Alleinerziehend und Hartz IV: Alltagskampf bis zur Erschöpfung

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90 Prozent aller Alleinerziehenden sind weiblich, viele von ihnen auf Hartz IV angewiesen. Im Zuge der Agenda 2010 hat sich für viele von ihnen die Situation verschärft – gefordert wird viel, vom Fördern ist nicht viel übrig geblieben. Doch das Jobcenter ist nicht das einzige, gegen das sie Tag für Tag ankämpfen müssen.

Der kleine Ben kommt nach Hause. Seine Oma hat ihn im Kindergarten abgeholt. Jetzt stürmt der Dreijährige die Treppe hoch zu seiner Mutter.

Der Kindergarten öffnet morgens um sechs und schließt nachmittags um fünf – die Arbeitszeiten von Kristin Böhme sind damit nur teilweise abgedeckt. Denn sie arbeitet als Krankenschwester im Schichtdienst. Und sie ist alleinerziehend – ohne die Unterstützung der Oma ginge gar nichts. Glück hatte sie auch, eine halbe Stelle zu bekommen, denn gesucht hatte die Personalabteilung des Krankenhauses eigentlich 100 Prozent-Kräfte.

„Und ich habe dann angeboten, vorwiegend Nachtdienste zu machen, weil das meistens die ungeliebten Dienste sind. Weil ich nicht davon ausgehen kann, hey, ich bin Mutter, ich bin alleinerziehend, ich will vorwiegend Frühdienste haben. Das finde ich unfair, weil die anderen Kollegen haben auch ihre sozialen Verpflichtungen.“

Mindestens eine Woche im Monat muss die Oma bei ihrem Enkel übernachten, damit Kristin Böhme in der Nachtschicht arbeiten kann. Sie selbst schläft vormittags, wenn der Kleine im Kindergarten ist. Und kann dann den ganzen Nachmittag für ihr Kind da sein – das ist ihr sehr wichtig. Meistens geht es raus ins Grüne, auf einen Spielplatz oder zum Mutter-und-Kind-Turnen.

„Trotzdem, dieses Familienbild, Vater, Mutter, Kinder. Wir sind eine Familie. Man strebt ja schon danach und es war sehr schwer für mich, zu akzeptieren, wir sind in dieser Situation alleinerziehend, also alleine. Wirklich sehr lange sehr schwierig, das zu akzeptieren.“

Kristin Böhme ist eine offene und selbstbewusste Frau. Sie heißt anders, aber im Radio möchte sie nicht mit ihrem richtigen Namen erscheinen. Die 33-Jährige wirkt schmal, aber sportlich. Eigentlich hatte Böhme ganz andere Pläne. Sie wollte sich eine Auszeit nehmen und längere Zeit durch Südamerika reisen. Dafür hatte sie lange gespart und schließlich ihren Job im Krankenhaus gekündigt. Doch dann wurde Kristin Böhme ungeplant schwanger. Die Beziehung mit dem Vater ging schon vor der Geburt des Kindes in die Brüche. Am Ende stand Böhme alleine da, mit einem Kind und ohne Job.

Willkür der Bürokratie

„Also, das war eine Erfahrung, ich wünsche das keinem. Das geht so schnell, das war alles nicht geplant gewesen. Um Himmels willen, ein Kind in die Welt zu setzen und Hartz-IV-abhängig zu sein, alleinerziehend zu sein! Sowas, das war für mich das Unding! Und da bin ich ja nun so wirklich plötzlich hingefallen und auch runtergefallen. Und ich dachte, was hast du denn jetzt falsch gemacht? Wo war jetzt der Fehler gewesen? Weil ich meinen Job gekündigt habe und mir eine Auszeit genommen habe?“

Als das Kind auf der Welt ist, bleibt Kristin Böhme nichts anderes übrig, als Hartz IV zu beantragen. Vier Monate lang bezieht sie Leistungen vom Jobcenter – die schlimmsten Monate ihres Lebens, sagt sie. Böhme, die immer für sich selbst gesorgt hat, erlebt die Willkür der Bürokratie. Sie ist überrascht über die Ablehnung, auf die sie als junge Mutter hier stößt:

„Wenn man kein Kind hat, ist alles ganz einfach. Dann bewerbe ich mich, ziehe um, habe einen Job, finde eine Wohnung, fertig. Aber mit Kind ist das alles anders. Und ich fand das so schlimm, dass ein Kind so ein Klotz wird. Nicht für mich, ich habe das nie so empfunden, aber für die Gesellschaft. Auf einmal hat man ein Kind, und eigentlich sollte das was Gutes für die Gesellschaft sein. Dabei ist das nicht so. Dabei ist es wirklich so, man ist der Klotz.“

Böhme sucht sich eine kleine Wohnung, 38 Quadratmeter müssen für sie und das Kind reichen. Das Jobcenter soll die Miete übernehmen. Doch dann kommt ein Brief von der Wohnungsbaugenossenschaft, bei der sich mehrere Monate Mietschulden angehäuft haben. Dass das Amt die Zahlungen eigentlich zugesagt hatte, interessiert den Vermieter wenig.

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„Ich weiß noch, als das mit den Mietschulden war, und kein Geld auf dem Konto war. Ich bin wirklich verzweifelt gewesen und hab so gedacht. Also, das sind jetzt wirklich so Momente als Mutter, man hat ja auch dem Kind gegenüber eine Verantwortung, wo man echt in eine Situation kommt, was macht man denn als nächstes, wenn kein Geld rein-kommt? Also, da kommen einem die wildesten Ideen in den Kopf. Also, das hat mich einfach fertig gemacht gehabt. Im Nachhinein denke ich, ich hätte mich nicht so unterbuttern lassen müssen, aber man wird mit jedem Mal ein bisschen kleiner geschraubt, ne.“

Kristin Böhme blättert in den Briefen und Bescheiden, die sie damals vom Jobcenter erhalten hat.

„Hier ist das mit der… Wieder Hinweis auf die Mitwirkungspflicht… Das kam am 15.10… Zu den Folgen fehlender Mitwirkung wird im unteren Abschnitt verwiesen. ‚Wir bitten im Rahmen der Mitwirkungspflicht bis zum 30.10 folgende Unterlagen einzureichen: Nachweis zur Arbeitslosmeldung, Meldung mit Elternzeitende.'“

„Da war ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch“

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In den Anschreiben wird schon in der Betreffzeile mit Sanktionen gedroht. Kristin Böhme fühlt sich ausgeliefert. Ihr Sachbearbeiter verlangt einen Nachweis darüber, dass sie die Elternzeit fortsetzen wird. Doch niemand kann ihr sagen, wo sie als Arbeitslose einen solchen Nachweis bekommt.

„Das war ein Moment, also, diesen Tag, den erinnere ich immer noch. Da war ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch gewesen. Das nimmt mich jetzt noch mit. Ich bin da raus und habe gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Das Amt will einen Nachweis. Ich frage meinen Sachbearbeiter, der speist mich ab mit einem frechen Ton. Ich versuche hier alle möglichen Ämter zu bewegen und keiner kann mir sagen, woher ich diesen Nachweis bekomme. Und ich weiß, die Zeit rückt näher, ich brauche zu dem Datum diesen Nachweis, sonst gibt es kein Geld.“

Böhme ist dem Druck, den das Jobcenter auf sie ausübt, nicht gewachsen. Zunächst ist es nur ein Schwindelgefühl, das sie immer häufiger überkommt. Sie lässt sich untersuchen, die Ärzte können körperlich keine Ursache finden. Doch die Anfälle werden schlimmer und weiten sich zu Panikattacken aus.

„Ich habe das ja auch nicht nach außen gelassen. Darüber will man nicht reden in dem Moment. Das will man verstecken. Man will nicht sagen, dass man sozial am Abgrund steht, dass es einem gesundheitlich nicht gut geht. Aber keiner was finden kann. Man denkt, man dreht durch. Wird man jetzt zum Simulanten? Und in dieser Zeit, man weiß man muss da hin, man muss sich da entblößen. Die sehen alles im Leben, was man macht, wie man sich verhält, und dann, wie gesagt, mit dem Ton.“

Mit der Teilzeit-Stelle kaum mehr Geld als mit Hartz IV

Am Ende hat Kristin Böhme Glück. Noch bevor das Jobcenter die ersten Vermittlungs-vorschläge schicken kann, gelingt es ihr allein, sich erfolgreich zu bewerben. Sie bekommt die Teilzeit-Stelle in einem nahegelegenen Krankenhaus. Die Arbeit im Krankenhaus, die vielen Nachtschichten, und nicht zuletzt ein kleines Kind – das alles kostet viel Kraft.

„Und da ist es ganz gut, sich so Möglichkeiten zu schaffen, wo man Energie auch wieder rausziehen kann, und das ist wirklich auch ein fester Job, und das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden. Ich werde da respektiert und akzeptiert und kann da gut meine Arbeit machen und gehe da eigentlich immer mit einem Lächeln raus.“

Mit der Teilzeit-Stelle verdient sie kaum mehr, als sie vorher mit Hartz IV hatte. Doch alles ist besser, als weiterhin vom Jobcenter abhängig zu sein, sagt sie. Kristin Böhme hat gelernt zu sparen.

„Es ist Herbst, der Winter kommt, man hat für das Kind wieder neue Kleidung, die schon sehr kostenintensiv ist. Aber bei mir selbst sage ich, für diese Saison gibt es nichts. Das habe ich komplett weggeschoben. Und dadurch, dass meine Interessen, meine Hobbys nicht sehr kostenintensiv sind, habe ich für mich fast keine Ausgaben. Ich gehe nicht weg, ich gehe nicht aus, ich bin in keinem Verein, also, ich spar komplett an mir selber.“

Gerhard Schröder: „Unsere Agenda 2010 enthält weitreichende Strukturreformen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Donnerwetter!) Diese werden Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts bei Wohlstand und Arbeit wieder an die Spitze bringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dadurch werden die Gerechtigkeit zwischen den Generationen gesichert und die Fundamente unseres Gemeinwesens gestärkt.“

„Alleinerziehende haben die größte Arbeitsmotivation. Wenn man sich ansieht, im Vergleich zu Frauen in Paarbeziehungen, dann suchen sie, wenn sie SGB II oder Hartz IV beziehen, viel häufiger nach einer Vollbeschäftigung, bzw. nach einem Job, der ihre Existenz und die ihrer Kinder sichert. Also, im besten Falle, sozialversicherungspflichtig und mit einem Nettolohn, der über das hinausgeht, was sie mit Hartz IV bekommen würden.“

Alleinerziehend heißt Armut in Deutschland

Antje Asmus ist wissenschaftliche Referentin beim Verband für Alleinerziehende Mütter und Väter. Sie kennt die Zahlen: Insgesamt sind 39 Prozent der Familien mit nur einem Elternteil auf Hartz IV angewiesen. Wie keine andere gesellschaftliche Gruppe sind sie von Armut betroffen.

Dabei gehen 70 Prozent der Single-Eltern einer Arbeit nach. Doch nicht immer gelingt es, die Rolle der Alleinerziehenden und der Familienernährerin unter einen Hut zu bringen: Jede fünfte berufstätige Alleinerziehende muss aufstocken, also zusätzlich Leistungen vom Jobcenter beziehen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Erschwerend kommt hinzu, dass nur die Hälfte aller anspruchsberechtigten Kinder den Unterhalt vom anderen Elternteil in voller Höhe ausgezahlt bekommt.

„Aus der Sicht des Verbands der Alleinerziehenden Mütter und Väter sind die Regelsätze in Hartz IV viel zu niedrig. Sowohl für Erwachsene als auch ganz besonders für Kinder.“

Die Hälfte der in Armut lebenden Kinder, lebt bei Alleinerziehenden und bezieht Hartz VI.

„Umso länger der Leistungsbezug anhält, desto schwieriger wird die Situation, weil man sich größere Anschaffungen oder auch bestimmte Kleidungsstücke einfach nicht mehr leisten kann. Und zunehmend die materielle Situation schwieriger wird.“

Vor zehn Jahren, im Januar 2005, trat das Sozialgesetzbuch II in Kraft. Die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe wurden zusammengelegt. Ein und dieselbe Behörde sollte sich sowohl um die finanzielle Grundsicherung als auch um die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt des Betroffenen kümmern. Das Motto dazu lautet bis heute: Fördern und Fordern.

„Die Alleinerziehenden sind aus dem Schonraum raus“

Gerhard Schröder: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen. Alle Kräfte der Gesellschaft werden ihren Beitrag leisten müssen, Unternehmer und Arbeitnehmer.“

Mit Hartz IV habe sich die grundsätzliche Haltung gegenüber Arbeitslosen, und insbesondere auch gegenüber alleinerziehenden Arbeitslosen verändert – gesetzlich und in den Köpfen, meint Hildegard Schicke. Sie leitet den Berliner Beratungsverein Kobra und betreut seit Jahrzehnten Frauen, die Arbeit suchen.

„Die Alleinerziehenden sind aus dem Schonraum raus, in dem sie aber auch ziemlich vernachlässigt wurden, und sich selbst überlassen blieben. Die sind heute eine richtig aktiv adressierte Gruppe, die man sofort aus dem Hartz IV-Bezug bringen muss. Früher gab es da ja, die muss erstmal ihre Kinder großziehen. Der Schonraum ist vorbei. Also, die alleinerziehende Mutter muss heute zur Kenntnis nehmen, dass die Gesellschaft von ihr die Familienernährerin verlangt.“

Ein neues Rollenbild ist entstanden. Die hohe Belastung, die damit verbunden ist, alleine die Kinder großzuziehen, einen Haushalt zu schmeißen und zugleich genügend Geld für die ganze Familie zu verdienen, wird in Kauf genommen. Tatsächlich arbeiten 45 Prozent der Alleinerziehenden in Vollzeit-Jobs, dagegen nur 30 Prozent der Frauen, die in einer Paarfamilie leben. Dabei haben Single-Eltern auf dem Arbeitsmarkt mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie alle anderen, nur in zugespitztem Maße.

Gerade in frauentypischen Berufen reicht das Gehalt nicht

„Auch die Frau an der Kasse. Ich sag noch etwas zu diesen Kassen. Es werden ja mehr Frauen in kaufmännischen Berufen, vor allem auf dieser einfachen Ebene, ausgebildet, als der Markt braucht. Dann können sie Marktleiterin werden, da haben sie einen stressigen Beruf, wenn sie richtig Geld verdienen. Aber Marktleiter können sie nicht mit der Familie vereinbaren, wenn sie abends als Letzte gehen und abschließen. Das heißt, diese ganze Branche ist darauf ausgelegt, dass Frauen diese Berufe erwerben und wenn sie nachher Kinder haben, niemals darin existenzsichernd arbeiten können. Das ist ein Struktur-problem.“

90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Und gerade in vielen frauentypischen Branchen reicht das Gehalt zwar als Zuverdienst in einem Haushalt mit zwei Verdienern. Alleine eine Familie zu ernähren, das ist in diesen Berufen kaum möglich, selbst mit einer Vollzeitstelle nicht. Ob Verkäuferin, Frisörin, Erzieherin oder in den Pflegeberufen. Hildegard Schicke wie Antje Asmus kritisieren, dass die Jobcenter arbeitssuchende Frauen trotzdem noch immer Weiterbildungen in ausgerechnet diesen Branchen vermitteln.

„Dass geguckt wird, wie kann ein perspektivreicher und biografisch nachhaltiger Job-einstieg funktionieren. Und dass es nicht vorrangig darum geht, die aus dem ALG II-Bezug rauszuholen. Das nachhaltige, strategiefähige Konzept wäre höherrangig. Und zwar nicht, weil wir das als Beraterinnen jetzt schick finden, sondern in der Gesamtrechnung unserer Gesellschaft, dass die Renten stimmen, dass sie dann später nicht wieder arbeitslos wird, dass die Kinder nicht arm sind, wenn sie in die Schule kommen. Wir haben in Berlin ja schon 30 Prozent Kinder im Bezug.“

„Hartz IV bedeutet massiv unter Druck zu stehen“

Die Ausweitung von Niedriglohn-Jobs im Zuge der Hartz IV-Reformen hat gerade auch für Alleinerziehende die Bedingungen erschwert, finanziell unabhängig zu werden. So wurden unter anderem die so genannten Minijobs eingeführt, geringfügige Beschäftigungen, bei denen der Arbeitgeber von den Sozialabgaben befreit wird. Fast 7,5 Millionen Minijobber gibt es derzeit, rund Zweidrittel von ihnen sind Frauen. Doch in den meisten Fällen sind diese deregulierten Jobs eine Sackgasse. Denn nur Wenigen gelingt der Sprung aus dem 450-Euro-Job in eine normale, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Asmus: „Sobald sie im Jobcenter ist und erwerbsfähig ist und kein Kind unter drei hat, ist ja das oberste Ziel vom Jobcenter, sie in Arbeit zu vermitteln. Und da ist sie unter Um-ständen damit konfrontiert, dass ihr Jobs angeboten werden oder Maßnahmen, die lang-fristig nicht dazu führen, dass sie einen existenzsichernden Job bekommt, sondern sie selbst auch sieht, ich bekomme jetzt wieder nur einen Minijob angeboten. Oder ich kriege jetzt eine schulische Maßnahme, die sie ja nicht ablehnen kann. Also Hartz IV bedeutet ja, ich stehe ja unter massivem Druck auch einen Job anzunehmen, der eigentlich nicht meinen Qualifikationen entspricht. Ich darf ihn nicht ablehnen, weil ich sonst Hartz IV gestrichen bekomme.“

Was ist aus dem Vorsatz geworden, neben dem Fordern auch zu fördern? Die Bundes-agentur für Arbeit hat die besonderen Probleme von Alleinerziehenden auf dem Arbeits-markt erkannt: Seit 2008 werden sie gesondert in den Statistiken aufgeführt. Für die auf diese Zielgruppe ausgerichteten Förderprogramme „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ und „Netzwerke wirksamer Hilfen“ wurden in den vergangenen sieben Jahren rund 85 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Doch die Erfolge sind dürftig: Seit 2008 ist die hohe Zahl der arbeitslosen Alleinerziehende zwar um 5 Prozent gesunken, doch ihr Anteil an allen Leistungsempfängern ist sogar noch größer geworden. Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt wie Ich-AG oder ABM sind schon fast vergessen. Auch die Bürgerarbeit, die so genannten 1-Euro-Jobs laufen in diesem Jahr aus.

„Das ist, was übrig bleibt von 9 Jahre Jobcenter. Ich war auch beim Anwalt, habe auch Anwaltskorrespondenz, ja… und oben drauf ist ein Aufhebungsbescheid, das Ende.“

„Wo man hinguckt, wurde abgebaut, eingespart und runtergeschraubt“

Sara Schwarz, auch das ein Pseudonym, beugt sich über einen schweren Ordner, ein paar Strähnen ihrer dunklen Locken fallen ihr vors Gesicht. Neun Jahre lang war die gelernte Industriekauffrau arbeitslos, hunderte von Bewerbungen schrieb sie, bis sie eine Stelle in der Bürgerarbeit bei einem Sozialen Träger bekam. Sie nutzte das Jahr und machte sich in der Verwaltung des Unternehmens unentbehrlich. Schwarz ist sich sicher, dass sie die Stelle niemals bekommen hätte, wenn sie sich aus der Arbeitslosigkeit heraus beworben hätte.

„Aber, wenn man arbeitslos ist, man hat immer so ein Stigma, man ist immer diejenige, na, wer weiß, was wir uns da in die Firma holen. Die weiß nichts, die kann nichts und vielleicht hat sie auch gar keine Lust.“

Die 41-Jährige ist eine große schlanke Frau. Ihr ungeschminktes Gesicht wirkt frisch und wach. Vor 14 Jahren stellte Schwarz fest, dass sie trotz Verhütung schwanger geworden war. Für den Vater war von Anfang an klar, dass er keinerlei Verantwortung übernehmen würde. So kehrte Schwarz in die thüringische Kleinstadt zurück, aus der sie stammt, und in der ihre Familie lebt – in eine strukturschwache Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit.

„Ich bin natürlich hier hergekommen und habe immer gedacht, das wird schon mal, du wirst schon mal eine Chance kriegen, du wirst schon mal Arbeit finden. Und dann hat man immer die Hoffnung und muss aber feststellen, umso mehr Zeit ins Land geht, das ist doch nicht so einfach. Es ist ja schon ziemlich schwierig hier in der Situation. Weil wo man hinguckt, das wurde hier abgebaut, eingespart und runtergeschraubt.“

Nutzlose Zeit beim Jobcenter

Dass sie alleinerziehende Mutter ist, hat Schwarz in ihren Bewerbungen nicht ver-schwiegen. Im Gegenteil, sie hat ihre Lebensumstände als etwas Positives dargestellt. Schließlich sei sie auch im Alltag besonders strukturiert und müsse immer Kraft für zwei haben. Doch davon müssen nicht nur viele Arbeitgeber erst noch überzeugt werden. Auch in Jobcenter erleben Alleinerziehende häufig, dass man ihnen nur wenig zutraut.

„Dass ich gesagt habe, ich hätte ja gerne mal einen Kurs in SAP, was ja so eine typische Software in der Verwaltung ist. Und dann wurde gesagt, naja, dann können sie das zwar, aber dann bleibt aber immer noch der Makel, dass sie alleinerziehend sind. Da schluckt man ja schon und denkt sich, wieso ist das ein Makel? Ich bin auch eine Familie. Ich bin zwar vielleicht nicht die perfekte Familie, aber ich habe doch keinen Makel. Man hat ja einen schlechten Ruf, als Hartz-IV-Empfänger. Da wird man in so eine Schublade gesteckt, wo man weiß, da gehört man nicht rein. Aber am Ende, wenn man in die Presse guckt, sieht man, die sehen einen genau da und machen einen klein, und schäbig: ‚Schmarotzer‘ und was weiß ich.“

Am Ende hat Schwarz in neun Jahren Arbeitslosigkeit keine einzige Weiterbildung gemacht. Ihre Zeit beim Jobcenter beschreibt sie als eine nutzlose Zeit und als einen Kampf: Der Kampf darum, die Leistungen zu erhalten, die ihr gesetzlich zustehen, der Kampf um ihre Wohnung, die 6,92 Euro zu teuer ist und schließlich der Kampf, einen Platz in der Bürgerarbeit zu bekommen.

„Was für mich der größte Verzicht war in der ganzen Zeit, ist eigentlich, dass man immer das Gefühl hat, man ist jemandem Rechenschaft pflichtig. Weil man immer das Gefühl hat, dass da jemand steht und guckt ganz genau, was du machst. Ich bin mal in der Zeit mit Hartz IV anonym angezeigt worden, weil ich Sachen bei eBay verkauft habe und ich habe mich gefühlt wie ein Verbrecher in dem Moment, also das war im Gespräch, da wurde mir dieser Verdacht nahe gelegt.“

Immer neue Schikanen im Briefkasten

Jedes Mal, wenn ein Brief vom Jobcenter kam, fing ihr Herz an zu klopfen. Denn Post vom Amt bedeutete neue Auseinandersetzungen. Sara Schwarz entwickelte eine regelrechte Briefkasten-Phobie. Selbst als sie schon mit der Bürgerarbeit begonnen hatte, machte sie einen großen Bogen um den Briefkasten:

„Weil da ja immer wieder neue Ideen, und neue Schikanen und neue Rückforderungen per Brief im Briefkasten waren. Und das war ganz schlimm für mich, also da in den Brief-kasten zu gucken, das war Horror. Mein Kind hat das dann immer, weil der zuerst zuhause war, hat der den Briefkastendienst übernommen. Der hat mich dann angerufen und gesagt, du hast einen Brief vom Jobcenter und dann hat er ihn aufgemacht, und dann hat er mir vorgelesen, ich wusste dann, um was es da geht, und dann war ich immer einiger-maßen beruhigt. Das war dann schon unser Ritual. Irgendwie auch ein gruseliges Ritual, aber irgendwie hat mir das geholfen, besser damit umzugehen, als wenn ich derjenige gewesen wäre, der das Ding da rausgeholt hätte.“

Gerhard Schröder: „Wir haben die Bedingungen für die Vermittlung der Arbeitslosen durchgreifend verbessert. Wir haben Rechte und Pflichten der Arbeitsuchenden in ein neues Gleichgewicht gebracht. Wir sind dabei, die Bundesanstalt für Arbeit so umzubauen, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen kann, nämlich Arbeitslose in Arbeit zu vermitteln und sie nicht bloß zu verwalten.“

Asmus: „Also spätestens mit der Agenda 2010 und dem Ansatz des Fordern und Förderns, haben wir so eine Aktivierungsparadigma in der Sozialpolitik und in der Arbeitsmarkt-politik, wo wir sagen, du bist als einzelnes Individuum dafür verantwortlich, da wieder rauszukommen. Und du kannst das lösen, wenn du dich ganz doll anstrengst, und alles gibst, was du hast, um den Job zu finden. Das ist ja grundsätzlich nicht falsch, aber da werden eben strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt, und für Frauen stellt sich das einfach ganz anders dar.“

Gesellschaftlich angelegte Hindernisse

Es sind Hindernisse, die gesellschaftlich angelegt sind und auf den ersten Blick kaum etwas mit dem Arbeitsmarkt zu tun haben. Eine große Hürde ist vielerorts, eine aus-reichende Kinderbetreuung zu finden. Noch immer gibt es nicht genügend Kindergarten- und Hortplätze. Und oft ist die Betreuung nicht flexibel genug, um sich Arbeitszeiten, die außerhalb der Kernzeit liegen, anzupassen.

Problematisch sieht Asmus auch, dass viele Paare die klassischen Rollen einnehmen, wenn sie Kinder bekommen: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter nur Teilzeit oder bleibt gleich ganz zuhause. Diese Arbeitsteilung ist politisch gewollt und wird gefördert, zum Beispiel durch das Ehegattensplitting oder die kostenfreie Mitversicherung in der Krankenkasse. Doch nach einer Trennung wird erwartet, dass beide für sich allein zurechtkommen, auch der Elternteil, der die Kinder zu sich nimmt.

„Und dann kommt die Trennung, und zumindest materiell und finanziell tragen die Risiken, die in der Paarbeziehung eingegangen wurden, die Frauen. Und stehen dann damit da. Und dieses Bild, dass sie allein daran schuld ist, greift ja viel zu kurz. Da sind zum einen die Strukturen am Arbeitsmarkt, es sind zum anderen die familienpolitischen Anreize in einer Paarbeziehung als Frau sich dafür zu entscheiden, nur Teilzeit arbeiten zu gehen. Aus natürlich rational nachvollziehbaren, guten Gründen.“

Weitere Verschärfungen drohen

Der Verband der Alleinerziehenden Mütter und Väter fordert daher Arbeitsverhältnisse zu schaffen, bei denen Väter und Mütter vollzeitnah, also 30 bis 35 Stunden, arbeiten, damit beide Partner sich Arbeitszeiten und Familienzeiten gleichmäßig aufteilen können. Denn nur dann sind beide in der Lage, sich im Falle einer Trennung auch alleine zu versorgen.

Um Alleinerziehende finanziell besser zu stellen, sieht der Koalitionsvertrag der Bundes-regierung vor, den steuerlichen Entlastungsbetrag anzuheben, der seit 2004 unverändert bei 1.308 Euro liegt. Während verheiratete Eltern durch das Ehegattensplitting bis zu 15.000 Euro im Jahr Steuern sparen können, seien bei Alleinerziehenden bisher maximal 564 Euro möglich, rechnet Asmus vor.

„Also hätten wir die vergleichbare steuerliche Entlastung wie verheiratete Paare mit Kindern, dann gäbe es gar nicht so wenige Alleinerziehende, die nicht in Hartz IV rutschen würden.“

Doch das wird noch eine Weile dauern – die Bundesregierung hat die versprochenen Steuervorteile erst einmal verschoben.

Stattdessen könnte es weitere Verschärfungen bei den Hartz-IV-Regelungen für Ein-Eltern-Familien geben. Der Vorschlag einer Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur Vereinfachung des SGB II, den Mehrbedarf für Alleinerziehende zu kürzen, ist zwar vorerst vom Tisch. Dafür soll Kindern, die regelmäßig auch bei dem anderen Elternteil übernachten, das Sozialgeld für die jeweiligen Tage in der Haupt-Bedarfsgemeinschaft gekürzt werden. Das Geld kommt dann zwar dem anderen Elternteil zugute, fehlt aber in dem Haushalt, wo die Kinder sich überwiegend aufhalten und wo die laufenden Kosten bestehen bleiben.

Alleinerziehende blieben bei den Reformen auf der Strecke

Asmus: „Das ist ein relativ hartes und aus meiner Sicht zynisches Niveau, auf dem man sich da bewegt, weil wir in der Summe der Sozialleistungen immer noch über relativ wenig Geld sprechen, das der Staat in die Hand nehmen kann, damit es Alleinerziehenden und ihren Kinder, weil da hängen die Hälfte der in Armut lebenden Kinder mit dran, wenn ich über Alleinerziehende in Hartz IV spreche. Da tut sich der Sozialstaat absolut keinen Abbruch, zu sagen, wenn ein Kind bei zwei getrennt lebenden Eltern aufwächst, dann hat das Kind zweimal Anspruch auf 3 Euro für Essen.“

Gerhard Schröder: „Der Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung sind heute unabweisbar geworden. Dabei geht es nicht darum, ihm den Todesstoß zu geben, sondern ausschließlich darum, die Substanz des Sozialstaates zu erhalten. Deshalb und nur deshalb brauchen wir durchgreifende Veränderungen.“

Vor zehn Jahren wurden die Hartz IV Gesetze mit dem Argument eingeführt, das deutsche Sozialsystem vor dem Kollaps zu retten. Auf der Strecke blieben diejenigen, die es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben – darunter überproportional vertreten die Alleinziehenden mit ihren Kindern.

Doch es geht nicht nur um Hartz IV. Letztendlich lässt sich das Armutsrisiko von Alleinerziehenden nur verringern, indem allgemein bessere Bedingungen für Mütter auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden.

Bei einem Spaziergang durch ihre Heimatstadt zeigt Sara Schwarz auf die Geschäfte, in denen sie noch nie etwas gekauft hat: Das Sportgeschäft zum Beispiel mit den warmen, aber teuren Daunenjacken für Kinder. Das Juweliergeschäft mit den schlichten, handgeschmiedeten Silberringen im Schaufenster hat Schwarz noch nicht einmal betreten.

Seit 20 Jahren nicht mehr verreist

„Man geht auch auf Weihnachtsmärkte und zu anderen Festivitäten. Weil man sich sagt, warum soll ich mir das nehmen lassen. Und man kann auch durch das Aufschnappen von Gerüchen und einfach mal was sehen, kann man Freude kriegen, man muss nicht immer nur kaufen. Die Freude beschränkt sich nicht aufs Kaufen.“

Schwarz hat sich in den vielen Jahren der Arbeitslosigkeit daran gewöhnt, mit wenig Geld auszukommen. Seit 20 Jahren ist sie nicht mehr verreist. Ihrem Sohn konnte sie weder den Musikunterricht noch den Sportverein bezahlen. Am Ende bleibt Sara Schwarz vor dem großen Altenheim stehen, in dessen Verwaltung sie heute arbeitet.

„Da bin ich dankbar für, dass ich es bis hierher geschafft habe, trotz Hartz IV, trotz des Makels des Alleinerziehendseins, trotz Stolpersteinen, ja.., da klopf ich mir auch manchmal selbst auf die Schulter, weil mir niemand dabei geholfen hat, das musste ich ganz allein bis hierher schaffen. Ja, da bin ich stolz.“

Quellen: dpa/PA/deutschlandradiokultur.de vom 15.12.2014

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