Müssen sich immer mehr Menschen das triste Sklaven-Dasein im Hamsterrad durch die legale Droge Alkohol schön trinken?
Mit der Anzahl der wöchentlichen Arbeitsstunden steigt die Vorliebe für Wein, Bier und Schnaps. Laut einer internationalen Analyse mit Hunderttausenden Teilnehmern konsumieren Vielarbeiter häufig gefährlich viel Alkohol.
Ein langer Arbeitstag endet oft mit dem Gefühl, wie in Trance durch die Welt zu wandeln. Das klingelnde Telefon schallt im Kopf nach, die Gedanken wandern zum wichtigen Gespräch am Vormittag. Waren alle Entscheidungen richtig? Um aus dem Kokon auszubrechen und sich von der Arbeit möglichst schnell Privatem zuzuwenden, setzen viele auf die Wirkung von Alkohol. Das bestätigt jetzt eine große internationale Analyse.
Laut den Ergebnissen neigen Menschen mit einem Arbeitspensum von mindestens 49 Stunden pro Woche eher dazu, so viel Alkohol zu konsumieren, dass Leber, Herz und Psyche Schaden nehmen können. Bei Frauen setzten die Forscher diese Grenze bei mehr als 14 Drinks pro Woche, bei Männern bei mehr als 21 Drinks pro Woche an, wobei ein kleiner Schnaps, ein kleines Bier oder ein Achtel Wein als Drink galt.
Die Metaanalyse unterstütze einen seit Langem gehegten Verdacht, schreibt Cassandra Okechukwu von der Harvard School of Public Health im Editorial des „British Medical Journal„: Dass Menschen mit hohem Arbeitspensum Alkohol als schnelles und effektives Mittel gegen die Ärgernisse des Jobs ansehen – und damit als Übergangshelfer in den Feierabend.
Daten: 61 Studien, 333.693 Teilnehmer, 14 Länder
Um der Frage nach dem Zusammenhang von Alkoholkonsum und Arbeitszeiten nachzugehen, suchten 44 Wissenschaftler aus verschiedensten Ländern nach veröffentlichten und unveröffentlichten Daten zu dem Thema. Die Forscher analysierten zwei verschiedene Datensätze:
- Einmal die Daten von 61 Studien mit insgesamt 333.693 Teilnehmern aus 14 Ländern, bei denen eine Art Bestandsaufnahme des Ist-Zustands gemacht worden war: Wie viel arbeiten Sie? Und wie viel trinken Sie?
- Hinzu kamen die Daten von 20 sogenannten prospektiven Studien mit insgesamt 100.602 Teilnehmern aus neun Ländern, darunter auch Deutschland. Hier hatten die Teilnehmer anfangs normale Trinkgewohnheiten und die Forscher beobachteten, wie sich dies abhängig von den Arbeitszeiten änderte: Fangen Menschen, die viel arbeiten, eher an, zu viel zu trinken?
Egal, wie die Untersuchungen aufgebaut waren, das Ergebnis war immer ähnlich: In den Gruppen der Vielarbeiter gab es mehr riskante Alkoholtrinker, oder es entwickelten sich mehr Teilnehmer zu riskanten Alkoholtrinkern. Die Grenze zum Workaholic lag dabei jeweils bei etwa 50 Arbeitsstunden pro Woche. Verglichen zu den Menschen mit durchschnittlichen Arbeitszeiten von 35 bis 40 Stunden lag der Anteil der problematischen Alkoholtrinker bei den Vielarbeitern immer um 11 bis 13 Prozent höher, schreiben die Forscher um Marianna Virtanen vom Finnish Institute of Occupational Health im „British Medical Journal“.
Kein reines Managerproblem
Zwar konnten die Forscher in den Untersuchungen nicht nachweisen, dass das viele Arbeiten direkt zum vermehrten Alkoholkonsum führte und nicht etwa eine andere Gemeinsamkeit der Vieltrinker. Das Ergebnis war jedoch unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft und auch vom sozialen Umfeld der Studienteilnehmer – das Alkoholtrinken unter den Vielarbeitern war kein reines Managerproblem.
Bei Menschen mit einem hohen sozioökonomischen Status seien lange Arbeitszeiten zwar gewöhnlich, hochausgebildete Manager und Fachpersonal erwarteten dieses Engagement von sich und anderen, schreiben die Forscher. Daneben gebe es jedoch Menschen, die aufgrund finanzieller Nöte unfreiwillig längere Arbeitszeiten absolvierten, schreiben die Wissenschaftler. „Es ist möglich, dass freiwillige und unfreiwillige Überstunden viel ausgeglichener über die sozioökonomischen Gruppen verteilt sind, als bislang gedacht“, schließen die Forscher aus den Ergebnissen.
In den prospektiven Studien entwickelten im Schnitt 6,3 Prozent der Teilnehmer ein riskantes Verhältnis zu Alkohol – unterm Strich waren in der Gruppe der Vielarbeiter 0,8 Prozent mehr Teilnehmer betroffen als in der Gruppe der Normalarbeiter. Diese Zahl könne auf den ersten Blick unbedeutend wirken, schreibt Okechukwu im begleitenden Editorial. Der Unterschied betreffe jedoch alleine unter den gut 100.000 Teilnehmern der prospektiven Studien mehr als 600 Menschen.
„Wenn der Zusammenhang kausal ist, lässt sich das in den 14 Ländern, welche die Studie repräsentiert, auf zwei Millionen Menschen der Arbeitsbevölkerung übertragen, die ein riskantes Alkoholverhalten entwickeln“, schreibt Okechukwu. Lange Arbeitszeiten könne man als Risikofaktor für vermeidbare Krankheitsfälle nicht ignorieren.
Lesen Sie hier mehr über den Sauf-Weltmeister Deutschland.
Quellen: PRAVDA TV/SpiegelOnline/dpa vom 15.01.2015
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