Das von Justizminister Maas eilig eingebrachte Netzwerkdurchsetzungsgesetz steht weiterhin massiv in der Kritik von Digitalverbänden, Bürgerrechtsorganisationen und Juristen. Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung warnt vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Die Kritik am so genannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ebbt nicht ab. Der Justiziar des Heise-Verlags sieht in dem Gesetzentwurf einen „Frontalangriff auf das Vertrauen im Internet“. Die Youtube-Chefin warnt davor, dass als Kollateralschaden „legitime Stimmen unterdrückt werden könnten“. (Internet: Youtuber brauchen in Zukunft Rundfunklizenz (Videos))
Auch Digitalverbände, Bürgerrechtsorganisationen und Juristen kritisieren den Gesetzentwurf auf unterschiedlichen Ebenen. Das Justizministerium hatte eine verschärfte Version noch vor Ablauf der Verbändeanhörung bei der EU zur Notifizierung eingereicht.
Der Verband der Internetwirtschaft eco wundert sich, dass in der aktuellen Fassung Straftatbestände aufgenommen wurden, die nichts mit Hate Speech und Fake News zu haben und bei denen „bis jetzt keine Kritik an der Rechtsdurchsetzung bei eben diesen geäußert wurde, wie auch der aktuelle Löschbericht der Bundesregierung unterstreicht“.
Der Digitalverband Bitkom warnt in einer Pressemitteilung davor, ohne eine sorgfältige fachliche Prüfung und intensive parlamentarische Beratung im Hauruck-Verfahren gesetzlich gegen Hassreden und andere Hasskriminalität im Internet vorgehen zu wollen.
Die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) hat eine Stellungnahme abgegeben und bemängelt einen „Zeitplan, der für ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren in einem grundrechtssensiblen Bereich wie vorliegend nicht einzuhalten ist.“ Dem vorliegenden Entwurf eines NetzDG stünden auch in der geänderten Fassung schwerwiegende europarechtliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Einwände entgegen (Zwischen Realität und Glaubenssysteme: Die Wahrheit ist irgendwo da draußen oder wie wenige die Meinungen bestimmen).
„Rechtliches Gehör bleibt auf der Strecke“
So seien mit der umfangreichen Pflichtenübertragung auf die Anbieter sozialer Netzwerke zugleich weitere, verfassungsrechtliche Probleme verbunden, die mit dem Begriff „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“ treffend umschrieben seien. Weiter heißt es:
Mit dieser Übertragung von (Staats-)Aufgaben auf private Instanzen incentiviert der Referentenentwurf für den Dienstanbieter, Inhalte auf eine Meldung hin ohne Prüfung zu sperren. Denn warum sollte sich ein privates Unternehmen dem Risiko eines Bußgeldes aussetzen?
Umgekehrt wird damit zugleich für den vermeintlich Betroffenen ein starker Anreiz gesetzt, gegen den Anbieter sozialer Netzwerke auch dann vorzugehen, wenn ihm der sich Äußernde bekannt ist, da er hier in kurzen Fristen und ohne rechtliches und finanzielles Risiko sein Ziel ohne eine langwierige und schwierige Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang erreichen kann.
Das rechtliche Gehör des sich Äußernden bleibt dabei auf der Strecke.
Im geplanten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch sieht die DGRI einen Einschüchterungseffekt:
Dem Auskunftsanspruch […] stehen wesentliche Rechtsgrundsätze entgegen: Nach [Telemediengesetz] sollen Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Diese Norm ist eine Konkretisierung des Datenvermeidungsgebots und Ausfluss des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Nutzer.
Darüber hinaus wäre eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, nicht mit [der Meinungs- und Informationsfreiheit im Grundgesetz] vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern.
Digitale Gesellschaft: „Auskunftsbefugnis birgt Missbrauchsrisiken“
Auch die Digitale Gesellschaft hat eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie kritisiert, dass die Erweiterung des vom NetzDG erfassten rechtswidrigen Inhalte deutlich über die ursprüngliche Zielsetzung hinausgehe, nämlich den Schutz des öffentlichen Diskurses in sozialen Netzwerken. Dafür gebe es weder einen konkreten Anlass noch einen nachvollziehbaren Grund.
Für besonders schädlich hält die Digitale Gesellschaft die enthaltene Änderung des Telemediengesetzes (TMG):
Die danach vorgesehene Einführung einer Auskunftsbefugnis für die Betreiber von Telemediendiensten zum Zwecke der Durchsetzung absoluter Rechte würde es Privatpersonen erlauben, unter dem Vorwand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Zugriff auf die Bestands- und Nutzungsdaten Dritter zu erhalten. Eine solche Regelung birgt enorme Missbrauchsrisiken und könnte dazu eingesetzt werden, um unliebsame Kritiker oder politische Gegner aufzudecken und einzuschüchtern.
Auch sei dieses Auskunftsrecht geeignet, dass Online-Stalker die Bestandsdaten ihrer Opfer bei den Telemediendienstanbietern abfragen könnten.
Der schwerwiegendste Fehler des Gesetzes sei in diesem Zusammenhang jedoch die „Auslagerung juristischer Prüfungsverantwortung auf die Betreiber sozialer Netzwerke“:
Die Beurteilung eines Inhalts oder einer Äußerung als strafbar obliegt in einem demokratischen Rechtsstaat den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden. Die Mitarbeiter bei sozialen Netzwerken und anderen Online-Diensten dürften mit derartigen Prüfungen in der Regel überfordert sein. Dies gilt umso mehr, als dass insbesondere die geplante Auskunftsbefugnis im TMG für sämtliche Diensteanbieter und nicht nur für soziale Netzwerke mit mindestens 2 Millionen Nutzern im Inland gelten soll.
Eine derart breitflächige Privatisierung der Rechtsdurchsetzung unterminiert rechtsstaatliche Garantien und geht im Ergebnis zu Lasten der Grundrechte. In beiden nun vorliegenden Entwurfsfassungen würde das NetzDG öffentliche Diskursräume im Netz daher deutlich mehr schaden als nützen. (Fake News-Zensur: Nur alternative Medien im Visier – Correctiv verstrickt sich in Widersprüche)
Amadeu-Antonio-Stiftung: „Einschränkung der Meinungsfreiheit“
Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Teil der Task Force gegen Hate Speech des Justizministeriums ist, kritisiert das Gesetz in ihrer Stellungnahme. Die Löschfrist von 24 Stunden sei kein Beitrag zur qualitativen Verbesserung der Behandlung von Hate Speech seitens der Betreiber und führe zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit (Stasi-Vergangenheit von Chefin der Amadeu Antonio Stiftung sorgt für Kritik):
Eine sorgfältige Prüfung ist innerhalb solcher Fristen nicht möglich. Im Zweifelsfall werden Betreiber also Inhalte eher löschen; dies hat damit eine faktische Einschränkung der Meinungsfreiheit zur Konsequenz. Derlei Einschränkungen sind auf Grund des hohen Gutes, das die Meinungsäußerungsfreiheit für unsere demokratische Wertgemeinschaft hat, abzulehnen. Dies ist weder im Sinne einer zu fördernden Diskussionskultur noch ein hilfreicher Beitrag zur Lösung des Problems Hate Speech.
Die Stiftung sieht deswegen auch Probleme einer privatisierten Rechtsdurchsetzung:
Das NetzDG in dieser Form würde die Betreiber verpflichten, ein erweitertes Exekutivorgan zu werden, und die Rechtsdurchsetzung damit teilweise in private Hand geben. Rechtsprechung und -durchsetzung müssen jedoch staatliche Aufgabe bleiben und bedürfen sorgfältiger Prüfung.
Der Gesetzentwurf sei einseitig, es bedürfe einer Staatsanwaltschaft mit dem Schwerpunkt digitale Hasskriminalität sowie umfassender Sensibilisierung und Fortbildung im Polizei- und Justizapparat zum Erkennen von Hasskriminalität und digitaler Gewalt.
Die Einführung einer Kontaktstelle bei den sozialen Netzwerken und eine wirksame Strafverfolgung hatte jüngst auch Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, in einem Beitrag in der Legal Tribune Online gefordert.
Diametral gegen Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie
Neben den zahlreichen verfassungsrechtlichen und grundrechtlichen Fragestellungen, scheint der Gesetzentwurf auch europarechtlich Probleme zu machen. Thomas Hoeren, Professor an der Universität Münster, stellt in einem Blogbeitrag fest, „dass eine substantielle Auseinandersetzung mit den europarechtlichen Vorgaben im Bereich der ‚Dienste der Informationsgesellschaft‘ nicht stattgefunden hat“.
Zudem seien wesentliche Aussagen der E-Commerce-Richtlinie verkannt worden. So laufe der Entwurf in der derzeitigen Fassung der Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie, eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu verhindern, diametral entgegen.
Literatur:
Big Data: Büchse der Pandora von Martin Malirsch
Sie wissen alles: Wie Big Data in unser Leben eindringt und warum wir um unsere Freiheit kämpfen müssen von Yvonne Hofstetter
Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte von Juli Zeh
Das Ende der Demokratie: Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt von Yvonne Hofstetter
…
Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 3.0.
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/
Quellen: PublicDomain/netzpolitik.org am 31.03.2017
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