. Das EU-Parlament stimmt über ein Gesetz ab, dass praktisch alle internen Dokumente automatisch zum »Unternehmensgeheimnis« macht. Sie stehen dann unter juristischem Schutz. Das bedeutet: Niemand darf daraus noch ungestraft öffentlich zitieren – oder nur unter strengsten Auflagen.
Auch Whistleblower fallen in Zukunft unter das »Unternehmensgeheimnis« und werden damit mundtot gemacht. Wer massive Missstände erlebt, wie es Snowden bei der NSA tat, kann das den Journalisten zwar immer noch erzählen. Die dürfen es aber nicht mehr veröffentlichen. Das berichtet das Nachrichtenmagazin Profil in seiner aktuellen Ausgabe.
Warum es in Zukunft keine Enthüllungen mehr in der Presse gibt
Das Gesetz lässt zwar eine Hintertür für Journalisten offen – die ist aber so wachsweich formuliert, dass sie eher zum Bumerang für die Medien wird. Die internen Dokumente könnten noch verwendet werden, falls sie einen »Missstand von öffentlichem Interesse« betreffen. Aber nur, wenn dieser Missstand ausschließlich durch Veröffentlichung von Unternehmensgeheimnissen aufgedeckt werden kann.
Praktisch bedeutet das: Jeder Journalist, der darüber schreibt, steht schon mit einem Bein im Gefängnis. Bevor er berichten darf, müssen zunächst Juristen prüfen. Sind die Unterlagen wirklich von »allgemeinem Interesse«? Kann der Missstand allein durch diese Dokumente aufgedeckt werden? Gibt es keine andere Möglichkeit? So etwas ist unmöglich zu beweisen. Es sei denn, man ist Hellseher.
Der investigative Journalismus erhält seinen Todesstoß
Deshalb fürchten Experten, dass diese Regel für Journalisten eher gegen sie verwendet wird. Artikel drei der EU-Richtlinie sagt:
»Die Veröffentlichung eines Unternehmensgeheimnisses [ist] dann ungesetzlich, wenn sie ohne Erlaubnis des Unternehmens und durch eine Person, die das Geheimnis illegal erwirbt oder durch eine Vertrauensvereinbarung gebunden ist, erfolgt.«
Die Journalisten machen sich also so oder so strafbar: Sie können ja gar nicht wissen, unter welchen Umständen der Whistleblower seine Informationen besorgt hat. Legal oder illegal? Das ist genauso unmöglich, wie vorher zu beweisen, dass hinterher der Missstand nicht anders aufzuklären war. Viele werden eingeschüchtert resignieren.
Der investigative Journalismus erhält seinen Todesstoß. Keine Zeitung, kein Nachrichtenmagazin, kein Fernsehsender lässt sich noch auf die Enthüllung brisanter Dokumente ein. Etwa über fragliche Steuerkonstruktionen von Konzernen wie zuletzt bei Swiss-Leaks. Sie müssen in Zukunft mit millionenschweren Klagen rechnen.
Ein Freibrief, um jeden zu verklagen, der interne Infos weitergibt
Der Maulkorb aus Brüssel betrifft aber nicht nur Journalisten und Whistleblower. Sogar ein Betriebsrat darf die Belegschaft nicht über geplante Personalkürzungen informieren. Auch das ist jetzt ein Firmengeheimnis. De facto darf über nichts mehr berichtet werden, was eine Behörde, ein Amt, ein Geheimdienst oder ein Konzern nicht will.
Sie erhalten aus Brüssel einen Freibrief, mit dem sie jeden verklagen können, der interne Infos weitergibt. Das passiert gerade Antoine Deltour. Der 28-jährige Buchhalter arbeitete bei Price Waterhouse Coopers (PWC) und deckte in der Luxemburger Firmenzentrale steuerschonende Praktiken von globalen Konzernen auf. Darunter die Deutsche Bank, Amazon, Fiat und Disney.
Seine Enthüllungen sorgten europaweit für Furore unter dem Namen Lux-Leaks. Jetzt verklagt ihn sein früherer Arbeitgeber wegen Diebstahls und Verrats von Unternehmensgeheimnissen. Ihm drohen bis zu fünf Jahren Haft und ein Bußgeld in Höhe von einer Million Euro.
Konzerne wollen ihre eigenen Missstände natürlich nicht aufdecken
Die Arbeit von Journalisten und Whistleblowern ist also ohnehin schon riskant, aber allein sie haben bisher überhaupt enthüllt.
Jetzt macht man es ihnen fast unmöglich. Natürlich haben Konzerne wie Price Waterhouse Coopers kein Interesse daran, ihre eigenen Missstände aufzudecken. Wie soll die Öffentlichkeit also jetzt noch davon erfahren?
Die EU-Kommission sieht hier offenbar keine Probleme. In einem Änderungsantrag heißt es: »Die Informationsfreiheit, die Meinungsfreiheit sowie die Pluralität der Medien sollten durch diese Richtlinie nicht eingeschränkt werden.«
Die Richtlinie greife nicht in nationales Strafrecht, betont die Kommission. Es gehe darum, die nationalen Richtlinien für Verletzungen von Firmengeheimnissen zu harmonisieren.
Konzerne manipulierten die EU über Lobbyarbeit
Dahinter steht aber nicht die EU. Sie setzt nur die Wünsche anderer um, die sich teure Lobbyarbeit in Brüssel leisten können. Unter dem Dach der PR-Agentur Hill & Knowlton haben Konzerne wie Intel, Alston, DuPont, Michelin, General Electric und Nestlé (Nestlés Spionage und Kooperation mit Militär) den Hammer aus Brüssel gefordert.
Bei ihren wahren Absichten zeigen sie sich zur Abwechslung erstaunlich offen: »Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung.«
Mit dieser Richtlinie, die gegen Produktpiraterie gedacht war, bekommen sie einen unbezahlbaren Bonus obendrauf. Ein Maulkorb für die Öffentlichkeit, eine Breitseite gegen die Pressefreiheit. In Zukunft halten sie nicht nur ihre Patente, sondern auch schmutzige Geheimnisse unter Verschluss.
Literatur:
Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse von Uwe Krüger
Journalisten von Udo Ulfkotte
Wenn das die Deutschen wüssten…: …dann hätten wir morgen eine (R)evolution! von Daniel Prinz
Quellen: PublicDomain/info.kopp-verlag.de vom 01.04.2015
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