Den 21. Dezember 1985 werden Andrea und Thorald Meisel nie vergessen. Es rauscht und dröhnt, das ganze Haus vibriert. Das Paar ist erst seit einem halben Jahr verheiratet, Andrea war aus dem Norden, aus Schwerin, zu ihrem Mann ins Vogtland gezogen und nun das: Erdbeben, die auch noch regelmäßig wiederkehren.
Die Erschütterungen im Winter 1985/86 sind zwar die bisher stärksten gemessenen mit 4,6 auf der Richterskala, doch auch in den letzten Jahren kommt das Vogtland nicht zur Ruhe.
Die sogenannten Schwarmbeben lassen die Erde hier regelmäßig für mehrere Wochen erzittern. Schwarm deshalb, weil mehrere Erdbeben hintereinander innerhalb einer begrenzten Zeit auftreten. 2008, 2011 und 2014 wurden starke Schwärme registriert. Und auch im Frühjahr 2018 rumpelte es wieder: Dieser Schwarm umfasste mehr als 1000 Beben – der heftigste seit Jahrzehnten!
Aktives Magma unter dem Vogtland?
Experten wie Torsten Dahm vom Deutschen Geo-Forschungszentrum Potsdam registrieren eine zunehmende Aktivität und haben eine unglaubliche Vermutung: Die Schwarmbeben im Vogtland künden von einer Magma-Blase im Untergrund, ein Urzeit-Vulkan, der langsam wieder lebendig wird.
„Wir glauben, dass wir einen erwachenden Vulkan beobachten.“ sagt der Erdbebenforscher. Dahm und sein Team planen demnächst Bohrungen, um ihrer Theorie nachzugehen.
Auf die Ergebnisse ist auch Horst Meinel gespannt. Der Geographielehrer im Ruhestand aus Klingenthal dokumentiert die Erdbeben in seiner Heimat seit Jahren. Auch an die stärksten bisher gemessenen Erschütterungen im Winter 1985/86 erinnert er sich genau (Die gefährlichsten Vulkane Deutschlands).
Messwerte wie am Ätna
Hinweise auf vulkanische Aktivität gibt aufsteigendes Gas im tschechischen Naturreservat Soos. In so genannten Mofetten tritt es an die Oberfläche. Kohlenstoffdioxid in großer Menge, aber auch Helium-3 in einer Konzentration, die einmalig ist nördlich der Alpen.
Solche Werte sind sonst nur von aktiven Vulkanen bekannt. Eins steht fest: Das aufsteigende Gas kündet von einer gigantischen Naturgewalt. Kann es wirklich sein, dass tief unter dem Vogtland die Überreste eines Vulkans schlummern? (Der Vulkan Ätna rutscht – Mittelmeer-Tsunami droht – Zeitbombe La Palma)
Ein Vulkan, der vor rund 300.000 Jahren erloschen ist? Dann wäre es denkbar, dass dieser Vulkan das Grundwasser erhitzt. Das heiße Wasser steigt auf und zwängt sich in Gesteinsritzen, bis der Fels nachgibt – und die Erde bebt – so, wie 1985.
Was sind Schwarmbeben?
Ein heftiges Hauptbeben, dann deutlich schwächere Nachbeben. So verläuft ein gewöhnliches Erdbeben. Dagegen folgen die Schwarmbeben im Vogtland einer anderen Dramaturgie, erklärt der Geophysiker Ulrich Wegler, Professor am Institut für Geowissenschaften der Uni Jena.
„Bei Schwarmerdbeben ist das Besondere, dass das stärkste Beben nicht am Anfang einer Sequenz liegt. Das heißt: In vielen Fällen fängt es mit leichten Beben an und steigert sich dann erst. So dass es schwer ist, vorherzusagen, was das stärkste Beben ist.“ Prof. Ulrich Wegler
Das stärkste Beben der Serie kann also schon überstanden sein, es könnte aber auch genauso gut noch bevorstehen. Wie lange die aktive Phase eines Schwarmbebens dauert, können die Wissenschaftler nicht exakt berechnen, so Wegler, denn dazu gebe es nur Erfahrungswerte.
„Das kann manchmal nur ein paar Tage sein, kann sich aber auch über Monate hinziehen. Was die genaue Ursache ist für die Länge eines Schwarms, das ist unbekannt.“ Prof. Ulrich Wegler
Im Vogtland erreichen die Beben meist eine Stärke zwischen 2 und 4. Ein sehr leichtes bis leichtes Erdbeben also. Genug, dass es die Bewohner deutlich spüren können und vielleicht genug für den ein oder anderen Riss im Mauerwerk.
Aber wie stark könnten die Schwarmbeben im Vogtland maximal werden? Um das herauszufinden untersuchen Geologen wie Prof. Wegler historische Aufzeichnungen – zum Beispiel Kirchenchroniken. Daraus leiten sie die Erdbebenaktivität einer Region ab.
„Die Erfahrung für dieses Gebiet zeigt, dass in den letzten mehreren hundert Jahren eine 4,6 nicht wesentlich überschritten wurde. Wenn da jetzt solche 5-er Beben auftauchen würden, dann wäre das sehr, sehr selten auf jeden Fall.“ Prof. Ulrich Wegler
So harmlos das klingen mag, wer ein Schwarmbeben selbst erlebt, spürt die ganze Kraft der Natur. Etwa das massive Grollen oder den lauten Knall, der die Beben oft begleitet. „Das passiert wenn die seismische Welle, die sich in der Erde ausbreitet, von unten auf die Erdoberfläche trifft“, so Wegler. Dann werde ein gewisser Teil als Schallwelle umgewandelt und breitet sich in der Luft aus (Yellowstone Supervulkan: Geysir bricht Ausbruchs-Rekord (Video)).
„Deswegen wird oft berichtet, dass es auch mit einem Grummeln oder einem Knall verbunden ist.“ Prof. Ulrich Wegler
Die Menschen im Vogtland und in Nordwest-Böhmen sind mit Schwarmbeben seit Jahrhunderten vertraut. Hier verfassten Wissenschaftler vor etwa 120 Jahren die ersten Abhandlungen zu dem Phänomen.
Die Erdbebengefährdung in Deutschland ist im globalen Vergleich zwar relativ gering, aber nicht vernachlässigbar, so Forscher vom Helmholtz-Institut.
(Die Karte zeigt die Erdbebengefährdung in Deutschland, Österreich und der Schweiz)
An der genauen Ursache der Schwarmbeben wird aber noch immer geforscht. Als sicher gilt: Es liegt an der vulkanischen Vergangenheit der Region. Auch wenn die beiden Vulkane Kammerbühl und Eisenbühl schon vor mehreren hunderttausend Jahren erloschen sind.
„Die gängige Theorie ist, dass es da einen Magma-Körper gibt. Der allerdings sehr tief liegt, in 30 Kilometer Tiefe.“ Prof. Ulrich Wegler
Dort, so die Theorie, ist der Magmakörper stecken geblieben und kommt nicht weiter nach oben. „Aber er entgast jetzt und da kommt Wasser und CO2 raus, was sich dann durch die Erdkruste ausbreitet.“
Diese Gase und Flüssigkeiten zwängen sich in die Gesteinsritzen und lassen den Fels ruckeln. So ist die Erde im Vogtland praktisch ständig in Bewegung. Die hoch sensiblen Messgeräte registrieren nämlich auch ganz schwache Beben. Tausende davon haben die Wissenschaftler bereits ausgewertet. Die meisten davon sind nicht einmal spürbar.
„Und diese Aktivität klingt niemals ganz ab, so haben wir immer eine Art Hintergrundrauschen an seismischer Aktivität, was immer da ist.“ Prof. Ulrich Wegler
Das macht das Vogtland zu den seismisch aktivsten Regionen Deutschlands. Ähnliche Schwarmbeben wie hier gibt es sonst noch bei Bad Reichenhall in Bayern und in Südhessen. Und die bleiben uns erhalten, so Wegler:
„Entwarnung kann man letztlich nie geben, weil man in einem aktiven Erdbebengebiet ist. Es wird immer wieder zu solchen Schwärmen kommen.“
Literatur:
Die Erde im Umbruch: Katastrophen form(t)en diese Welt. Beweise aus historischer Zeit
Link zum Video-Beitrag:
https://www.mdr.de/mediathek/mdr-videos/c/video-257376.html
Quellen: PublicDomain/mdr.de am 13.12.2018