Der Ölpreiskrieg macht derzeit Schlagzeilen. Interessant dabei sind nicht nur die Fakten in dem Poker um die Macht am Ölmarkt, sondern auch die Motive der beteiligten Staaten. Wie immer hilft zum besseren Verständnis die Chronologie der Ereignisse.
Über Jahre haben die OPEC und Russland als OPEC-Plus zusammengearbeitet und die Ölpreise stabil gehalten. Dabei haben sie auch ihre Ölförderung reduziert, um das Preisniveau zu halten. Wer nicht mitgespielt hat, waren die USA. Von Thomas Röper
Dort hat die US-Frackingindustrie die recht hohen Preise genutzt, um Marktanteile zu auf Kosten der anderen Erdölförderländer erobern. Das Fracking-Öl ist aber nur bei einem Preis von über 50 Dollar rentabel, da sowohl Förderung, als der Transport als Flüssiggas teuer sind.
Die OPEC-Plus hat dem Treiben der USA mit geballter Faust in der Tasche zugeschaut, denn auch die OPEC-Plus-Länder brauchen hohe Ölpreise. Saudi-Arabien braucht, um die Bevölkerung mit sozialen Wohltaten ruhig zu halten, einen Ölpreis von über 80 Dollar. Russland rechnet in seinem Staatshaushalt, nachdem es der Preisverfall beim Öl Ende 2014 hart getroffen hat, nun mit einem Ölpreis von ca. 40 Dollar.
Russland hat aus 2014 gelernt und kalkuliert mit einer hohen Sicherheitsreserve, wenn man bedenkt, dass der Ölpreis normalerweise bei 60 oder mehr Dollar stand. Und die US-Frackingindustrie braucht, wie gesehen, einen Preis von mindestens 50 Dollar.
Der Preisverfall auf zeitweise unter 20 Dollar tut also allen weh. Trotzdem ist er eingetreten – oder besser eingetreten „worden“ -, denn er war vermeidbar. Und das kam so:
Als die Nachfrage nach Öl im Zuge der Coronakrise gesunken ist, haben sich die OPEC-Plus-Staaten Anfang März getroffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Russland wollte keine voreiligen Entscheidungen treffen und war gegen radikale Maßnahmen. Man wurde sich nicht einig. Das nutzten die Saudis, um OPEC-Plus als gescheitert zu erklären und sie haben ihre Fördermengen auf Rekordhöhe getrieben und noch zusätzlich hohe Rabatte auf ihr Öl angeboten. Am 9. März, dem sogenannten „Schwarzen Montag“ brachen die Ölpreise um fast 40 Prozent ein und mit ihnen auch die Börsen (Das russische Fernsehen über den Ölpreiskrieg und die Aussichten für die Weltwirtschaft).
Im Westen konnte man immer wieder lesen, Russland wäre am Scheitern der OPEC-Plus schuld, weil Russland nicht zu einer Senkung der Förderung bereit war. So einfach ist es jedoch nicht. Russland hat ein einziges Interesse und das kann man von allen russischen Offiziellen – inklusive Präsident Putin – immer wieder hören: Russland will einen stabilen und berechenbaren Ölpreis.
Russland wollte Panikreaktionen vermeiden und nicht hektisch auf die Verwerfungen an den Märkten reagieren. Zu einer Senkung der Förderung war Russland bereit, aber nicht zu hektischen Panikreaktionen.
Das konnte man diversen Berichten im russischen Fernsehen beobachten und an den Äußerungen der russischen Vertreter. Ich habe einige dieser Beiträge übersetzt, zum Beispiel am 16. März, am 19. März und am 23. März.
Sei es, wie es sei, jedenfalls hat Saudi-Arabien genau das getan, was Russland verhindern wollte: Es hat den Markt aus den Angeln gehoben. Die Spekulationen, warum Saudi-Arabien das getan hat, sprießen. Die deutschen „Qualitätsmedien“ berichten vorzugsweise von einem Ölpreiskrieg zwischen Russen und Saudis, dabei dürtfe der Grund ein anderer sein.
Die Saudis haben in der Zeit der OPEC-Plus den US-Markt fast vollständig verloren. Da die US-Frackingindustrie hoch verschuldet ist, kann sie einen Preiskampf nicht lange durchhalten und mit neuen Krediten sieht es in Zeiten von Corona auch nicht rosig aus, die Banken haben ganz andere Sorgen. Außerdem bedeutet der Verlust der US-Abhängigkeit vom saudischen Öl auch einen großen politischen Machtverlust für Riad.
Die Saudis scheinen die Gelegenheit ergreifen zu wollen, das Ruder herumzureißen, indem sie die US-Firmen in die Pleite treiben und sie aufkaufen und sich so die US-Frackingindustrie unter den Nagel reißen. Damit hätten sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Erstens hätten sie die Marktanteile am US-Markt zurückerobert und zweitens würde ihre politische Macht in Washington wieder steigen.
Es ist also für alle Beteiligten ein Pokerspiel mit sehr hohem Einsatz.
Die US-Frackingindustrie hat sich letzte Woche mit einem Hilferuf an das Weiße Haus gewandt. Dort wurden hektisch viele Möglichkeiten diskutiert, auch hohe Zölle auf ausländisches Öl, alles nur, um die US-Frackingindustrie zu retten.
Am Ende jedoch gab es wohl hinter den internationalen Kulissen auf allen Seiten eine gewissen Kompromissbereitschaft.
Für Montag war eine Videokonferenz der OPEC-Plus geplant, die aber – offensichtlich, weil man sich noch nicht einig war – auf Donnerstag verschoben wurde.
Im Vorwege hatte Putin angekündigt, dass Russland zu einer Reduzierung der Förderung bereit sei, er sprach davon, dass die weltweite Förderung um zehn Millionen Barrel pro Tag gesenkt werden müsse und schloss innerhalb eines Monats auch eine Reduzierung um zwanzig Millionen Barrel nicht aus, was knapp zwanzig Prozent der weltweiten Förderung ausmacht. Putin sagte dazu am Freitag weiter:
„Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Partnern in Saudi-Arabien. Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir alle sind besorgt über die gegenwärtige Situation, alle sind an einer gemeinsamen und, wie ich betonen möchte, konzertierten Aktion interessiert, um die langfristige Stabilität des Marktes zu gewährleisten.“
Putin unterstrich dabei aber, dass die OPEC-Plus dazu ihre Kräfte bündeln müsse, und „mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten muss.“
Das dürfte einer der Knackpunkte sein, denn die USA haben sich bisher immer geweigert, ihre Fördermengen mit irgendwem zu koordinieren oder sie gar gemeinsam mit anderen zu senken. Dabei berufen sich die USA auf ihre Anti-Monopolgesetze, die solche Absprachen verbieten. Das man Gesetze auch ändern kann, hat man in den USA lächelnd ignoriert, schließlich hat man dort jahrelang von dieser Ausrede profitiert und die USA wurden zum größten Erdölproduzenten der Welt.
Aber Russland und Saudi-Arabien werden kaum bereit sein, die Kosten der kommenden Rezession alleine zu tragen, während die USA so tun, als gingen sie die Probleme der ölfördernden Länder nichts an. Eine einseitige Reduzierung der Ölförderung durch die OPEC-Plus dürfte es kaum geben.
Wenn man Verschwörungstheorien mag, dann kann das hier sogar eine Verschwörung sein: Wer weiß, ob nicht Russland und Saudi-Arabien am Schwarzen Montag nur eine Show abgezogen und in Wahrheit „guter Cop, böser Cop“ gespielt haben, um die USA endlich zu einem Einlenken zu bewegen. Ausgerechnet die US-Partner in Saudi-Arabien haben mit ihrem Frontalangriff auf den Ölpreis den bösen Cop gespielt. Ausgeschlossen ist eine solche Absprache zwischen Russland und den Saudis hinter den Kulissen nicht, vor allem nicht, wenn man im Hinterkopf hat, wie gut sich die Beziehungen zwischen den Saudis und den Russen in den letzten Jahren entwickelt haben. Aber das ist rein spekulativ, handfeste Hinweise gibt es darauf keine.
Jedenfalls hat ein russischer Verhandlungsteilnehmer am Montag mitgeteilt, man stehe mit Saudi-Arabien kurz vor einer Einigung. So zumindest lauteten die Überschriften, aber was er tatsächlich gesagt hat, war:
„Ich denke, der gesamte Markt versteht, dass diese Vereinbarung wichtig ist und dass sie dem Markt viel Stabilität bringen wird, viel wichtige Stabilität, und wir sind sehr nah dran.“
„Der gesamte Markt,“ das schließt die USA mit ein.
Wir dürfen gespannt sein, ob es am Donnerstag zu der entscheidenden Videokonferenz kommt und was dann beschlossen und verkündet wird.
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
Literatur:
Die Angst der Eliten: Wer fürchtet die Demokratie?
Wehrt Euch, Bürger!: Wie die Europäische Zentralbank unser Geld zerstört
Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle
Wer regiert das Geld?: Banken, Demokratie und Täuschung
Quellen: PublicDomain/anti-spiegel.ru am 09.04.2020