Russland schließt Einsatz von Atomraketen nach Stationierung von US-Raketen in Deutschland nicht aus

Teile die Wahrheit!

Russland wird bei der Entwicklung seiner Antwort auf die Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland aus dem größtmöglichen Spektrum von Optionen wählen und schließt dabei keine Option aus, einschließlich der Stationierung ähnlicher nuklear bestückter Systeme, sagte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow am Donnerstag vor Journalisten.

“Ich schließe keine Option aus”, sagte Rjabkow auf die Frage, ob die russische Antwort auf die Stationierung von US-Raketen in Deutschland die Stationierung ähnlicher nuklear bestückter Systeme beinhalten würde.

Er erinnerte daran, dass “durch die Schuld Deutschlands und vor allem der USA, die an der Spitze des NATO-Blocks stehen, die Rüstungskontrollvereinbarungen völlig zerstört wurden”.

“In dieser Situation müssen wir unsere Antworten mit Blick auf die Gesamtheit der NATO-Mitgliedsstaaten kalibrieren, ohne sozusagen internen Zwängen zu unterliegen, was, wo und wann möglich und notwendig ist und ob es eingesetzt werden soll. Das heißt, die größtmögliche Option”, sagte der stellvertretende Minister.

“Das ist für niemanden eine Bedrohung. Es ist ein Weg, den effizientesten und kostengünstigsten Algorithmus zu finden, um auf die sich ändernden Herausforderungen zu reagieren”, fügte er hinzu.

Mit Blick auf die Diskussionen in Washington über die Umrüstung der schweren B-52-Bomber sagte Rjabkow, Russland bereite sich auf die Möglichkeit vor, dass die Vereinigten Staaten ihre nuklearen Fähigkeiten erheblich ausweiten könnten, und entwickle effektive und kosteneffiziente Reaktionsstrategien.

“Wir sehen an diesem Beispiel auch, dass es in den USA keine Zurückhaltung mehr gibt, was den Umgang mit dem strategischen Nuklearpotential betrifft. Wir müssen uns auf alle möglichen Szenarien vorbereiten, einschließlich unerwünschter Szenarien im Hinblick auf einen möglichen signifikanten Ausbau des Nuklearpotenzials durch die Amerikaner”, sagte Rjabkow vor Journalisten.

“Wir sind darauf vorbereitet, denn die ganze Logik des Verhaltens Washingtons in diesem Bereich führt dazu, dass sie genau diesen Weg gehen werden. Aber es gibt noch keine Lösung. Bis die endgültige Formel für die Zukunft der Bomber gefunden ist, haben wir Zeit, die verschiedenen Optionen durchzurechnen und die effizientesten und kostengünstigsten Wege zu finden, um zu reagieren”, fügte der stellvertretende Minister hinzu.

Gleichzeitig betonte Rjabkow, dass Moskau fest davon ausgehe, dass es nicht zu einer unvermeidlichen Eskalation der anhaltenden Sicherheitsspannungen zwischen dem Westen und Russland kommen werde. (Der Endkampf hat begonnen: Gefährliche Eskalation – droht ein Atomkrieg? (Video))

 

“Nichts ist vorherbestimmt. Insbesondere gibt es keine Vorbestimmung für eine weitere Eskalation. Bisher hat der Westen leider genau diesen Weg eingeschlagen, unter weit hergeholten Vorwänden und auf der Suche nach Gründen, um uns wieder einmal Angriffe auf die Sicherheit zu unterstellen”, sagte Rjabkow vor Journalisten.

Dies werde Russland nicht davon abhalten, die Aufgaben zur Gewährleistung seiner Sicherheit entlang der gesamten Grenze zu lösen, fügte der Diplomat hinzu. (Russisches TV: 40 Atombomben löschen Polen aus – Moderator droht deutsche Städte dem Erdboden gleich zu machen)

300x250

„Unnötig Angst vor dem Atomtod“

Pläne zur Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen führen zu ersten Protesten. Experten warnen, die Stationierung könne die atomare Aufrüstung anheizen und verstärke die Gefahr eines Atomkriegs.

Mit ersten Protesten aus der Bevölkerung und denunziatorischen Tiraden gegen Kritiker beginnt der neue Konflikt um die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland.

Die Bundesregierung hatte am Rande des NATO-Jubiläumsgipfels eine entsprechende Stationierungsvereinbarung mit der US-Administration unterzeichnet; sie sieht vor, bis 2026 US-Marschflugkörper des Typs Tomahawk, SM-6-Lenkraketen und Hyperschallraketen des Typs Dark Eagle in Deutschland aufzustellen. Mit den Waffen können nicht nur Sankt Petersburg und Moskau erreicht werden.

300x250 boxone

Es ist auch möglich, zentrale Elemente der russischen Nuklearstreitkräfte auszuschalten – beispielsweise das Frühwarnsystem, das kürzlich die Ukraine attackierte. Experten warnen, Moskau könne deshalb auf die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland „mit Änderungen seiner Nukleardoktrin“ antworten; im Kriegsfall sei sogar ein „präemptiver“ Atomangriff auf die Raketenstellungen denkbar.

Außenministerin Annalena Baerbock nennt Protest gegen die Raketenstationierung „verantwortungslos“. In einer Zeitschrift der Evangelischen Kirche heißt es, „Desinformationsschleudern“ schürten „unnötig Angst vor dem Atomtod“.

Der Bruch des INF-Vertrags

Die Bundesregierung hat in einem Schreiben an die Bundestagsausschüsse für Äußeres und für Verteidigung ihre Entscheidung, die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen auf deutschem Territorium zuzulassen, mit der Behauptung begründet, Russland habe – zunächst unter Bruch des INF-Vertrags – „bodengestützte Mittelstreckensysteme entwickelt“ und sich trotz mehrfacher Aufforderung der westlichen Staaten geweigert, das zu unterlassen.[1] Die Behauptung verkürzt die reale Entwicklung sinnentstellend.

So hat Washington, bevor es am 1. Februar 2019 den INF-Vertrag kündigte, nie Beweise dafür vorgelegt, dass Moskau tatsächlich an der Entwicklung von Mittelstreckenwaffen arbeite.[2]

Es hat aber eingeräumt, seinerseits Ende 2017 die Entwicklung solcher Waffen gestartet zu haben. Recherchen der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), die im Jahr 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, belegen, dass die USA spätestens im Oktober 2018 Aufträge in Milliardenhöhe für Entwicklung und Bau neuer Raketen vergaben.[3]

Ziel war es, Mittelstreckenwaffen in der Asien-Pazifik-Region zu stationieren – mit Angriffsziel China. Letzteres hat Washington kürzlich auf den Philippinen begonnen, allerdings vorläufig nur für einige Monate (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Eine dauerhafte dortige Stationierung schieben die USA noch hinaus.

 

Erhöhte Atomkriegsgefahr

Anders als in der Asien-Pazifik-Region will Washington Mittelstreckenwaffen schon 2026 dauerhaft in Deutschland stationieren. Es handelt sich um Tomahawk-Marschflugkörper, SM-6-Lenkraketen und Hyperschallraketen des Typs Dark Eagle. Die Tomahawk und die Dark Eagle können nicht nur Sankt Petersburg, sondern auch Moskau erreichen.

Besonders im Fall der Dark Eagle erhöht dies wegen der massiv verkürzten Vorwarnzeiten – und weil die Hyperschallrakete, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) festhält, ohnehin „kaum zu stoppen“ ist [5] – die Spannungen erheblich. Dies gilt umso mehr, als Russland, wie es in einem aktuellen Fachbeitrag heißt, in Betracht ziehen muss, dass im Kriegsfall die Dark Eagle zentrale Elemente seiner Nuklearstreitkräfte zerstören könnte, etwa Radaranlagen [6]; einen Testlauf für einen Angriff auf das russische Frühwarnsystem gegen Nuklearwaffen haben erst kürzlich die ukrainischen Streitkräfte unternommen (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

Denkbar sei deshalb, heißt es in dem Fachbeitrag weiter, dass Moskau auf die Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland „mit Änderungen seiner Nukleardoktrin“ antworte. Sollte Russland zudem zu der Auffassung gelangen, es könne seine Nuklearstreitkräfte nicht verlässlich gegen die Dark Eagle verteidigen, seien im Kriegsfall sogar „präemptive“ Atomangriffe auf deren Stellungen möglich.[8]

Anders als 1979

Mit Blick auf die dramatischen Gefahren werden inzwischen erste Proteste laut. So forderte etwa am vergangenen Freitag eine Kundgebung in Potsdam eine umgehende Rücknahme des Vorhabens, US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren.[9] Am Montag äußerte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, als erster – und bislang einziger – Politiker einer der drei Berliner Regierungsparteien, man dürfe „die Risiken dieser Stationierung nicht ausblenden“.[10]

Angesichts der äußerst kurzen Vorwarnzeit der Raketen sei „die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation … beträchtlich“, warnte Mützenich; dabei besitze die NATO bereits ohne die Mittelstreckenwaffen „eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit“. „Mir erschließt sich auch nicht“, fuhr Mützenich fort, „warum allein Deutschland derartige Systeme stationieren soll“.

Zu letzterem Aspekt hieß es bereits in dem erwähnten Fachbeitrag, die Tatsache, dass eine Stationierung ausschließlich in Deutschland geplant sei, unterscheide die aktuelle Maßnahme vom NATO-Doppelbeschluss im Jahr 1979: Damals habe Bundeskanzler Helmut Schmidt „noch darauf hingewirkt, eine derartige Singularisierung unbedingt zu vermeiden“.[11]

Zudem sei die damalige Maßnahme „mit einem Angebot zur Rüstungskontrolle verbunden“ gewesen. Heute hingegen sei dies nicht der Fall.

„Verantwortungslos, naiv“

Während Beobachter warnen, „keinesfalls“ dürfe „der Eindruck entstehen“, die Bevölkerung werde „ohne Risikoabwägung vor vollendete Tatsachen gestellt“ [12], attackieren Politiker sowie Militärexperten jede Stellungnahme gegen die Stationierung der Mittelstreckenwaffen auf das Schärfste.

„Wir“ müssten „uns und unsere baltischen Partner schützen, auch durch verstärkte Abschreckung und zusätzliche Abstandswaffen“, behauptete Außenministerin Annalena Baerbock und erhob pauschal gravierende Vorwürfe gegen Kritiker: „Alles andere wäre nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“.[13]

Weshalb es „verantwortungslos“ sein soll, Einwände gegen die Stationierung von Waffen zu erheben, die nach Einschätzung von Experten die Atomkriegsgefahr erhöhen, erläuterte die Ministerin, deren Partei einst der Friedensbewegung nahestand, nicht.

„Desinformationsschleudern“

Zu Baerbocks Partei hat sich vergangene Woche Frank Sauer geäußert, ein Privatdozent an der Münchener Universität der Bundeswehr. „Bei der grünen Basis“ gebe es „schon seit langem ein Umdenken“, hielt Sauer fest:

„Ein Pazifismus im Stile der Bonner Republik wirkt heute für viele … aus der Zeit gefallen.“[14] Unabhängig davon, ob er „bei der Böll-Stiftung in Berlin oder bei einem Lokalpolitiker [der Grünen, d. Red.] in Bayern zu Gast“ sei: „Die meisten nehmen die Bedrohung durch Putin als gefährlicher wahr als eine westliche Aufrüstung.“

Jegliche Kritik an der Stationierung der Mittelstreckenwaffen denunziert Sauer, indem er erklärt, „das Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD“ schürten „falsche Ängste“:

Beide seien nur „Desinformationsschleudern“ und wollten „den Menschen jetzt aus innenpolitischen Motiven unnötig Angst vor dem Atomtod einreden“.[15] Sauers Aussage ist über ein Interview mit Chrismon an die Öffentlichkeit getragen worden, der Zeitschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

[1] Thomas Wiegold: Dokumentation: die – nun doch anlaufende? – Debatte über US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. augengeradeaus.net 20.07.2024.

[2] Till Ganswindt: Wer ist für den Bruch des INF-Abrüstungsvertrages zu Mittel- und Langstreckenraketen verantwortlich? mdr.de 16.07.2024.

[3] S. dazu Abschied vom INF-Vertrag (III).

[4] S. dazu Moskau in Schussweite.

[5] Jonas Schneider, Torben Arnold: Gewichtig und richtig: weitreichende US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. SWP-Aktuell 2024/A 36. 18.07.2024.

[6] Alexander Graef, Tim Thies, Lukas Mengelkamp: Alles nur Routine? ipg-journal.de 16.07.2024.

[7] S. dazu Die Erweiterung des Schlachtfelds.

[8] Alexander Graef, Tim Thies, Lukas Mengelkamp: Alles nur Routine? ipg-journal.de 16.07.2024.

[9] Matthias Krauß: Keine Atomwaffen für Brandenburg. nd-aktuell.de 19.07.2024.

[10] Thomas Wiegold: Dokumentation: die – nun doch anlaufende? – Debatte über US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. augengeradeaus.net 20.07.2024.

[11], [12] Alexander Graef, Tim Thies, Lukas Mengelkamp: Alles nur Routine? ipg-journal.de 16.07.2024.

[13] „Alles andere wäre naiv“. tagesschau.de 21.07.2024.

[14], [15] Constantin Lummitsch: „Sahra Wagenknecht und die AfD schüren falsche Ängste“. chrismon.de 17.07.2024.

Quellen: PublicDomain/sputnikglobe.com/german-foreign-policy.com am 25.07.2024

About aikos2309

One thought on “Russland schließt Einsatz von Atomraketen nach Stationierung von US-Raketen in Deutschland nicht aus

  1. Die Erkenntnis: keiner überlebt einen Atomkrieg. Jede kleinste moderne Atombombe ist hundert mal stärker als der’Knallfrosch‘ in Hiroschima gewesen ist. Egal wer die erste wirft, er bekommt Minuten später die atomare Antwort. Dreck erhebt sich in die Atmosphähre und durch den Dreck verdunkelt die Sonne, die Temperatur sinkt, der weltweite atomare Winter beginnt. Wer nicht durch die Folgen der atomaren Verseuchung stirbt, stirbt in der eisigen Kälte des atomaren Winters an Hunger da kein Tier oder Pflanze bei den Wintertemperaturen ohne Sonne überlebt. Wenn nach 10 oder 20 Jahren der atomare Winter, also der Dreck in der Atmosphähre verschwunden ist wird die Natur wahrscheinlich neu erwachen, die am ersten Frühlingstag nach einem langen Winter. Aber Menschen wird dann nicht mehr geben. Der atomare Winter, der lange Winter, hat auch die letzten Menschen getötet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert