Trotz Chaos und Überlastung der Mitarbeiter: Arbeitsagentur will 17.000 Stellen streichen. Also mehr, statt weniger Arbeitslose.
Überlastete Sachbearbeiter, denen die Zeit fehlt, Anträge zeitnah zu bearbeiten und Erwerbslose zu beraten, eine Mammutbehörde, die im Chaos versinkt und vor allem sich selbst verwaltet: Den jüngst durch das »Team Wallraff« aufgedeckten gravierenden Missständen in den von der Bundesagentur für Arbeit (BA) teilverwalteten Jobcentern zum Trotz hat Behördenvorstand Heinrich Alt einen drastischen Stellenabbau angekündigt.
So werde die BA 17.000 Stellen bis 2019 abbauen, bestätigte sein Büro am Dienstag nachmittag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa einen Bericht des Handelsblatts vom Montag. Derzeit beschäftigt sie rund 95.600 Mitarbeiter, etwa 11.200 davon befristet. Letztere werden wohl am meisten betroffen sein, denn auf Kündigungen will die Agentur nach eigenen Angaben verzichten. Mit dem Abbau reagiere die Behörde »unter anderem auf die sinkende Arbeitslosigkeit«, hieß es aus dem Vorstandsbüro weiter. Geplant sei die »personelle Umstrukturierung« schon länger. Sie hätte ursprünglich bereits 2017 abgeschlossen sein sollen. Kürzlich habe der BA-Verwaltungsrat das Vorhaben aber um zwei Jahre verschoben.
Tatsächlich leistet die BA augenscheinlich beste Arbeit. Noch Mitte des vorigen Jahrzehnts hatte die Statistik gut fünf Millionen Menschen als arbeitslos ausgewiesen. Heute sind es rund zwei Millionen weniger. Doch der erste Blick trügt. Beim zweiten Hinsehen ist zu erkennen: Mit den Jahren wurden immer mehr Gruppen aus der Statistik herausgerechnet. Ältere, die als nicht mehr vermittelbar gelten, Menschen, die vom Amt in Maßnahmen oder Ein-Euro-Jobs verfrachtet wurden, Umschüler, Minijobber und Teilzeitbeschäftigte. Sogar Erwerbslose, die krankgeschrieben sind, rutschen, solange sie aufgrund dessen nicht vermittelt werden können, aus den offiziellen Zahlen. Hinzu kommt, so belegen weitere Zahlen, dass 40 Prozent der Hartz-IV-Bezieher, denen Jobcenter eine neue Arbeit – häufig Leiharbeit oder befristete Stellen – vermittelt haben, nach weniger als einem halben Jahr erneut beim Amt anstehen. In der Zwischenzeit sind sie natürlich aus der Statistik verschwunden.
Dass die Arbeit nicht mehr wird in der Bundesrepublik, zeigen Statistiken zum Arbeitsvolumen. Dieses ist seit 2000 kein Stück gewachsen. Danach leisteten Erwerbstätige im Jahr 2000 insgesamt rund 58 Milliarden Arbeitsstunden, im Jahr 2013 waren es etwa ebenso viele. Das zeigt nichts anderes, als dass immer mehr Unternehmen dazu übergehen, statt Vollzeitarbeitsplätzen Mini- oder Teilzeitjobs anzubieten. Unterdessen stagniert die Zahl der Hartz-IV-Bezieher seit Jahren bei knapp 4,4 Millionen, dazu kommen gut 1,7 Millionen Grundsicherungsbezieher. Für sie gibt es wenig Hilfe: Seit 2010 wurden die Gelder für die Weiterbildung Erwerbsloser um 40 Prozent gekürzt. Dass die Arbeitsagenturen und Jobcenter nur rund jeden achten in Arbeit vermitteln, zeige laut Alt, wie Hartz IV »Eigenverantwortung und Initiative von Arbeitslosen« stärke. Soll heißen: Betroffene begeben sich verstärkt selbst auf die Suche, wenn ihnen das Amt nichts anbieten kann. Aus Angst vor Hartz IV nehmen vermutlich immer mehr Menschen schlecht bezahlte und prekäre Arbeit an.
Mit einem offenen Brief an den Vorstand zeigten die Personalräte der Jobcenter jüngst, dass sie sich ignoriert fühlen. Zudem klagten sie über enorme Arbeitsbelastung und unsinnige Zielsetzungen. Zu glauben, dass Langzeitarbeitslosen so geholfen werden könne, grenze an »organisierten Selbstbetrug«.
(Abgeschleppt vorm Arbeitsamt: Auch die eigenen Mitarbeiter sind nicht davor geschützt, die Institution zur Durchsetzung der »Agenda 2010« von der anderen Seite, als »Kunden«, kennenzulernen)
Die Gutsherrenart der Bundesagentur für Arbeit gehört abgeschafft
Ein Kommentar aus der Bundesagentur für Arbeit, die „altonabloggt“ per Mail zukam und um Veröffentlichung bat.
Die Konsequenzen aus der Reportage von „Günther Wallraff – Undercover“ vom 16.3.2015:
Sofortiger Rücktritt des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit, konsequente Neustrukturierung der Bundesagentur für Arbeit und Reformierung des Arbeitsmarktes dringend erforderlich! Zunächst muss man den Mitarbeitern und meinen weiteren Kollegen und Personalräte der Jobcenter gratulieren. Endlich gehen sie an die Öffentlichkeit und sind nicht mehr bereit, sich weiter zu Zahlensklaven des Vorstandes der BA und ihrer Geschäftsführungen degradieren zu lassen. Günter Wallraff zeigt das auf, was seit Jahren kritisiert und bewiesen ist. In der Mail nach der Sendung an alle Mitarbeiter der BA und Jobcenter heisst es:
„Wir nehmen die geschilderten Sachverhalte sehr ernst. Wo systematisch Fehler und Mängel vorliegen, wollen wir mit Ihnen gemeinsam nach guten Lösungen suchen.“
Dieser ähnliche Textbaustein wurde bereits nach dem schweren Vermittlungsskandal in der Geschichte der BA, aufgedeckt durch den Bundesrechnungshof 2013, geschrieben. Geändert hat sich bis heute nichts. Damals sprach der Vorstand, nach dem dieser Bericht vor allen Mitarbeitern vertuscht werden sollte und dann doch in die Öffentlichkeit kam, von „angeblichen Fehlern“, die der BRH aufgedeckt hat. Eine BA typische Verschleierung ihrer Skandale.
Weiter heißt es in der Mail: “Ändern können wir nur Dinge, von denen wir wissen“.
Welch eine Farce! Dass die Jobcentermitarbeiter an dieser Stelle empört sind, ist mehr als berechtigt.
Seit Jahren beweisen Print Medien und TV die unglaublichen Missstände in der BA und in den Jobcentern. Kolleginnen und Kollegen, Personalräte und die Arbeitsgruppe der Personalratsvorsitzenden der Jobcenterpersonalräte haben den Vorstand mehrfach auf die fatale Lage hingewiesen. Selbst ver.di hat den Vorstand der BA dazu aufgefordert, ihre Zahlenknechte endlich zurück zu pfeifen. Dass viele Menschen, Familien und alleinerziehende Mütter nicht pünktlich ihr Geld bekommen und so in existentielle Not geraten, wird billigend in Kauf genommen. Von „bedauerlichen Einzelfällen“ ist hier absolut nicht die Rede. Bis vor kurzem wurde die völlige Überlastung in den Leistungsabteilungen abgetan mit „wir sehen keinen Bedarf“. Jetzt tut der Vorstand so, als sei er völlig überrascht was in der Sendung Wallraff gezeigt wurde. Wir spielen mal die Unwissenden – schuld sind immer die anderen.
Eine totale Überlastung der Mitarbeiter, die schon lange thematisiert wurde, falsche, fehlende und völlig unzureichende Qualifizierung in den Jobcentern, Zwang durch die Führungskräfte, Erwerbslose in sinnlose Maßnahmen zu erpressen, manipulierte Statistiken, exorbitante Krankenstände in den Jobcentern, Schönrechnerei des Betreuungsschlüssels, die Thematik der u.a. sachgrundlosen Befristungen vieler Mitarbeiter sind nur die Spitze des Eisberges. Weise, Alt und Becker tun jetzt so als hätten sie von allem dem nichts gewusst. Es ist wie immer, dass die Realität nicht zur Kenntnis genommen wird, man will sich aus der Verantwortung stehlen und die Skandale herunter spielen. Ein Schlag ins Gesicht für alle Jobcentermitarbeiter und Führungskräfte, die sich ernsthaft bemühen für erwerbslose Menschen etwas zu erreichen. In der Folge daraus sind die Erwerbslosen jedoch die Leidtragenden. Kein Wunder, dass Frust und Wut der Mitarbeiter gegen die Unfähigkeit der Führungsetage der BA und Jobcenter sowie der Politik immer größer werden. Tatsache ist, dass die Kolleginnen/Kollegen der Leistungsabteilungen regelrecht verheizt werden, eine individuelle, qualifizierte und dem Erwerbslosen gerechte Beratung gibt es nur selten. Alle Mitarbeiter, ob Agenturen für Arbeit oder Jobcenter, werden im Controllingwahn zu Zahlensklaven, Statistikerfüllern und Quotenjägern degradiert. Und für diesen Irrsinn kassieren die Führungskräfte, wenn denn die Zahlen stimmen, auch noch eine Leistungsprämie. Kein Wunder also, dass auf die Mitarbeiter ein enormer Druck ausgeübt wird. Menschen werden nicht in Arbeit gebracht, die dafür Zeit benötigen, Hauptsache Weise, Alt und Becker bekommen ihre Zahlen.
Die Steuerzahler haben ein Recht darauf zu erfahren, warum Milliarden ihrer Steuergelder für hirnrissige und sinnlose Maßnahmen durch die Bundesagentur für Arbeit verplempert werden – nur um am Ende des Monats der Öffentlichkeit eine falsche Arbeitslosenstatistik zu präsentieren. Hier schweigt die Politik und sitzt das aus. Beschämend. Lamaspaziergänge, Verkäufer im Plastikladen spielen, Puzzle zusammen setzen, 6000 Meter mit Schrittzähler um die Hamburger Alster laufen, Stricken und an einer Kreuzung den ganzen Tag Autos zu zählen, sind nur einige der Unmengen an entwürdigenden Maßnahmen, für die der Steuerzahler bluten muss. Hauptsache die Statistik stimmt. Dass so niemand in eine dauerhafte Beschäftigung kommt, sollte jedem klar sein. Den Erwerbslosen ist es klar. Ganz abgesehen von der Demütigung, die Menschen in vielen dieser „Blabla“- Kurse ausgesetzt sind.
Die seit Jahren anhaltende und berechtigte Kritik am Vorstand der BA sowie die nun erschienene Reportage vom Team Wallraff zeigen deutlich auf, dass es so nicht weiter gehen kann und darf. Auch die Politik hat hier jämmerlich versagt, wenn man menschlich denkt. Für sie ist die Agendapolitik jedoch bis heute ein voller Erfolg. Wie komme ich sonst an so billige Arbeitskräfte (oder besser „Sklaven“) heran? Ein kompletter Neuanfang ist unausweichlich. Nochmals: die BA bedarf dringend einer Neustrukturierung mit einer neuen Chefetage. Diese sollte offen und vor allem ehrlich gegenüber allen Mitarbeitern sein.
Vor allem wird es Zeit, dass jeder Mitarbeiter oder jede Mitarbeiterin seine Meinung sagen und Missstände ansprechen darf, ohne Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes zu haben oder zu einem „Personalgespräch“ geladen zu werden. Die Gutsherrenart des Vorstandes muss endlich ein Ende haben. Die Herren Weise, Alt und Becker sollten endlich zu ihrem Scheitern stehen, Charakter zeigen und Verantwortung für ihre jahrelangen Missstände übernehmen. Den Weg frei machen für eine BA und Arbeitsmarktpolitik, die diese Namen auch wirklich verdient.
Vorher jedoch sollten die Herren sich in aller Öffentlichkeit entschuldigen!
Und zwar bei den Millionen Erwerbslosen, die nur verwaltet wurden anstatt ihnen zu helfen. Die entwürdigend behandelt wurden und vor allen bei denen, die auf Grund kapitaler Fehler und Uneinsichtigkeit nicht pünktlich ihre zustehende Leistung erhalten haben bzw. rechtswidrig sanktioniert wurden. Bei den Steuerzahlern, deren Gelder sinnlos verbrannt werden, um Menschen aus der Statistik zu katapultieren. Und bei den Mitarbeitern der Agenturen für Arbeit und den Jobcentern, denen jahrelang Zwang und Druck auferlegt wird, Quoten und Statistiken zu erfüllen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat bisher jeglichen Kommentar zu diesen Skandalen verweigert. Oder möchte sie einfach nicht zugeben, dass die deutsche Arbeitsmarktpolitik gescheitert ist? Auf Dauer kann sich Frau Nahles nicht entziehen.
Gute Konzepte gäbe es, nur muss die Politik endlich wollen.
Literatur:
Die Hartz-IV-Diktatur: Eine Arbeitsvermittlerin klagt an von Inge Hannemann
So lügt man mit Statistik von Walter Krämer
Die Weltrepublik: Deutschland und die neue Weltordnung von Claus Nordbruch
Quellen: dpa/jungewelt.de/altonabloggt.com vom 05.04.2015
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Was in dem Text leider nicht erwähnt wurde, sind die vielen Todesopfer, welche das Hartz-Regime auf dem „Gewissen“ hat. Sofern die überhaupt ein Gewissen haben, was stark anzuzweifeln ist. Viele von denen waren schon früher in entsprechenden menschenverachtenden Funktionen und leben ihre satanistische Unmenschlichkeit auch heute noch in vollen Zügen aus. Jeder der andere Menschen unterdrückt und die Grundrechte mit Füßen tritt ist ein Täter, das sollte diesen elenden Unmenschen (und das ist noch sehr höflich formuliert) endlich mal bewusst werden! Eine Entschuldigung nützt den Opfern auch nichts mehr. Wer solch schwere Verbrechen an Menschen begangen hat, gehört vor ein hohes Gericht mit ordentlicher Strafe! Ein Rücktritt alleine oder gar ein Freikauf darf es für solche Verbrechen nicht geben!
zeige laut Alt, wie Hartz IV »Eigenverantwortung und Initiative von Arbeitslosen« stärke.
Genau das Gegenteil ist der Fall.
Man beachte den massiven Stellenabbau.