Senkt die EZB den Leitzins in den negativen Bereich? Es spricht einiges dafür. Die Folgen für Sparer, Banken und die Wirtschaft wären fatal. Die Commerzbank tut es, die Deutsche Bank tut es – und die Volks- und Raiffeisenbanken sind ebenfalls dabei.
Sie alle planen den Bruch des letzten Tabus. Bislang schreckten mehr als 90 Prozent der 1300 Banken und Sparkassen in Deutschland davor zurück, Privatkunden Strafzinsen abzuknöpfen.
Doch der Druck auf die Geldhäuser ist längst zu groß. Minus 0,5 Prozent müssen die Institute berappen, wenn sie über Nacht Gelder bei der EZB parken – eine Milliardenbelastung für die gesamte Branche!
Daher wird nun Wirklichkeit, wovor EZB-Kritiker schon lange warnen: Die Banken bitten bald nicht mehr nur Firmen für die Verwahrung ihrer Einlagen zur Kasse, sondern auch Privatkunden. Auf den Punkt gebracht: Wer sparen will, zahlt künftig drauf!
Lagarde: Boden bei Minuszinsen noch nicht erreicht
Unter der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde dürfte sich die Politik der Minuszinsen sogar noch verschärfen. „Es gibt eine Grenze, wie weit und wie tief man in den negativen Bereich vordringen kann“, sagte Lagarde jüngst in einem Interview. „Es gibt bei allem einen Boden, aber den haben wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erreicht.“
Angesichts solcher Äußerungen ist wahrscheinlich, dass die EZB bald der Geldpolitik von Japan oder der Schweiz nacheifert – und ebenfalls einen negativen Leitzins einführt. Spätestens in der nächsten Rezession dürfte es so weit sein. In der Vergangenheit mussten die Zentralbanken die Zinsen um etwa vier bis fünf Prozentpunkte senken, um eine Krise zu stoppen. Bei einem derzeitigen Leitzins von null ist klar, wohin die Reise dann geht.
Für Bankkunden wäre dies der Super-GAU. Die Geldinstitute wären unweigerlich gezwungen, nicht nur ihre vermögende Privatkundschaft mit Strafzinsen zu belasten. Bis dato gelten Freigrenzen von 100.000 Euro und mehr. Das wäre dann passé. Auch die Sparvermögen von Kleinsparern müssten dann dran glauben – sie würden ebenfalls entwertet.
Für die Banken wäre ein negativer Leitzins ebenfalls ein Riesenproblem. Zumal die EZB mit ihrer Politik des ultrabilligen Geldes die Geschäftsmodelle der Banken ohnehin bereits stark strapaziert hat (Sparer aufgepasst! Deutschen drohen Negativzinsen von minus 4 Prozent und mehr!).
Zombiefirmen schaffen Zombiebanken: Neue Krise droht
Die wichtigste Ertragssäule der Geldhäuser – das Zinsgeschäft – ist mit der Abschaffung des Zinses in der Euro-Zone faktisch eliminiert. Platt gesagt: Gelder günstig einholen und sie teurer wieder verleihen. Was sich einfach anhört, ist in Wirklichkeit eine hochkomplexe Angelegenheit. In einer Welt von Null- und Minuszinsen ist es für die Institute unmöglich, eine vernünftige Zinsmarge zu verdienen. Davon hingen lange Jahre jedoch knapp 80 Prozent der Erträge der Banken ab.
Kein Wunder, dass die Börsenbewertungen vieler europäischer Geldhäuser rapide in den Keller gerauscht sind. Die Börsen antizipieren, dass die Institute nicht sicherer und stabiler sind als vor der letzten Krise. Sie sind vielmehr wieder zu einem systemischen Risiko mutiert. Gut möglich, dass sich schon bald die nächste große Bankenkrise über Europa zusammenbraut (Repocalypse – die Finanzkrise ist zurück).
Denn die EZB hat mit ihrer Politik des ultrabilligen Geldes vielen Firmen, die längst insolvent sein müssten, erlaubt, am Leben zu bleiben. Diese Zombieunternehmen führen nun ein bedrohliches Eigenleben in den Bilanzen vieler Banken. Die Existenz von Zombiefirmen zieht unweigerlich die Existenz von Zombiebanken nach sich. „Der große Knall ist nur eine Frage der Zeit“, sagt EZB-Kritiker Marc Friedrich.
Im Lichte dessen ist der Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), über einen europäischen Einlagensicherungsfonds die nationalen Sicherungssysteme für Banken zu ergänzen, hochproblematisch. Die Idee: Gerät eine Bank in Schieflage, könnte sich der betroffene Staat auch Geld vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) holen.
Dessen stärkster Stabilitätsanker wiederum ist Deutschland. Ergo: Die Einlagen italienischer oder griechischer Sparer wären in einer Bankenkrise somit weitgehend geschützt – mit den Mitteln deutscher Steuerzahler (Zwei Experten – eine Meinung: Börsencrash 2020 (Video)).
Absurdes System
Ein negativer Leitzins dürfte den Ausbruch einer kommenden Krise jedoch kaum verhindern. Im Gegenteil: Es ist wahrscheinlich, dass er die marktwirtschaftliche Ordnung sogar weiter destabilisiert – und dem ohnehin schwächelnden Produktivitätswachstum in der Euro-Zone endgültig die letzte Ölung verpasst (Crashgefahr: Heimliche Krisensitzungen wie bei den Pleiten von LTCM und Lehman Brothers).
Denn Geld, das keinen Preis mehr hat, zieht unweigerlich zwei Dinge nach sich: erstens schlechte Investitionen, die sich nicht mehr rechnen müssen. Und zweitens eine kolossale Ausweitung der extremen Schuldenberge.
In einer Welt von Negativzinsen hätten hochverschuldete Firmen und Staaten keinerlei Anreiz mehr, ihre Kreditlasten zu reduzieren. Stattdessen würden sie ihre Verschuldung weiter in die Höhe treiben – und würden dafür sogar Geld bekommen. Schon heute können manche Staaten sich zum Nulltarif mit Krediten vollsaugen.
Viele europäische Staatsanleihen weisen bereits negative Renditen aus. Gut für die Schuldner, schlecht für Sparer, die mit Zinsprodukten fürs Alter vorsorgen. Während die Zinslasten für verschuldete Staaten sanken, mussten deutsche Lebens- und Rentenversicherungen hohe Zinsverluste einstecken. Viele Versicherer mussten ihre Überschussbeteiligungen senken. Ein flächendeckender Minuszins würde dieses absurde System nur noch verstärken.
Die EZB würde endgültig alles auf eine Karte setzen – der gefährlichste Zock der Geldgeschichte.
Literatur:
Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab
Wehrt Euch, Bürger!: Wie die Europäische Zentralbank unser Geld zerstört
Die Nullzinsfalle: Wie die Wirtschaft zombifiziert und die Gesellschaft gespalten wird
Quellen: PublicDomain/Focus am 01.12.2019