Sie ist da, wenn Urschmerz und Anspannung in großem Glück gipfeln.
Sie ist da, wenn Liebe und Leid sich zusammenfügen.
Sie ist bald nicht mehr da.
Was pathetisch klingt, ist nackte Realität. Mit dem Nacktsein beginnt das Leben, mit dem Nacktsein Mila Korns Geschichte. Vor 46 Jahren ist sie auf die Welt gekommen, dass sie jetzt so vielen kleinen Menschen in ihren ureigenen Kleidern ins Leben hilft, war eigentlich die Idee ihrer Mutter. »Dann werd’ doch Hebamme«, sagte diese, als die 21-jährige Mila »unbedingt was im medizinischen Bereich« machen wollte. »Damals gab es noch 2200 Bewerberinnen auf 20 Ausbildungsplätze«, erzählt Mila. Heute sitzt sie in ihrer Praxis in Berlin-Hermsdorf, seit sechs Monaten schon suchen sie dort eine neue Mit-arbeiterin, der Hebammennachwuchs bleibt aus.
Die soziale Situation der Hebammen ist prekär. Der durchschnittliche Stundenlohn von freiberuflichen Hebammen liegt bei 8,50 Euro brutto. Aber es ist nicht nur die schlechte Bezahlung, die Mila Korn Kopfzerbrechen bereitet. Es ist die reelle Bedrohung ihrer Existenz. Anfang dieses Jahres kündigte die Nürnberger Versicherung an, Mitte 2016 aus dem Versicherungskonsortium für Hebammen auszusteigen.
Ohne Haftpflichtversicherung dürfen Hebammen jedoch nicht arbeiten. Auf politischen Druck gibt es nun eine »Scheinlösung«, allerdings nur bis 2016 und mit erneutem Anstieg des Versicherungsbeitrages auf mehr als 6000 Euro pro Jahr. Mit einem durch-schnittlichen Jahreseinkommen von 18 000 Euro kaum zu stemmen.
Wie es danach für die Hebammen weitergehen soll, ist ungewiss. Erst diese Woche gab der Deutsche Hebammenverband bekannt, dass die Haftpflichtprämien auf über 23 Prozent steigen sollen. Rund 21 000 Hebammen sind derzeit in Deutschland tätig, lediglich 3500 von ihnen arbeiten freiberuflich, so wie Mila. Ihre Ausbildung absolvierte sie von 1989 bis 1992 in einem Krankenhaus in Neukölln. Schulmedizin. Harter Klinikalltag. 3500 Geburten jährlich. »Da wurde uns alles an Intuition abtrainiert, was wir mitgebracht hatten«. Nach der Ausbildung musste Mila sich selbstständig machen, ein Jahr später fand sie eine Anstellung.
1997 zog es sie zum Reisen nach Mexiko. Dort verliebte sie sich. In ein kleines Dorf auf 2400 Metern Höhe in den Bergen von Chiapas. Mila beschloss kurzerhand, auszu-wandern. »Ich wollte eine Art medizinkulturellen Austausch machen«, sagt Mila, ihr Blick schweift ab, ihre Stimme wird weich, vielleicht ein wenig sehnsüchtig. In Mexiko ange-kommen sprach sie auf der Straße Frauen an, »mit den vier Worten Spanisch, die ich konnte«, wo es Hebammen gäbe. Die gab es, aber etwas anders als Mila es sich vorgestellt hatte.
»Hebammen machen dort alles«, also kümmerte sie sich zusammen mit den Medizin-frauen um verknackste Knöchel oder um Babys, die Operationsschäden hatten. In den Bergen, an der Küste, im Dschungel. Sie tauschte ihr Wissen über Pflanzenheilkunde, Homöopathie und Schulmedizin gegen das Wissen der wenigen mexikanischen Hebammen, die es noch gibt. In Mexiko brachte Mila ihr erstes eigenes Kind zur Welt, in den Bergen, ganz ohne Hilfe.
2001 zog es sie zurück nach Deutschland, 2003 stieg sie in die Hebammenpraxis »Zehn Monde« ein. Damals hatte die Praxis noch kleine ebenerdige Räume mit Außentoilette. Jetzt sitzt sie in einem gemütlichen Beratungszimmer in Hermsdorf. Helle Holzmöbel, eine gluckernde Heizung, draußen fegt der Novemberwind. Eine Kerze steht auf dem Tisch, Mila hat eine dampfende Kanne Tee gekocht, sie nimmt sich lange Zeit für das Gespräch, erzählt bereitwillig und gerne.
Ihr ist es wichtig, für die Probleme der Hebammen Aufmerksamkeit zu schaffen, dass es dabei auch um sie geht, steht für sie nicht im Vordergrund. Mila engagiert sich im Verein »Hebammen für Deutschland e.V.«, hat den Kinospot »Taxi? Hebamme!« gedreht, besucht Demonstrationen. Bereits dreimal dieses Jahr war sie für »Hebammen für Deutschland« im Bundestag, hat eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf verfasst und ist im Ausschuss des Bundesgesundheitsministeriums befragt worden.
(„Wir trainieren den ganzen Körper, denn Frauen sind nicht nur mit dem Becken schwanger.“ Mila Korn beim Rückbildungskurs)
»Ich habe klare Gründe für die Existenzangst, ich weiß nicht, was wird, wenn es ab 2016 keine Haftpflichtversicherung mehr gibt.« Mila fragt sich, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn der Hebammenberuf »wegrationalisiert« wird. »Ich glaube, dass die Bindungslosigkeit in der Gesellschaft extrem zunehmen wird. Hebammen nehmen eine wichtige Funktion in der Gesellschaft ein«, sagt Mila. »Als Hebamme sehe ich mich als Hoffnungsträgerin und halte mich für einen positiv denkenden Menschen. Aber ich wäre eine Spinnerin wenn ich sagen würde ›es wird schon‹«. Mila Korn liebt ihren Beruf, die Abwechslung, ihr Handwerk, die Hebammerei. »Vom medizinischen Aspekt, über Fragen zur Ernährung, emotionale Hilfestellungen – der Hebammenberuf ist ganz vieles in einem.« Hoffnung? Ja, die hat sie. »Es muss etwas passieren. Ich wünsche mir, dass die Lösungsvorschläge, die auf dem Tisch liegen, umgesetzt werden. Wie ein steuer-finanzierter Haftpflichtfonds.«
Mila Korn ist da, wenn neues Leben in die Welt kommt. Sie ist da, wenn Familien nicht wissen, wie sie mit der neuen Lebenssituation umgehen sollen. Sie ist da, wenn diese Gesellschaft wächst. Doch diese Gesellschaft, die ist nicht für sie da.
Video:
Rund 21 000 Hebammen sind derzeit in Deutschland tätig, lediglich 3500 von ihnen arbeiten freiberuflich, so wie Mila. Am Mittwoch, dem 17. Dezember, um 16 Uhr demonstrieren sie neben dem Berliner Friedrichstadtpalast für den Fortbestand ihres Berufes und eine bezahlbare Haftpflichtversicherung.
Quelle: neues-deutschland.de vom 06.12.2014
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