Keine Spritzmittel, keine großen Traktoren – aber zehn Mal mehr Ernte: Wie das geht, zeigen Landwirte in der Normandie.
Im Gewächshaus gedeiht der Wein bis dicht unters Dach, darunter wachsen Tomaten, darunter Basilikum. Auf dem Hof Bec Hellouin in der Normandie stehen die Pflanzen dicht an dicht, jede hat mehrere Funktionen: „Wein bringt Feuchtigkeit, Basilikum vertreibt Schädlinge“, erklärt die Landwirtin Perrine Hervé-Gruyer im Dokumentarfilm „Tomorrow“. Wieder andere Pflanzen sorgen für Nährstoffnachschub oder bringen Schatten. Der Plan dahinter: Vielfalt auf engstem Raum, ein in sich gesunder Kreislauf.
Ehemann Charles führt zu einem Feld: ehemals Wiese, schlechter Boden. Doch dank ihrer Methode, der Permakultur, bringe es nach acht Jahren Umstellung jedes Jahr mehr Ernte, ohne Kunstdünger, ohne Spritzmittel.
„Wir ernten mit der Hand so viel wie ein Traktor auf zehn Mal so viel Land“, sagt Charles. Der Ertrag wird steigen, bei gleichem Aufwand und niedrigeren Kosten. In der Permakultur plant man langfristig und gemäß den Gegebenheiten. Basis sind mehrjährige Sträucher und Bäume, dazwischen die intensiven, einjährigen Pflanzen.
Landwirt Masanobu Fukuoka entdeckt: Ohne Zutun gedeiht sein Feld am besten
Einer der Wegbereiter der Permakultur ist der Japaner Masanobu Fukuoka (1913–2008). Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte er, dass sein Feld sich am besten ohne Zutun entwickelte, wenn auch nach einer anderen Logik, als er angenommen hatte. Mit seinen Erkenntnissen half er armen Kleinbauern weltweit. Die ältesten Permakulturfarmen stehen in Australien und Kalifornien, wo seine Schüler weiter forschen.
Mehr Ertrag, weniger Kosten: Warum machen das nicht längst alle? Jonas Gampe vom Verein Agrarwende sagt: „Eine Hürde sind die höheren Kosten bei der Umstellung, weil die Ernte nicht sofort maximal ist.“
Politik und Landwirtschaftsschulen beachteten die Permakultur nicht. Trotzdem bleibt der Garten-Landschaftsbau-Techniker gelassen. „Die Zeit spielt uns zu – Klimawandel, Verseuchung und so weiter –, leider ist immer ein Kollaps nötig, damit ein Umdenken passiert“, sagt er.
Immerhin: In Deutschland werden die Vereine, Gartler und Planungsbüros mehr. Hilfreich wäre es, wenn es fünf Schauhöfe von mindestens 50 Hektar gäbe, sagt Gampe. Sie könnten zeigen, dass Permakultur in deutschen Agrarbetrieben gut funktionieren würde (Verbotenes Gemüse: Altes Saatgut (Video)).
(So wie viele Naturvölker in Asien pflanzen Permakulturbauern unterschiedliche Gemüsesorten auf kleinem Raum)
Zukunftsweisende Landwirtschaft
Es waren Bill Mollison und David Holmgren, die Mitte der 1970er-Jahre in Australien das Konzept der Permakultur entwickelten. Ihre Ideen zum Aufbau langfristig ertragreicher landwirtschaftlicher Systeme verstanden sie als nachhaltigen Gegenentwurf zum vorherrschenden industriellen Agrarsystem. Im Prinzip „entdeckten“ sie die Kreisläufe des in Europa bereits existierenden Biolandbaus neu und verknüpften sie mit den Anbaumethoden von Naturvölkern. Mollison und Holmgren erhielten dafür 1981 den Alternativen Nobelpreis.
Wie funktioniert Permakultur?
„Permakultur ist ein Konzept, das auf die Schaffung von dauerhaft funktionierenden, nachhaltigen und naturnahen Kreisläufen zielt“, sagt David Holmgren. Als ethische Leitprinzipien gelten ein achtsamer Umgang mit der Erde, den Menschen und ein fairer Austausch von Ressourcen.
Systemisches Denken und Planen mit der Natur ist ebenso wichtig, wie das Gestalten sich selbst erhaltender Lebensräume. Die natürlichen Ressourcen sollen nicht ausgebeutet werden und mit ganzheitlichem Denken sollen sich selbst erhaltende Kreisläufe entstehen.
Inzwischen wird Permakultur weltweit praktiziert, in privaten Gärten ebenso wie auf mittelgroßen Bauernhöfen. Es gibt zunehmend Quereinsteiger, die sich Permakultur aneignen. Meistens kommen diese Menschen aus ganz anderen Berufen und entschließen sich ein Stück Land nach den Prinzipien der Permakultur zu bewirtschaften.
Die Organic Farm Bec Hellouin in der Normandie gilt weltweit als ein besonders gelungenes Beispiel für diese Form der Landwirtschaft. Bislang hat sich Permakultur vor allem beim Gemüseanbau bewährt. Inzwischen wird auch der Anbau von Getreide nach den Prinzipien der Permakultur erprobt (Kleingärtner als Schwerkriminelle: 25.000 Euro Strafe für den Anbau alter Obst- und Gemüsesorten (Video)).
(Vielfältig bepflanzte Hügelbeete schaffen einen eigenen Mikrokosmos, der sich selbst schützt und die Bodenfruchtbarkeit erhöht)
Was ist anders als im Biologischen Landbau?
Der Eintrag fossiler und fremder Energien ist bei der Permakultur nicht gestattet. Pflanzen, Säen, Pflegen und Ernten erfolgen ausschließlich durch Handarbeit, gegebenenfalls mit Rechen, Pflanzstöcken oder manuell geführten Spezialrechen. Hoch- und Hügelbeete erleichtern das Pflanzen und Ernten. Es gibt keine Monokulturen. Die Beete sind klein und überschaubar. Auf relativ wenig Fläche wächst eine große Vielzahl unterschiedlicher Gemüse- und Obstsorten. Es herrscht das Prinzip der Vielfalt. Es gibt keinen Abfall, alles wird wiederverwendet und in die natürlichen Kreisläufe zurückgeführt.
Organic Farm Bec Hellouin – ein Paradebeispiel für Permakultur
Als sich Charles und Perrine Hervé-Gruyer 2003 entschlossen, ein Stück Land in der Normandie zu bewirtschaften, hatten sie beide keine Ahnung von Landwirtschaft. Beide kamen aus ganz anderen Berufen. Er arbeitete als Segellehrer, sie als Juristin. Aber sie waren überzeugt, dass sich mit biologischem Anbau die Welt ernähren lässt.
Sie wollten Selbstversorger werden und versuchten es mit Bio-Anbau, allerdings mit wenig Erfolg. Dann stießen sie im Internet auf die Permakultur. Sie starteten mit Hügelbeeten und pflanzten eine Vielfalt von Dutzenden Gemüsesorten. Wasser liefert der Bach, der mitten durch ihr Grundstück fließt. Inzwischen kümmern sich ein Dutzend Angestellte um ein ausgeklügeltes Pflanz- und Ernte-Management. Heute ist die Farm Bec Hellouin auf ihren 1,2 Hektar erfolgreicher als ein Gemüsebetrieb vergleichbarer Größe. „Jeder Quadratmeter erwirtschaftet 55 Euro im Jahr“, erklärt Charles Hervé-Gruyer (Alte Saat: Darum müssen wir sie bewahren (Videos)).
Studie: Wie erfolgreich ist Permakultur?
Soviel Erfolg rief die Wissenschaft auf den Plan. Zwei Experten vom französischen Agrarforschungszentrum INRA in Paris starteten die Studie Case Study Permacultural Organic Market Gardening and Economic Performance.
Sie wollten wissen, warum die Permakultur-Methode auf Bec Hellouin so erfolgreich ist. Im Vierjahres-Zeitraum von 2011 bis 2015 untersuchten die Wissenschaftler Francois Léger und Sacha Guegan eine Auswahl kultivierter Fläche, 1.000 Quadratmeter von insgesamt 1,4 Hektar der Farm Bec Hellouin.
Von jedem Beet sammelten sie Daten bezüglich der Arbeitszeit, der Arbeitsmittel und der Menge der geernteten Produkte. Das Ergebnis: Der Ertrag der untersuchten Beete ist drei bis viermal höher, als bei einem konventionellen Gemüsebetrieb.
Wichtigster Grund für diese gesteigerte Produktivität ist die Vielfalt auf engem Raum. Es ist nicht so, dass mehr Ertrag pro Pflanze erwirtschaftet wird. Vielmehr wachsen viele unterschiedliche Pflanzen zusammen auf relativ kleinem Raum. Dadurch sind die Pflanzen robuster und weniger anfällig für Schädlinge.
Weitere Gründe liegen in der intensiven Pflege und der Zuwendung der Gärtner zu den Pflanzen, einem guten Management zwischen den Ernten und dem Einführen „neuer“, alter Systeme wie zum Beispiel Hügelbeete, Hochbeete oder das Verwenden von Pferdemist vom benachbarten Reitstall.
Durch den Umgang mit Kompost und organischem Dünger, dem Verzicht auf Pflügen und dem Abdecken des Bodens mit Stroh wird der Boden geschützt und seine Fruchtbarkeit erhöht. Außerdem zeigt Bec Hellouin, dass Permakultur betriebswirtschaftlich erfolgreich sein kann, weil viele Betriebskosten wie Fuhrpark, Benzin, Pestizide und Düngemittel wegfallen.
Ist Bec Hellouin ein Modell für die Landwirtschaft der Zukunft?
Jeder Garten, jeder landwirtschaftliche Betrieb, der nach Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet wird, ist ein Gewinn für Umwelt und Klima. Allerdings lässt sich diese Anbaumethode nicht von heute auf morgen auf konventionelle Betriebe übertragen. Darin besteht die größte Kritik der Permakultur. Ein allgemeingültiges Konzept gibt es nicht. Wie man die Permakultur umsetzt, hängt von der Art des bestehenden landwirtschaftlichen Betriebs ab und vor allem von seiner geographischen Lage.
Permakultur in den Alpen sieht anders aus, als Permakultur in der oberrheinischen Tiefebene. Auch die Fähigkeit des Landwirts, sich auf die natürlichen Gegebenheiten eines Fleckchens Erde einzulassen ist gefordert. Der Agrarexperte Francois Léger spricht in diesem Zusammenhang von „ökologischer Intelligenz“. Die Praxis zeigt, dass auch 60-Hektar-Betriebe mit Permakultur funktionieren. Ob es eine Obergrenze bezüglich der Fläche gibt, dafür fehlen bislang die Erfahrungen. Jedenfalls wird Permakultur auf 100 Hektar mit Tieren und Bäumen ganz anders strukturiert sein, als Permakultur in einem privaten Garten.
Startet jemand einen neuen Betrieb und fängt er mit Permakultur an, dauert es erfahrungsgemäß rund fünf Jahre, bis erste wirtschaftliche Erfolge erzielt werden können. Fest steht, dass die bislang gewonnenen Erkenntnisse durch die Permakultur – höherer Ertrag durch Vielfalt auf engem Raum, robuste Pflanzen, kein Einsatz von Düngemittel und Pestiziden – für eine nachhaltige, zukunftsträchtige Landwirtschaft von großer Bedeutung sind (Saatgut wie in alten Zeiten: Mit dieser Liste schlagt ihr Monsanto und Co. ein Schnippchen).
Literatur:
Frisches Gartengemüse auch im Winter: Anbau und Ernte 40 ausgewählter Kulturen
Meine kleine Farm: Anleitung für Selbstversorger
Videos:
Quellen: PublicDomain/Focus/SWR am 27.12.2019