Interne Dokumente: So dreist treiben die EU-Staaten die Vorratsdatenspeicherung voran

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Oberste Gerichte lehnen die Vorratsdatenspeicherung immer wieder ab. Trotzdem fordern die EU-Staaten einen neuen Anlauf. Wie die Mitgliedstaaten intern argumentieren, zeigen Dokumente der Arbeitsgruppe, die wir veröffentlichen. Für die Massenüberwachung gibt es auch einen Plan B: die E-Privacy-Verordnung.

Die Vorratsdatenspeicherung ist der Zombie europäischer Digital-Gesetze: 2006 beschlossen2014 gekippt2016 gekippt, aktuell liegt sie schon wieder beim Europäischen Gerichtshof. Die Mitgliedstaaten beharren trotzdem auf der anlasslosen Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten, bei ihrem Gipfel im Dezember titelten wir: Die EU-Staaten missachten das höchste Gericht.

Beim EU-Gipfel im Juni haben die Mitgliedstaaten die Datensammlung als wesentliches Ermittlungs-Instrument bezeichnet und die Kommission beauftragt, eine Studie über mögliche Lösungen zu erstellen. Wir haben interne Dokumente erhalten, die zeigen, wie dieser Beschluss zustande kam. Diese Dokumente veröffentlichen wir im Volltext.

Begrenzung nicht umsetzungsfähig

In der zuständigen Arbeitsgruppe bezeichnet die Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung als „alternativlos“, trotz höchstrichterlicher Urteile auch in Deutschland. Die Gerichte haben klargestellt, dass Daten nicht anlasslos von allen Menschen gespeichert werden dürfen, sondern nur „auf das absolut Notwendige beschränkt“, auch „hinsichtlich der betroffenen Personen“. Deutschland will eine solche Begrenzung – zum Beispiel geografisch – nicht akzeptieren, das sei „nicht umsetzungsfähig“.

Politisch wird die anlasslose Speicherung aller Kommunikationsdaten meist mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet. Die aktuelle Initiative spricht allerdings bereits im Titel neben Terrorismus auch von Kriminalität. Und Frankreich hat sogar durchgesetzt, gar nicht mehr zwischen beiden zu unterscheiden: „Terrorismus sei ein Unterfall der Kriminalität und nicht als eigene Kategorie zu werten.“ Im endgültigen Beschluss fehlt „Terrorismus“ ganz.

Einmal eingeführt, wird jede Überwachungsmaßnahme ausgeweitet. In Estland wurde ein Ermittlungsverfahren mit „extensiver Nutzung der Vorratsdatenspeicherung“ verfolgt. Doch dabei ging es weder um Terrorismus noch schwere Kriminalität, sondern um „eine Kumulation von mehreren kleinen Fällen und einiger etwas größerer Fälle“. Auch das muss möglich sein, fordern die EU-Staaten (Bürger-Überwachung durch Staatstrojaner: Verfassungsschutz darf dafür in Wohnungen einbrechen).

Überwachung ist Datenschutz

Wie dreist die Justiz- und Innenminister abseits der Öffentlichkeit argumentieren, verdeutlicht Dänemark. Dort wurde die anlasslose Massenüberwachung bei einem „Datendiebstahl mit vielen tausend Betroffenen“ eingesetzt. Das Fazit: „Man habe mit der Vorratsdatenspeicherung sozusagen Datenschutz betrieben.“ George Orwell wäre stolz gewesen.

Insgesamt haben alle Staaten in der Arbeitsgruppe den Entwurf der Ratspräsidentschaft in vielen Punkten noch verschärft, das verdeutlicht eine Visualisierung der Änderungen. Die Mitgliedstaaten haben durchgesetzt, von der Kommission mal wieder eine Studie zur Vorratsspeicherung zu fordern, explizit „einschließlich einer etwaigen künftigen Gesetzgebungsinitiative“.

Doch der Auftrag wurde verschoben. Im Februar warnte die EU-Kommission davor, die Studie noch vor der Europawahl im Mai zu beauftragen, „der politische Kontext“ sei „schwierig“. Kein Problem: Die Studie wurde einfach elf Tage nach der Wahl beauftragt.

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Spielräume bei E-Privacy

An einem Punkt gestand die Arbeitsgruppe ein, „dass der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung […] streng ablehne“. Doch statt sich an die klaren Urteile des obersten Gerichts zu halten, hoffen Staaten wie Frankreich, dass das Gericht seine Meinung wieder ändert.

Trotzdem wollen die Staaten „für alle Eventualitäten vorbereitet sein“. Wenn die Vorratsdatenspeicherung nicht mit EU-Richtlinie und nicht mit nationalen Gesetzen geht, soll sie eben in der anstehenden E-Privacy-Verordnung untergebracht werden – da gäbe es „Spielräume“ (Ex-Regierungsberater: Deutschland wird „Überwachungsgesellschaft“ – EU-Kommission stellt Plan zur groß angelegten Überwachung durch KI vor).

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