Mit heftigen Demonstrationen machten ein paar Hundert Nicaraguaner auf ein gigantisches Projekt aufmerksam.
In Nicaragua reagierten die Demonstranten auf eine Zeremonie, die kurz vor Weihnachten stattgefunden hatte: Unter Ausschluss einer grösseren Öffentlichkeit delektierten sich Regierungsvertreter und chinesische Investoren am symbolischen ersten Spatenstich für einen interozeanischen Kanal. Das Megaprojekt soll den hundert Jahre alten Panamakanal konkurrenzieren, der eben jetzt erweitert wird, um in Zukunft die grösser und grösser werden Frachtschiffe aufnehmen zu können.
Über Einzelheiten des Nicaragua-Projekts weiss man wenig. Präsident Daniel Ortega, ein vom linken Revolutionär zum tropischen Caudillo mutierter Fantast, hat es zusammen mit einem milliardenschweren chinesischen Geschäftsmann entwickelt. Experten meinen, dass der geplante Kanal wirtschaftlich nicht sinnvoll sei und ökologisch eine Katastrophe bedeute. Man kann annehmen, dass hinter dem undurchsichtigen Wang Jing, dem Investor, Chinas Regierung steht, ohne deren Segen ein Einzelner sich niemals auf ein derart monströses Projekt einlassen dürfte.
Ortega hat sich – und ein Stück Nicaraguas – verkauft, hat dem «grossen Bruder», wie er seinen Partner nennt, für zehn Jahre weitestgehende Freiheiten, was den Bau und das Betreiben des Kanals angeht, zugestanden. Im Vergleich zum kruden Kolonialismus, wie er vor hundert Jahren, als der Panamakanal von den Amerikanern gebaut wurde, üblich war, geriert sich der ökonomisch dominierte Neokolonialismus heute subtiler.
Der Kolonisierte sorgt freiwillig und unter Freudenkundgebungen dafür, dass er vom grossen Bruder ausgenommen wird.
Bauernopfer
„Oh, wie schön ist Panama“ lernte ich als Kind von Janosch. Als der berühmte Panamakanal gebaut wurde, sahen das aber ein paar Arbeiter wohl anders. Insgesamt kostete der Bau etwa 28.000 Arbeitern das Leben – vor allem aufgrund verschiedener Krankheiten. Auch die finanziellen Kosten und der Bauaufwand waren größer als gedacht. Wenn bei Flughäfen und Elbphilharmonien die Kosten zu optimistisch eingeschätzt wurden, warum sollte das bei einem Kanal der zwei Ozeane verbindet anders sein.
Außerdem führte der Bau des Kanals zu Umweltzerstörung und politischen Spannungen. Ökologisch gesehen ist es aber natürlich sinnvoll, dass sich der Schiffsverkehr die Umrundung Lateinamerikas spart und eine Abkürzung nimmt. Solche Überlegungen waren es wohl weniger, die zum Bau bewogen, stattdessen spielten militärische und geopolitische Gründe die Hauptrolle.
Und so ist auch der fest geplante Bau eines weitaus größeren Kanals in Mittelamerika in erster Linie eine geopolitische Frage – sowohl für die Analysten als auch die mäßig interessierte Weltöffentlichkeit. Dieser neue, größere Kanal wird in Nicaragua gebaut, mit Hilfe einer für diesen Zweck gegründeten chinesischen Betreibergesellschaft, HKND (Hong Kong Nicaragua Development). Schlüsselfigur ist Wang Jing, der laut Forbes zwölftreichste Mensch der Welt. Ein Pazifik-Atlantik-Kanal unter chinesischer Kontrolle in Mittelamerika. In einer Region die von den USA gern als eine Art Vorgarten angesehen wurde.
Für die Bewohner dieser Region geht es jedoch nicht um geopolitische Bedeutungen und Folgen, um Kontrolle von Welthandelsströmen oder der Beweglichkeit von Marineflotten – es geht um ihre Existenz. Ob chinesische Wirtschaftsinteressen dahinter stehen, nun unkompliziert Öl aus Venezuela importieren zu können und unzählige Absatzmärkte besser erreichen zu können, interessiert in erster Linie niemanden in Nicaragua.
Das klingt erstmal ein wenig übertrieben, schließlich wurden den Bauern für ihre beschlagnahmten Flächen Ausgleichszahlungen versprochen. Doch die Flächenübernahme an sich war teilweise illegal, da nach internationalem Recht unverkäufliche Territorien von First-Nations betroffen waren. Was die Ausgleichsmaßnahmen angeht, so trauen viele weder der Regierung, noch dem schwer greifbaren Bauherrn.
Immerhin 29.000 Landbesitzer müssen umgesiedelt werden. Nicaraguas Präsident Ortega verspricht ihnen nun Jobs im Zusammenhang mit dem Kanal. Darüber können viele Bauern nur lachen. Sie wissen ihr Land zu bestellen und das wollen sie auch weiterhin tun. Anwohner, die nicht direkt beim Bau und Betrieb des Kanals ein Auskommen finden, sollen indirekt von der neuen Einkommensquelle profitieren. Doch ob das wirklich für einen Großteil der Bevölkerung gilt, ist unsicher. Sicher ist, dass die Enteignung der Landbesitzer die Urbanisierung und Landflucht, welche ihrerseits Negativfolgen verursachen, verstärkt.
Aber warum schreibe ich nun darüber?
Der Grund ist, dass ich selbst in einer der betroffenen Regionen ein Jahr gearbeitet habe (das zwischenzeitlich gängige Freiwilligenjahr) und seit einiger Zeit erschreckende Berichte, Fotos und Videos zu Gesicht bekomme.
Ich kann nicht abstreiten, dass ich neben allen schlüssigen Argumenten gegen diesen Kanal, schlicht und ergreifend ein komisches Bauchgefühl habe (und das ist natürlich noch untertrieben). Der Kanal soll unter anderem den Nicaraguasee durchkreuzen. Ich erinnere mich noch genau wie ich mit Freiwilligenkollegen, die Freunde wurden, in diesem See schwamm. Dort gibt es Süßwasserhaie, der See ist der größte Mittelamerikas, auf der Insel in der Mitte gibt es Vulkane, allgemein herrscht eine Landschaft vor die paradiesisch scheint.
Romantisiere ich nun dieses Stückchen Erde und will es deshalb konservieren? Autobahnbau und Landversiegelung von über 70 Hektar pro Tag (!) in Deutschland kein Problem – aber in Nicaragua bitte nur Ökotourismus und Folklore?
Nicht wenige Regierungsvertreter des globalen Südens sehen Neokolonialismus als Motivation mancher NGOs im Kampf gegen Großprojekte in ihren Ländern. Wir managen unsere gesamte Landesfläche, es gibt kaum sich selbst überlassende Flächen, kriegen es nicht hin eine Handvoll Luchse zu schützen, fordern aber eifrig das Ende der Regenwaldabholzung und die Etablierung von großen Schutzprogrammen.
Letztendlich ist dieser Kritikpunkt berechtigt, geht aber am Kern der Sache vorbei. Problematisch ist in erster Linie, dass Mittelamerika unbestritten ein Hotspot von Biodiversität ist, viele Spezies die dort vorkommen weltweit einzigartig sind. Ein Kanal bringt, ökologisch gesehen, nachweislich mehr Schäden. Sozial problematisch wiederum ist, dass die Allgemeinheit die Kosten von solchen riesigen Bauprojekten tragen soll und selten am Gewinn beteiligt wird.
Tausende Menschen werden zwangsumgesiedelt. Umweltberichte werden unter Verschluss gehalten. Was wird mit dem Trinkwasser geschehen? Wie regieren Tiere und Pflanzen wenn nicht nur massiv viel Fläche umgewandelt wird, sondern auch zwei Ozeane über einen Süßwassersee verbunden werden? Wer profitiert vom Kanal und inwieweit geht der dann wirklich über die Jahrzehnte in nicaraguanische Kontrolle über? Geplant ist, die nicaraguanische Gewinnbeteiligung über das nächste Jahrhundert schrittweise zu erhöhen.
Aber was viele Bauern ganz besonders interessiert: Wo sollen sie hin? Wie sollen die Ausgleichsmaßnahmen aussehen?
Was viele der Bauern inzwischen außerdem interessiert: Wo sind die verschwundenen Demonstrierenden? Warum die brutale Polizeigewalt?
Nach Demonstrationen gab es bereits unzählige Verletzte, Vermisste, Gefangene und Tote. Deren Zahlen unterscheiden sich nach dem üblichen Polizeisprecher-Oppositions-Gegensatz. Von mindestens 33 Festnahmen, 21 Verletzten und keinen Todesopfern war in offiziell bestätigten Berichten die Rede. Doch auf die ist herzlich wenig Verlass. Die Zahlen der Aktivisten fallen um Einiges höher aus.
Die Aktivisten selbst werden natürlich von der Gegenseite in einem ganz anderen Licht dargestellt. Die chinesische Betreibergesellschaft veröffentliche kürzlich Dokumente in denen die nicaraguanische Gesellschaft als rassistisch beschrieben wird. Zugegeben: Auch mir fiel auf, dass immer vom “chinesischen Kanal” mit einem gewissen Unterton die Rede war. Das klingt oft etwas nach “roter Gefahr”. Doch im Endeffekt ist es den Bauern wohl egal aus welchem Land der Bauherr stammt, welcher sie komplett übergeht.
Die deutschen Medien, wie der Spiegel, die FAZ und die Tagesschau berichten in ihren Randnotizen in erster Linie kritisch von dem Kanalbau. Doch das ist geopolitisch gesehen wenig überraschend könnten manche behaupten.
Mir fiel jedoch auf, dass sich die deutschen Medien, trotz der kritischen Berichterstattung, anscheinend ausschließlich auf offizielle Angaben der Regierung verlassen. In verschiedenen Artikeln wird behauptet, dass zwei Drittel der Nicaraguaner den Kanal gutheißen. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein. Klar: Meine subjektive Wahrnehmung könnte mich täuschen. Die Leute mit denen ich immer noch in Kontakt stehe sind seit jeher (umwelt-) politisch aktiv, oder anderweitig vernetzt und informiert. Ich weiß nicht was Nicaraguaner in anderen Regionen ohne Internetzugang über den Kanal denken, aber zwei Drittel scheinen mir etwas viel zu sein.
Also habe ich bei der FAZ und Tagesschauredaktion, welche von zwei Dritteln Zustimmung schrieben, nachgehakt. Bisher kam keine Rückmeldung – das mag aber natürlich auch am Jahreswechsel liegen. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass man sich auf offizielle Umfragen, welche von der Regierung in Auftrag gegeben wurden, verlassen kann.
Die Ausschreitungen scheinen indessen zuzunehmen. Ich tu mich immer schwer einer Nation oder einem “Volk” ein Attribut zuzuschreiben. Zu behaupten die Nicas wären “an sich” wehrhaft und widerspenstig ist Quatsch. Dennoch: Der letzte Bürgerkrieg liegt nicht weit zurück (Ende 1990) und die letzten Aufstände wesentlich kürzer (Blockaden gibt es inzwischen bei jedem Wahlgang und den dabei zunehmenden Unregelmäßigkeiten). Es wurden auch schon aufgrund geringerer Missstände Straßen blockiert.
Was passieren wird, wenn der Kanal voranschreitet, geschweige denn fertig gestellt ist (angeblich 2020), ist völlig unklar. Die Auswirkungen des Kanals sind es erst Recht.
Hier noch ein kleines Propagandavideo mit angepasster Hintergrundmusik:
https://www.youtube.com/watch?v=nXVLQCBddCo
und die Gegendarstellung:
Quellen: journal21.ch/doktorpeng.de vom 28.12.2014
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