Vom Westen aufgerüstet: Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuks Regierung treibt die Aufrüstung des Landes derzeit mit aller Macht voran. Schon im Dezember hatte Staatspräsident Petro Poroschenko mehrere Dutzend Panzer und weiteres Kriegsgerät offiziell an die Armee übergeben. Am Montag hat er den Militärs laut ukrainischen Angaben Sturmgewehre, Mörser, Haubitzen und Schützenpanzer sowie vier Kampfflieger (MiG-29 und Su-27) ausgehändigt und dazu in einer Rede triumphierend erklärt: „So nutzen wir den sogenannten Waffenstillstand.“[1]
Laut Poroschenko entstammt das Kriegsgerät ukrainischer Produktion oder ist von Reparaturwerkstätten im Land instand gesetzt worden. Beobachter schließen jedoch nicht aus, dass ein Teil davon von NATO-Staaten geliefert wurde. Ukrainische Militärsprecher werden in der Tat mit der Aussage zitiert, Litauen und eventuell auch Polen hätten ihr Versprechen gemacht, Kiew bei seiner Aufrüstung zu unterstützen.[2] Kanada liefere „nicht-tödliche Ausrüstung“, heißt es zudem; unter anderem ist von Winteruniformen die Rede.[3] Im Dezember hat darüber hinaus US-Präsident Barack Obama den sogenannten Ukraine Freedom Support Act unterzeichnet, der ausdrücklich die Lieferung „defensiver“ Waffen erlaubt. Berlin hat bereits Anfang September bestätigt, mehrere Anträge auf die Ausfuhr von „Schutzausrüstung“ und Sanitätsmaterial aus Deutschland in die Ukraine seien „mit positivem Ergebnis abgeschlossen“ worden.[4] Die Lieferung „nicht-tödlicher Ausrüstung“ erlaubt es, Kritik wegen der Unterstützung einer Kriegspartei abzuschwächen; sie ermöglicht es dieser Kriegspartei jedoch zugleich, sich mit ganzer Energie auf die Beschaffung tödlicher Waffen zu konzentrieren.
Warlords
Während die Kiewer Kriegsvorbereitungen von einer Reihe von NATO-Staaten aktiv mitgetragen werden, beginnen inzwischen sogar transatlantische Unterstützer des Umsturzes vom Februar 2014 vor den gesellschaftlichen Folgen des Krieges zu warnen. So räumt Adrian Karatnycky, „Senior Fellow“ des US-Think-Tanks „Atlantic Council“, in einem Beitrag in der einflussreichen „Washington Post“ ein, in der Ukraine gewännen mittlerweile „Warlords“ immer mehr Macht. Karatnycky selbst hat von 1993 bis 2004 als Präsident der US-Organisation „Freedom House“ prowestliche Spektren („Demokratiebewegungen“) in Jugoslawien, Belarus, Russland und der Ukraine unterstützt. Nun stellt er fest, einige Freiwilligenverbände, die in der Ostukraine kämpften, und einige sie finanzierende Oligarchen gerieten außer Kontrolle.
Es handelt sich um Verbände wie das faschistische „Bataillon Asow“, vor denen Kritiker bereits im Sommer 2014 warnten (german-foreign-policy.com berichtete [5]), und um Milliardäre wie Ihor Kolomojskij, die schon lange für ihre Willkür berüchtigt sind [6]. Wie Karatnycky feststellt, entzögen sie sich zunehmend den Befehlen der ukrainischen Regierung. Einige Bataillone drohten immer wieder, auf Kiew zu marschieren, sollte es Präsident Poroschenko nicht gelingen, die Ostukraine zu erobern. Kolomojskij widersetze sich ebenfalls den Anordnungen aus der Hauptstadt. Die „offene Missachtung von Befehlssträngen, Gesetzlosigkeit und kriminelle Machenschaften“ seien eine ernste „Bedrohung für die Stabilität der Ukraine“, schreibt Karatnycky.[7] Auf diese Gefahr wiesen Kritiker freilich schon im Frühjahr 2014 hin, als Karatnycky die Entwicklung der Ukraine noch lobte.
Teil der „Weißen Rasse“
Tatsächlich hat in besonderem Maße Ministerpräsident Jazenjuk zur Stärkung der faschistischen Bataillone beigetragen. So hat er den Führer des „Bataillons Asow“ in die Strukturen seiner Partei integriert; der Mann ist zugleich Führer der faschistischen Bündnisorganisation „Sozial-Nationale Versammlung“, die die „ukrainische Nation“ als Teil einer „Weißen Rasse“ preist und ihre Politik explizit auf „nationalen und rassischen Egoismus“ gründet (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Über Jazenjuks Parteiliste ist eine frühere Pressesprecherin der faschistischen Partei UNA-UNSO ins Parlament gelangt, die sich ebenfalls dem „Bataillon Asow“ angeschlossen hat.[9] Über den ukrainischen Innenminister Arsen Awakow, einen engen Parteigänger von Jazenjuk, heißt es, zu seiner Zeit als Gouverneur von Charkiw habe zumindest einer seiner Geschäftspartner enge Kontakte zu faschistischen Gewalttätern unterhalten, die noch vor wenigen Jahren als Schutztrupp bei Protestaktionen des „Blok Julija Timoschenko“ eingesetzt wurden; Regionalvorsitzender des „Blok“ war damals Arsen Awakow. „Seit Awakow das Innenministerium leitet, hat die Polizei in Kiew eine Reihe von sogenannten hate crimes, also Verbrechen aus Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen“ – genannt werden Menschen mit dunkler Hautfarbe, Juden sowie Schwule – „nicht aufklären können oder wollen“, räumt selbst ein glühender Unterstützer der Majdan-Proteste ein.[10]
Die freie Ukraine
Wie Jazenjuks Regierung die nationalistischen Aufwallungen in der Ukraine immer weiter anheizt, zeigen aktuelle Auseinandersetzungen um den Fernsehsender „Inter“. „Inter“ hatte in seiner Neujahrssendung Schlagersänger auftreten lassen, die der politischen Linie der Regierung nicht folgen und mehrfach offen ihre Zustimmung zu Positionen Russlands oder der ostukrainischen Aufständischen gezeigt hatten. Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, Alexander Turtschinow, forderte daraufhin, dem TV-Sender die Lizenz zu entziehen. Turtschinow gehört Jazenjuks Partei „Volksfront“ an. Der ukrainische Fernseh- und Rundfunkrat soll nun in der kommenden Woche über den Vorschlag entscheiden. Am Wochenende haben rund zwanzig vermummte Gewalttäter das Kiewer „Inter“-Studio überfallen. „Übergriffe auf Journalisten sind in der Ukraine keine Seltenheit“, heißt es in einem Bericht; dabei treffe es besonders häufig russische Korrespondenten: „Unter den acht 2014 in der Ukraine ums Leben gekommenen Journalisten sind fünf russische Staatsbürger.“[11]
Kreditgarantien
Für seine Politik hat Jazenjuk, der im Februar 2014 mit massiver deutscher Unterstützung in Kiew an die Macht gekommen ist, in Berlin nun neue Unterstützung erhalten: Im Wirtschaftsministerium ist bereits gestern eine politische Vereinbarung über Kreditgarantien in Höhe von einer halben Milliarde Euro unterzeichnet worden. Die Bundesregierung bemüht sich zwar kontinuierlich darum, die „Minsker Gespräche“ über eine politische Beilegung des Konflikts weiterzuführen, fühlt sich jedoch verpflichtet, der prowestlichen Regierung unter Jazenjuk auch weiterhin den Rücken zu stärken – selbst auf die Gefahr hin, dass die Ukraine in der Tat in eine Phase einer weiteren „Warlordisierung“ übergeht und im Bürgerkrieg versinkt.
Verweise: