Das unzweifelhaft berühmteste Streitobjekt zwischen Mainstream- und Alternativ-Historik dürfte die so genannte ‚Bimini-Road‘ darstellen, die von Dr. J. Manson Valentine bekannt gemacht wurde.
Valentine, von Beruf Meeresbiologe, war auch ein passionierter Taucher und Unterwasser-Archäologe, der sich der Suche nach Relikten der legendären Atlantis-Zivilisation verschrieben hatte, wobei er in seiner Begeisterung nicht selten über das Ziel hinausschoss und verfrühte Erfolgsmeldungen in die Welt setzte. Bei Andrew Collins heißt es zur Bimini-Road und ihrer Entdeckung:
„Am 2. September 1968 […] wurden Valentine und seine Taucherkollegen zu einer Stelle etwa 800 Meter jenseits von Paradise-Point gebracht, vor der Nordinsel von Bimini. Dort zeigte ihnen ein einheimischer Führer namens Bonefish Sam die Unterwasserstruktur, die seitdem in aller Welt als die >Bimini-Straße< bekannt ist. Diese rätselhafte, 638 Meter lange Formation besteht aus einer doppelten Reihe enormer, regelmäßig geformter Steinblöcke, die fast vollständig im Sand versunken sind.
Manche der Steinblöcke haben eine glatte, kissenförmige Oberfläche von vier Quadratmetern. Jenseits dieses Abschnittes fand man ein Mosaik aus kleineren, rechtwinkligen Steinen von bis zu zwei Quadratmetern Fläche, das in einer 90-Grad-Kurve auf den nahen Strand zu verläuft. Die Steine sind so angeordnet, dass das Ganze die Gestalt des Buchstaben J hat. Hinter der Kurve geht die Straße noch 110 Meter weiter, bis sie schließlich im Sand verschwindet. Auf den bersten Blick scheint die Straße parallel zum Strand zu verlaufen, aber in Wirklichkeit bildet sie mit der Küstenlinie einen Winkel von 14 Grad und hat eine klare Süd-West-Achse.“
Wie im Fall des so genannten ‚Tempels von Atlantis‘, dessen Entdeckung er kurz zuvor bekannt gegeben hatte, war Valentine auch hier fest davon überzeugt, auf ein Bauwerk gestoßen zu sein, welches von einer urzeitlichen Hochkultur erbaut worden sein musste.
Diese zweite ‚Sensationsmeldung‘ innerhalb kurzer Zeit löste nicht nur einen wahren Atlantis-Hype in einer ohnehin erwartungsfrohen Öffentlichkeit aus, sondern auch einen weiteren Zustrom von mehr oder minder qualifizierten Atlantisforschern und Amateur-Archäologen, die vor allem bei Bimini auf die Suche nach prähistorischen Artefakten begaben. Die leicht zugängliche Bimini-Road wurde ebenso schnell zur Touristen-Attraktion wie zum Zankapfel zwischen Mainstream- und Alternativ-Forschung, zwischen Gegnern und Verfechtern der These einer ‚Bimini-Atlantis‘-Kultur.
Für die ‚Scientific community‘ stand ein artifizieller Ursprung der Bimini-Road zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zur Diskussion. In einer Reihe von Untersuchungen und Studien kamen beispielsweise Harrison (1971), Gifford (1973), McKusick und Shinn sowie Ball und Gifford (1980), weitgehend einhellig zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Material der ‚Straße‘ um natürliches holozänes, bzw. pleistozänes Küstengestein handle.
Ihre Arbeiten werden auch heute noch immer wieder gerne zitiert, wenn eine natürliche Entstehung des gesamten Komplexes ‚bewiesen‘ werden soll, wobei wenig bekannt ist, dass zumindest John Gifford differenzierter als seine Kollegen argumentierte und zu Bedenken gab, dass – sofern die Steine durch „geologische Belastung“ [orig.: „geological stress“] entstanden seien – eigentlich noch weitaus mehr von ihnen, und über ein größeres Gebiet verteilt, existieren müssten (Gab es Atlantis? Was die biblische Geschichte uns sagen kann (Video)).
Letztlich kam er dann auch zu dem, vorsichtig formulierten, Schluss, dass bezüglich der ‚Bimini Road‘ „keine der Evidenzen einen Eingriff durch Menschen beweiskräftig widerlege.“
Zu einem eindeutigen Befund, der die Annahme eines künstlichen Ursprungs massiv stützt, kam beispielsweise Dr. (nach anderen Quellen Prof.) David Zink, ein alles andere als unkritischer Forscher, der z. B. Valentines „Atlantis-Tempel“ durch seine Untersuchungen sehr gründlich entzauberte. Klaus Aschenbrenner berichtet in „Das neue Bild von Atlantis“ ausführlich über die Ergebnisse von Zinks Erforschung der Biministraße:
„Prof. Zink und die anderen Expeditionsteilnehmer unterzogen die Felsblockreihen der von M. Valentine entdeckten Biministraße einer eingehenden Untersuchung. Als erstes beeindruckte die Wissenschaftler die Form und die Dimension der steinernen Anlage. Bei einer Länge von fünfhundertachtzig Metern besaß sie die Gestalt eines riesigen J. Möglicherweise besaß die Steinkonstruktion ursprünglich eine U-Form, da in der Verlängerung des runden Bogens weitere Steinreihen aus dem Sand hervorragten. Sehr schnell war man sich über den künstlichen Ursprung der Anlage im Klaren.
Zwar waren die über drei Meter langen Blöcke, wie die Gesteinsanalysen ergaben, aus Küstenfels angefertigt, jedoch waren die Unterschiede zu dem natürlich gewachsenen Gestein deutlich erkennbar. Sowohl der Abstand der Rillen zwischen den Blöcken als auch die Richtung der Rillen waren anders.
Beim natürlichen Fels verlaufen die Rillen parallel zueinander und bilden mit der Küstenlinie einen rechten Winkel. Wahrscheinlich wurden die Rillen durch die Meeresbrandung und dem von ihr mitgeführten Sand im Laufe der Zeit aus dem Gestein herausgeschliffen. Die Rillen zwischen den von Menschenhand aufgestellten Blöcken zeigen die unterschiedlichsten Richtungen (Rätselhafte unterirdische Anlage Othanica – ein Vermächtnis aus Atlantis in den Pyrenäen).
och wichtiger für den Nachweis einer künstlichen Entstehung war die Entdeckung, daß einzelne besonders große Blöcke äußerst sorgfältig aufgestellt waren. Die Erbauer der Steinanlage hatten dies[e] Riesenblöcke an ihren Ecken mit kleinen Blöcken unterstützt, um eine waagerechte Lage zu erreichen. Doch D. Zink gab sich mit diesen an sich schon überzeugenden Befunden nicht zufrieden. Er nahm Gesteinsproben von mehreren benachbarten Blöcken und ließ diese an der Old Dominion University in Virginia analysieren.
Dabei stellte es sich heraus, daß bei manchen Blöcken das Kalziumkarbonat als Aragonit, bei anderen in Form von Kalkspat auskristallisiert war. Damit war ausgeschlossen, daß sie an Ort und Stelle auf natürlichem Wege entstanden waren. Man mußte sie einst von verschiedenen Entstehungsorten zu der Baustelle heran transportiert haben.“
Einiges Kopfzerbrechen mag nun die Frage auslösen, wie – bei einer peniblen Arbeitsweise, die wir hier allen genannten Forschern unterstellen – so unterschiedliche, einander scheinbar ausschließende, Forschungsergebnisse am selben Objekt zu erklären sind. Irrt Zink, oder haben Harrison, Shinn & Co. fehlerhaft gearbeitet? Oder gibt es da vielleicht noch eine dritte Möglichkeit, die bisher übersehen wurde? Haben, so verwirrend dies zunächst klingen mag, möglicherweise BEIDE Seiten korrekte Ergebnisse erbracht?
Eine mögliche Lösung des Rätsels der ‚Bimini-Road‘ könnte uns das Yonaguni-Modell liefern, das Prof. Masaaki Kimura zu den Funden zyklopischer Steinstrukturen nicht weit entfernt von der japanischen Groß-Insel Hokkaido entwickelt haben. Auch dort findet eine hitzige Diskussion um die Frage statt, ob diese Strukturen natürlichen oder artifiziellen Ursprungs sind. Prof. Kimura stellte nun nach seinen Untersuchungen des Objekts die Theorie vor, es handle sich bei der Yonaguni-Anlage um eine ursprünglich auf natürlichem Wege entstandene Felsformation, die später – zu einem Zeitpunkt als die Meeresfluten sie noch nicht überspülten – von Menschenhand künstlich weiter bearbeitet und ausgebaut wurde (Die verlorenen Kontinente Atlantis und Lemuria: Breiten- und Längengrade).
Wenn wir voraussetzten, dass Strukturen wie die Bimini-Road oder die Felsen von Yonaguni Reisenden und Entdeckern urzeitlicher Kulturen – je nach ihrem zivilisatorischen Entwicklungsstand als Bauwerke von Riesen, Göttern oder womöglich auch ihrer eigenen, fernen Vorfahren erschienen sein müssen, dann liegt es mehr als nahe, dass diese als heilig und bedeutungsvoll empfundenen Orte von ihnen genutzt wurden.
Dabei könnten dann den „unfertigen“ alten Strukturen eigene Bausubstanz oder andere Applikationen hinzugefügt worden sein. Im Fall von Bimini erscheint es durchaus logisch, dass für solche Ausbauarbeiten das gleiche Material Verwendung fand, aus dem auch die vermutlichen „Originalteile“ des Komplexes bestehen: aus pleistozänem Küstengestein.
Ein solches Modell könnte die scheinbaren Widersprüche erklären und auflösen, die sich aus den kontroversen Untersuchungs-Ergebnissen der Vergangenheit ergeben. Es wirft jedoch zwangsläufig auch neue Fragen und neue Probleme auf. So ist ein solches Großprojekt wie die vermutete „Restaurierung“ der Biministraße kaum als spontane Aktion einer kleinen Reisegruppe vorstellbar.
Wie bei den mysteriösen Steinkugeln von Costa Rica finden wir jedoch auch rund um Bimini wenig verwertbare, archäologische Spuren, die einen klar erkennbaren Siedlungs- oder Kulturraum definieren würden, dem sich die Biministraße zuordnen ließe. Auch zweifelsfreie Belege für den konkreten Zusammenhang der vermuteten Bimini-Kultur mit dem platonischen Atlantisbericht konnten bisher nicht erbracht werden.
Neben der ‚Bimini Road‘ wurden zwar – vor allem von Flugzeugen aus – auch eine ganze Reihe von weiteren Strukturen am Meeresgrund der Bahama-Bank entdeckt, die dazu führte, dass die Sensationspresse sich immer wieder ‚überschlug‘: So geisterten in den Gazetten Mauern und Gebäudereste, ein steinerner Atlantis-Tempel, Treppen, Säulen, Steinkreise, Pyramiden und gepflasterte Straßen herum. Vieles davon gehört allerdings in die Rubrik Fakes, Flops und Fehlinterpretationen rund um die Bahamas, mit denen wir uns ausgiebig an anderer Stelle beschäftigen.
Tatsächlich gibt es jedoch auch eine ganze Anzahl von Beobachtungen und Entdeckungen, die weitaus ernster zu nehmen sind und nun weiterer Erforschung bedürfen. Gerade, nachdem der große Atlantis-Hype der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wieder abgeklungen war, begann eine stillere, aber keineswegs fruchtlose Forschungsarbeit rund um Bimini, die nicht zuletzt auch ihren Nutzen aus der Weiterentwicklung wissenschaftlicher Technologien, z.B. der Side-Scan-Sonartechnik, ziehen konnte.
Eine neue Generation ebenso professioneller wie idealistischer und hartnäckiger Forscher, wie William M. Donato, Ron Smith, oder Dr. Lora und Dr. Greg Little ist in den 90er Jahren angetreten, um die vielen offenen Fragen zu klären, die mehr als ein Vierteljahrhundert zuvor durch die Vorarbeit Valentines, Rebikoffs, Zinks und all die anderen, weniger bekannten, Forscher ihrer Zeit aufgeworfen wunden (Atlantis: Säulen des Herakles).
Was die Bimini Road angeht, so spielt es letztendlich fast keine Rolle mehr, ob sie „nur“ ein reines Wunderwerk der Natur ist, oder ob sie vom Menschen geschaffen, bzw. bearbeitet und genutzt wurde.
Schon jetzt ist diese Formation legendär und zu einem Symbol für die Suche nach Überresten einer verschollenen Zivilisation in der gesamten Region geworden, so dass sie in jedem Fall zu Recht eine ‚Straße nach Atlantis‘ genannt werden darf.
Literatur:
Neue Erkenntnisse: Beweise für einen Besuch von Außerirdischen in vorgeschichtlichen Zeiten