Wissenschaftler haben bei menschlichen Ungeborenen »urzeitliche« Muskeln entdeckt, die reptilienartig sind und jedoch kurz vor der Geburt wieder verschwinden.
Die Muskeln wurden von Wissenschaftlern um den Evolutionsbiologen und Paläobiologen Rui Diogo von der Howard University in Washington, D.C., mittels neuester 3D-Bildtechnologie identifiziert und in ihrer Studie im Fachjournal Devolopment vorgestellt.
Wie sie schreiben, konnten sie bei menschlichen Embryos insgesamt 30 verschiedene Muskeln nachweisen, die sie ungefähr in der siebten Schwangerschaftswoche in Händen und Füßen tragen. Allerdings seien bereits sechs Wochen später ein Drittel dieser Muskeln zusammengewachsen oder gänzlich verschwunden.
Diese Muskeln kennt man eigentlich nur aus der Zeit vor rund 250 Millionen Jahren, als unsere urzeitlichen Vorfahren begannen, sich langsam von den Reptilien zum Säugetier weiterzuentwickeln.
„Interessanterweise findet man einige dieser primitiven Muskeln in seltenen Fällen bei Erwachsenen, entweder als anatomische Variationen ohne spürbare Wirkung für den gesunden Menschen oder als Ergebnis angeborener Missbildungen“, erklärt Autor Rui Diogo gegenüber Live Science.
„Dies verstärkt die Vorstellung, dass sowohl Muskelvariationen als auch Krankheitsbilder mit einer verzögerten oder gestoppten embryonalen Entwicklung zusammenhängen können, in diesem Fall vielleicht mit einer Verzögerung oder Verringerung der Muskelapoptose, und es hilft auch zu erklären, warum diese Muskeln gelegentlich bei Erwachsenen vorkommen. Es ist ein faszinierendes, kraftvolles Beispiel für das Spiel der Evolution.“
In der Tat zeigt diese Entdeckung, dass Evolution manchmal auch rückwärts laufen kann und erklärt, wieso manche Erwachsene bestimmte körperliche Anomalien aufweisen. Möglicherweise haben sich nämlich bei ihnen während ihrer embryonalen Entwicklung die entsprechenden Muskeln nicht zurückgebildet (Ein völlig neues Organ in der Haut entdeckt).
© Fernando Calvo für Terra-Mystica.Jimdo.com am 08.10.2019
Wenn man die entscheidenden Phasen der Embryonalentwicklung anschaut, sieht man deutlich im Halsbereich die Anlagen von „Kiemenbögen“ (= pharyngeal arches), zunächst einer dann zwei, drei und, schlecht zu erkennen, noch ein vierter und fünfter. Zerlegt man diese Gebilde mit dem Mikrotom, so sieht man, dass sie von einem Blutgefässystem durchzogen werden, dem Aortenbogen (= aortic arch).
Darum herum liegen Zellen, die später zu Knochen und Muskeln werden. Die Kiemenbögen liegen seitlich des Darmkanals im Bereich des Schlundes (= Pharynx). Alternierend mit den Kiemenbögen stülpt sich der Schlund seitlich zu den Schlundtaschen (= pharyngeal pouches) aus.
Im Prinzip entspricht diese Anordnung der eines Fisches, nur dass bei Fischen durch den Mund aufgenommenes Wasser durch Öffnungen ausgeschieden wird, die es beim Menschen nicht gibt. Im Säugetier sind „Kiemen“, besser Kiemenbögen, nur vorübergehend zu erkennen, und werden dann z.B. in die bekannte Anlage der Kiefer umgewandelt.
Weil sich Wirbeltiere in der Phase der Kiemenbögen so ähnlich sind, spricht man von der Stamm-typischen (= phylotypischen) Phase, und bezeichnet solche Embryonen auch als „Pharyngula“.
Literatur:
Zukunft ohne Menschen – Was kommt nach uns? Die komplette zweite Staffel [3 DVDs]
Robokratie: Google, das Silicon Valley und der Mensch als Auslaufmodell (Neue Kleine Bibliothek)