Nach einer geführten Tour in die Abwasserkanäle Moskaus werden mehrere Menschen vermisst. Während heftiger Regenfälle war der Kontakt zu der Gruppe abgebrochen, die Angehörigen wandten sich an die Polizei. Drei Leichen wurden mittlerweile entdeckt.
Wie die Agentur TASS berichtet, haben am Sonntag nach vorläufigen Angaben acht Personen an einer Exkursion durch die unterirdischen Abwasserkanäle Moskaus teilgenommen. Wie viele Teilnehmer es genau waren, ist allerdings unklar. Zu den Vermissten könnten auch Minderjährige zählen.
Nach starken Regenfällen, die unter anderem mehrere U-Bahn-Stationen überflutet hatten, war die Kommunikationsverbindung mit der Gruppe abgebrochen. Die Angehörigen wandten sich daraufhin an die Polizei.
Nach vorläufigen Angaben stieg das Wasser während des Regens stark an, sodass die Digger (Personen, die Bauwerke im städtischen Untergrund erkunden; Anm. der Redaktion) kaum eine Chance hatten, hinaufzukommen.
„Unter den Vermissten befinden sich möglicherweise ein Mitarbeiter des größten russischen IT-Unternehmens, seine Tochter und sein Neffe. Die Informationen werden überprüft“, berichtet TASS.
Am Montag holten die Rettungsdienste der Stadt drei Leichen aus dem Moskwa-Fluss. Es soll sich um eine Frau, einen jungen Mann und ein Mädchen handeln. Die Suche nach dem Rest der Gruppe dauert an. Es wurde ein Strafverfahren eingeleitet.
Auf einer Webseite, die solche Führungen durch die Moskauer Unterwelt anbietet, heißt es, dass die Veranstaltung nicht bei Regen stattfindet. Weshalb trotz Unwetterwarnung die Tour dennoch abgehalten wurde, ist unklar. Ähnliche Expeditionen wurden am Montag nach Bekanntwerden des Vorfalls abgesagt.
Boris Tschernyschow, der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma, fordert nun die Einführung einer strafrechtlichen Haftung für das illegale Eindringen in alle unterirdischen Einrichtungen und städtischen Infrastruktursysteme.
Die gestrichelten Linien sollen nach Erkenntnissen des US-Verteidigungsministeriums die drei Gleise der „Metro 2“ sein. (Quelle: Military forces in transition, 1991, NATO Archives Online)
Der Mythos von der geheimen Moskauer „Metro 2“
Hartnäckig hält sich der Mythos, dass es unter dem Boden Moskaus ein zweites, geheimes U-Bahn-Netz gibt. Stalin soll es in Auftrag gegeben haben, um sich und seinen Führungsstab im Kriegsfalle in Sicherheit bringen zu können. (Geheime Unterwelt: Auf den Spuren von Jahrtausende alten unterirdischen Völkern (Video))
Selbst die US-Geheimdienste wollen von der sogenannten „Metro 2“ Kenntnis haben. Gefunden hat sie bisher aber keiner.
Es ist dunkel, die Kamera wackelt, im Schein einer schwachen Taschenlampe tauchen die Schemen einer Rolltreppe auf. Der Autor des Films läuft die Treppe hinunter, minutenlang. „Kinder, ihr glaubt gar nicht, was ich hier entdeckt habe. Vielleicht ist das die ‚Metro2‘?!“ Die Aufnahme endet abrupt mit Rufen aus dem Hintergrund. Vermutlich ist der Autor von Wachleuten entdeckt worden.
Das Aufspüren verlassener Metrostationen ist in Russland eine Art Volkssport. Sogenannte Digger begeben sich in den Untergrund, filmen sich dabei. Alles illegal. Besondere Herausforderung: Die „Metro 2“ in der Hauptstadt Moskau finden.
Ein Roman befeuert den Mythos „Metro 2“
Seit Anfang der 90er-Jahre hält sich in der russischen Hauptstadt hartnäckig der Mythos, dass es ein zweites U-Bahn-Netz gibt, neben der öffentlichen, zwölf Linien umfassenden Metro.
Den Begriff „Metro 2“ hat der russische Schriftsteller Wladimir Gonik in seinem Roman „Unterwelt“ geprägt. Darin beschreibt er detailgetreu eine Stadt unter der Hauptstadt. Inklusive einer eigenen Metro. Fantasie oder Realität?
Gonik besteht in einem Interview mit der Zeitung „Iswestija“ darauf, dass er sich nicht alles ausgedacht hat. Mit dem Bau der geheimen Metrolinie sei bereits in den 1930er-Jahren begonnen worden, um den Diktator Josef Stalin im Kriegsfalle in Sicherheit zu bringen.
Als vermeintlichen Beweis führt Gonik eine historische Szene an: „Im Jahr 1941 haben die Feierlichkeiten zur Novemberrevolution in der Metrostation ‚Majakowskaja‘ stattgefunden“, erzählt er. Damals wurde Moskau von den Deutschen bombardiert. Hunderttausende Menschen hatten sich vor den Angriffen in die Metrostationen geflüchtet.
Stalin kam in einem Zug zusammen mit Wachleuten angefahren. Er kam durch einen Keller in einem Spezialtunnel, der zur Metro führte. Es gab auch Tunnel, die zum Flughafen führten.
Das gesamte Zentrum ist untertunnelt in verschiedenen Tiefen. Breite, gut gepflegte Tunnel führten zum Kreml und zu den benachbarten U-Bahn-Linien.
Geheime Metro zu geheimer Stadt im Untergrund?
Für viele in Russland waren die Gerüchte über die Existenz einer „Metro 2“ lange Zeit Spinnerei. Plot aus einem Roman eben. Bis Jurij Sajzew auftauchte. Er betreibt eine eigene Internetseite, die sich ausschließlich der „Metro 2“ widmet.
Sajzew schreibt: „Zum ersten Mal hörte ich 1981 von dem U-Bahn-Tunnel, von meinem Onkel, einem Elektronikingenieur, der damals in einer der ‚Boxen‘ arbeitete, die mit Computern für die Armee verbunden waren.“ Seitdem habe ihn der Mythos „Metro 2“ nicht mehr losgelassen und er begann zu forschen. Sajzew beschreibt auf seinen Seiten detailliert den Verlauf der geheimen drei Metrolinien.
Die wichtigste, die Linie 1, sei 1967 in Betrieb genommen worden, Teile davon vermutlich auch schon früher. Sie sei 27 Kilometer lang und führe vom Kreml über die Lenin-Bibliothek bis nach Ramenki im Westen Moskaus.
Und hier wartet auch schon der nächste Mythos über die russische Hauptstadt. Unter Ramenki soll sich eine gesamte Stadt befinden. Im Falle eines Atomschlags sollten hier bis zu 15.000 Menschen Platz finden und überleben können. Monate, Jahre vielleicht sogar. Dass es ein unterirdisches Ramenki gibt, wie groß die geheime Stadt ist – bewiesen ist bis heute nichts.
Die gekennzeichneten Türme auf dieser Aufnahme vom Stadtgebiet südwestlich der Moskauer Lomonossow-Universität sollen nach Erkenntnissen des US-Verteidigungsministeriums die Aushubschächte für die geheime unterirdische Stadt Ramenki sein. (Quelle: Military forces in transition, 1991, NATO Archives Online)
US-Verteidigungsministerium soll Karte der „Metro 2“ erstellt haben
Für eine Existenz der „Metro 2“ bietet Sajzew einige Hinweise auf seinen Internetseiten an. Er zeigt eine Karte, angeblich erstellt vom US-Verteidigungsministerium, die den Verlauf der geheimen Metro zeigen soll. Sie stützt zumindest Sajzews Theorie, dass es drei Linien gibt.
Das Pentagon geht auf dieser Karte sogar davon aus, dass die erste Linie noch verlängert wurde und unter der Residenz von Michail Gorbatschow in den damaligen Lenin-Bergen endet. Er soll also in seiner Zeit als Präsident der Sowjetunion von der Existenz der „Metro 2“ gewusst haben.
Gleiches gilt für Boris Jelzin, der Gorbatschow nachfolgte. Sajzew schreibt: „Im Staatshaushalt von 1997 ist eine Summe für den Bau einer vierten Linie des „Metro 2-„Netzes vorgesehen. Diese Tatsache verursachte jedoch einen Skandal, weil die neue Linie der Geheimmetro mit US-amerikanischen Krediten gebaut werden sollte.“
Geheime Anlage angeblich unter Kontrolle des FSB
Heute soll sich die „Metro 2“ im Verantwortungsbereich des Inlandsgeheimdienstes FSB befinden – sofern es sie denn gibt. Denn die Staatsführung schweigt sich dazu aus. Doch wozu die Geheimhaltung?
Kenner wie Sajzew behaupten, dass die „Metro 2“ unterirdische Militäranlagen miteinander verbindet, gebaut im Kalten Krieg. Der ist zwar lange vorbei, doch die Anlagen seien nach wie vor einsatzbereit.
Offizielle Hinweise auf die Existenz der geheimen Metro gibt es nur wenige. Umso kostbarer sind für Geheimnisjäger wie Sajzew Aussagen wie die des langjährigen Chefs der Moskauer Metro, Dmitri Gajew: „Es wird viel geredet über die Existenz geheimer Transporttunnel. Ich werde nichts bestreiten. Ich wäre überrascht, wenn es sie nicht gäbe.“
Solche Aussagen befeuern die Neugier der Digger, die sich also weiterhin in den Moskauer Untergrund begeben werden, auf der Suche nach der sagenumwobenen „Metro 2“.
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Quellen: PublicDomain/de.rt.com/mdr.de am 21.08.2023