Die digitale Diktatur: Der Sozialkredit verbreitet sich in Europa

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Italien ist bereits auf den Geschmack des digitalen Belohnungs- und Sanktionssystems gekommen. Erste Ansätze finden sich auch in der Schweiz.

Erst nannte man es «dystopisch». Worum es beim Sozialkredit geht, konnte man in der Science-Fiction-Serie «Black Mirror» von 2016 mit Entsetzen betrachten. Im Jahr 2020 ist es in China Realität geworden. Italien ist das erste Land, das Chinas Beispiel folgte. [Auch in Österreich und Deutschland sind solche Systeme geplant; Anm. d. Red.] Folgt als nächstes die Schweiz?

Der Sozialkredit dringt nach Europa vor: Er bricht im Nordosten Italiens durch, 380 Kilometer vom Simplon entfernt, in der Emilia-Romagna, genauer gesagt in Bologna. Bologna, eine Stadt mit 394’374 Einwohnern, ist wegen ihrer Terrakotta-Ziegel, die in Reiseführern angepriesen werden – aber auch wegen des Kommunismus, dessen Hochburg sie ein halbes Jahrhundert lang war – unter dem Spitznamen «la Rossa» (die Rote) bekannt.

China – die erste digitale Diktatur der Welt

Der Sozialkredit wurde ab 2013 in einigen Provinzen Chinas getestet. Seit 2020 wird er im ganzen Land angewendet. 1,4 Milliarden Menschen sind der ersten digitalen Diktatur der Welt unterworfen. Den einzelnen Bewohnern werden ihren Handlungen entsprechend Punkte zugewiesen. Je weniger Punkte, desto weniger Rechte.

Zu diesem Zweck wurde eine Internetüberwachung eingeführt, die Geolokalisierung genutzt und das Denunziatentum gefördert. Rund 600 Millionen intelligente Kameras, die Gesichter trotz Maske erkennen können, wurden installiert, 2016 waren es noch 176 Millionen. Diese neue Stufe des Totalitarismus wurde in der Pandemie gezündet.

An den Helmen der Polizisten und in den öffentlichen Verkehrsmitteln werden Wärmebildkameras angebracht. Mit ihnen können sogar fiebernde Menschen aufgespürt werden.

Auch Drohnen werden eingesetzt; das Arsenal der Regierung ist immens. Kurzfristig sind 2,76 Milliarden Kameras geplant. Das Ziel der chinesischen Regierung bis 2030 ist nicht nur, die innere Sicherheit zu stärken, sondern auch, der weltweit führende Anbieter von künstlicher Intelligenz zu werden.(Die Körperfresser: Die Eugenik-Agenda der Neuen Weltordnung)

Wie soll das gehen?

Auch in China wurde der Sozialkredit anfangs nicht überall eingesetzt, und wo, dort sehr uneinheitlich. Aber im Grossen und Ganzen ging es darum, den vorbildlichen Bürger aufzuwerten und in den Vordergrund zu stellen. Manche waren stolz darauf, gross auf den Plakatwänden der Stadt abgebildet zu sein. Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, welches Ausmass das Phänomen mittlerweile angenommen hat, dem sei der Dokumentarfilm «Tous surveillés: 7 milliards de suspects» empfohlen, der allerdings vor der «Pandemie» gedreht wurde:

«Schlechte Bürger werden aus den Städten vertrieben, ihre Gesichter werden auf Leuchttafeln gezeigt, um sie zu demütigen. In einigen Provinzen haben die Behörden ihnen einen bestimmten Klingelton zugewiesen – ‹Die Person, die Sie zu erreichen versuchen, wurde vom Gericht schlecht bewertet, bitte ermutigen Sie sie, Verantwortung zu übernehmen, und helfen Sie ihr, das Gesetz zu respektieren.› Heute sollen mehr als 20 Millionen chinesische Bürger auf einer schwarzen Liste stehen.»

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Ab dem Schuljahr 2022 erwartet die Bologneser die «Smart Citizen Wallet». In der Zeitung Corriere di Bologna erklärte der Berater für die Digitale Agenda, Massimo Bugani, dass die Idee dem Mechanismus einer Punktesammlung im Supermarkt ähnelt: «Bürger werden erkannt, wenn sie ihren Müll trennen, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, gut mit Energie umgehen, keine Sanktionen seitens der Stadtverwaltung in Kauf nehmen und mit der Kulturkarte aktiv sind.»

Selbstverständlich geschieht dies auf freiwilliger Basis. Bisher ist es nur ein Experiment, das den Teilnehmern nur Vorteile bringt.

Hier einige Passagen aus dem oben erwähnten Dokumentarfilm:

«Erziehung ist notwendig, das soziale Kreditsystem ist der beste Weg, um eine Gesellschaft effektiv zu verwalten. Damit kann man nicht nur finanzielle Risiken und Bankrisiken unter Kontrolle bringen, sondern auch die moralische Erziehung, Ehrlichkeit und tugendhaftes Verhalten wiederherstellen. Die Problemlösung durch Sozialkredite besteht nicht darin, dass man ins Gefängnis kommt, wenn man gegen das Gesetz verstossen hat, sondern darin, dass der Rest der Gesellschaft dein Verhalten für falsch hält», erklärt Lin Junyue, Forschungsmitglied der Akademie der Sozialwissenschaften und Theoretiker des Sozialkredits.

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Er fügte hinzu: «Ich denke, wir haben eine gute technologische Methode eingeführt und ich hoffe wirklich, dass wir sie in ein kapitalistisches Land exportieren können. Ich finde, dass Frankreich unser Sozialkreditsystem schnell übernehmen sollte, um soziale Bewegungen zu regeln. Die Gelbwesten hätte es so nie gegeben, wir hätten das erkannt, bevor sie in Aktion traten.»

Dem Forscher zufolge sind Kambodscha, Sri Lanka, Chile und Polen am Sozialkreditsystem interessiert. Nach und nach wird der chinesische Big Brother auch exportiert. China entwickelt derzeit einen riesigen Investitionsplan im Wert von einer Billion Dollar, um seinen Handel mit dem Rest der Welt zu stärken. Dank dieses Projekts, das von Xi Jinping «Neue digitale Seidenstrassen» genannt wird, sollen 60 bis 80 Länder von der chinesischen Überwachungstechnologie profitieren können.

Und in der Schweiz?

Der Genfer Rechtsanwalt Yacine Rezki beobachtet die Situation in der Schweiz aufmerksam. Er definiert den Sozialkredit als «eine juristische Denkrichtung, die besagt, dass man den Menschen ihren freien Willen nehmen kann, indem man ihnen Anreize bietet, die das menschliche Verhalten normieren sollen. Dies bringt per se eine Massenüberwachung mit sich».

Seiner Meinung nach wäre der Strassenverkehr ein guter Ausgangspunkt. Als Beispiel führt er die Blackbox in Fahrzeugen an. Die Presse berichtete kürzlich darüber, dass die neuen Autos, die ab Juli 2022 auf den Markt kommen, mit einem Unfalldatenschreiber ausgestattet sein werden, ähnlich wie in Flugzeugen. Alles wird aufgezeichnet werden: Beschleunigung, Geschwindigkeit, Bremsen und die Verwendung der Blinker. Nach Ansicht von Meister Rezki «könnte man so alle Verhaltensweisen aufzeichnen und jeden Fahrer entsprechend belohnen oder bestrafen».

Würde unsere Verfassung in der Schweiz eine solche Entwicklung zulassen? Für Yacine Rezki lautet die Antwort: «Es ist durchaus denkbar, dass ein Bundesgesetz gegen gewisse Verfassungsgrundsätze verstösst. Es war der Wille des Gesetzgebers, zu sagen, dass es nicht Aufgabe der Richter ist, zu bestimmen, ob ein Gesetz gegen die Verfassung verstösst oder nicht, man vertraut dem Parlament und dem Volk, die die Wächter sind.»

Das führt uns zu einer Situation, die wir bereits im Zusammenhang mit der Pandemie beobachtet haben: Wenn wir für die Anwendung von Gesetzen stimmen, die gegen die Verfassung verstossen, dann sind wir nicht mehr ihre Garanten, sondern erlauben ihren Bruch.

Einige behaupten dennoch, dass der Sozialkredit in einer Demokratie unmöglich ist. Es fragt sich, wie wir den Begriff definieren. Für den Genfer Anwalt ist sozialer Kredit in der Demokratie möglich, solange man zumindest Wahlfreiheit hat. «Wenn man hingegen annimmt, dass Demokratie das Recht auf freien Willen, persönliche Souveränität, eine echte Gegenmacht, Transparenz und die Möglichkeit bedeutet, bestimmte Prozesse rückgängig zu machen, dann nein, das ist nicht vereinbar.»

Bereits bestehende Fehlentwicklungen

Stéphane Werly, der kantonale Datenschutzbeauftragte des Kantons Genf, sieht Ähnlichkeiten mit dem Belohnungssystem im Gesundheitsbereich. «Seit einigen Jahren werden auf freiwilliger Basis vernetzte Uhren von Krankenversicherungsgesellschaften im Austausch für Rabatte angeboten.

Das Problem bei diesen Uhren ist, dass die Daten in die Cloud gehen – und potenziell jeder sehen könnte, dass Sie dreimal pro Woche joggen gehen oder im Gegenteil, dass Sie nicht Ihre 2000 Schritte pro Tag machen und zwei Kilo zugenommen haben.»

 

Alexis Pfefferle, ausgebildeter Anwalt und im Bereich der digitalen Sicherheit tätig, verfasste 2018 einen sehr interessanten Artikel mit dem Titel «Die verbundene Uhr, Königin der Spione». Pfefferle sagt, es sei irrelevant, ob Sie jeden Tag zehn Kilometer laufen – die Verpflichtungen der Grundversicherung bleiben gleich. Was wertvoll ist, kommt vom GPS.

«Die Metadaten der kontinuierlichen Geolokalisierung sind eine ungeahnte Fundgrube für sehr persönliche Informationen.»

Zu den Beobachtungen von Anwalt Rezki befragt, bestätigt der Datenschutzbeauftragte Stéphane Werly einige Befürchtungen:

«Es stimmt, dass wir mit dem Covid-Zertifikat bereits eine Form von Sozialkredit gesehen haben. Im Unterschied zu diesem könnte der Bundesrat jedoch keine Rechtsregeln in Form einer Verordnung erlassen, um den Sozialkredit einzuführen. Nur ein Gesetz, das dem fakultativen Referendum unterliegt, könnte dies ermöglichen. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass es zu einer Situation wie in China kommen wird, da wir uns immer noch in einem anderen Regime befinden und eine klare gesetzliche Grundlage benötigen. Dürfen zum Beispiel Menschen, die rauchen, noch Zigaretten kaufen? Und wenn ich eine hohe Hypothekarschuld habe, ist das in Ordnung oder werde ich geächtet? Ansonsten wäre das der Beginn von Willkür und die Gefahr, in das chinesische System zu fallen.»

In Bezug auf den Datenschutz stellt Werly eine Zunahme der Fehlentwicklungen fest. «Leider hört man oft, dass die Leute sagen: Ich habe mir ja nichts zuschulde kommen lassen, also können Sie alle Daten nehmen, die Sie wollen.» Überall nimmt die Anzahl an Kameras enorm zu. Dennoch gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen: Die Installation der Kamera muss gerechtfertigt sein, und vor allem muss man Sie darauf hinweisen, dass Sie gefilmt werden.

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Trojanisches Pferd

«Zuerst braucht man Frieden und Stabilität, damit alle gut leben können. Und erst dann wird man über die Menschenrechte nachdenken», so der Theoretiker des Sozialkredits. Haben wir in der Schweiz zu lange auf der Spitze der Maslowschen Pyramide gelebt und uns zu sehr von der Realität der physiologischen Bedürfnisse abgekoppelt, um zu bemerken, dass sich der Wind dreht?

Wenn wir nur die Freiheit kennen, sind wir dann in der Lage, rechtzeitig zu erkennen, dass unsere Rechte eingeschränkt werden? Sind wir bereit, jede Technologie zu akzeptieren und die Trojanischen Pferde anzunehmen, mit denen man uns beschenkt? Überschreiten wir mit der Entwicklung der digitalen Geldbörse, die sich überall durchsetzen soll, und anderen verlockenden Dienstleistungen aus China, nicht eine rote Linie? Sollten nicht langsam die Sirenen losgehen, um uns zu wecken?

«Wenn wir tatsächlich in einer Demokratie leben, ist es noch nicht zu spät, die Maschine zu stoppen. Andernfalls wäre auch das nur ein weiteres Hirngespinst gewesen.»

Drei Fragen an Rechtsanwalt Yacine Rezki

Hätte die Schweiz eine Wahl, wenn die Europäische Union den Sozialkredit generell einführen würde?

Yacine Rezki: Da die Schweiz Teil einer geopolitischen Einheit ist, wäre es möglich, dass sie auf die eine oder andere Weise gezwungen wäre, diese zu übernehmen. Die Black Boxes in Fahrzeugen sind eine Regel der Europäischen Union, die die Schweiz übernimmt, wir haben uns daran angepasst.

Gibt es noch andere Bereiche, in denen wir unterworfen werden?

Der chinesische Staat plant, ausländischen Unternehmen, die mit ihm zusammenarbeiten wollen, eine Art Sozialkredit aufzuerlegen, so dass westliche Unternehmen auf diesen Mechanismus aufmerksam werden.

 

Was beunruhigt Sie daran?

Diese neue Art des Rechtsdenkens könnte sich auf alle Bereiche ausdehnen. Man sanktioniert nicht mehr, sondern schafft Anreize. Die Sanktionierung ist jedoch stark eingeschränkt, es gibt Verfahrensrechte und Schutzmechanismen. Wenn man davon ausgeht, dass es nur noch Belohnungen gibt und jeder sie bekommen kann, wird dies zur Norm und das Nichterreichen zur Sanktion. Beim Covid-Gesetz haben wir gut gesehen, dass die Möglichkeit, ins Restaurant zu gehen, als Belohnung dargestellt wurde. Aber wenn Belohnungen zu dem werden, was früher ein Recht war, dann ist das problematisch.

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Quellen: PublicDomain/transition-news.org am 22.05.2022

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