Glyphosathaltige Herbizide verändern bereits in minimalen Dosen bei jungen Ratten biologische Parameter, die mit geschlechtlicher Entwicklung und genetischen Schädigungen verbunden sind. Zudem beeinflussen sie die Darmflora. Das sind erste Ergebnisse einer unabhängigen, crowd-finanzierten Langzeitstudie.
Begonnen hat diese Studie das auf Krebsforschung spezialisierte italienische Ramazzini-Institut zusammen mit Partnern in Italien, den USA und China. Sie vergleichen dabei die Wirkungen von purem Glyphosat und dem glyphosathaltigen Herbizid Roundup auf Ratten.
Die Tiere bekommen den Wirkstoff in einer Menge verabreicht, die von der US-Umweltbehörde EPA als sicher für den Menschen bezeichnet wird: 1,75 Milligramm Glyphosat je Kilogramm Körpergewicht.
Die ersten, jetzt veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass sowohl Glyphosat als auch Roundup selbst in diesen kleinen Mengen die Darmflora der Versuchstiere schon deutlich verändert hatten, noch bevor sie die Pubertät erreichten. Welche gesundheitlichen Auswirkungen dies haben könne, müsse weiter erforscht werden, schreiben die Wissenschaftler.
Verändert haben sich nach Angaben des Ramazzini-Instituts auch biologische Parameter, die mit der geschlechtlichen Entwicklung der Tiere in Zusammenhang stehen, insbesondere bei weiblichen Ratten. Zudem sei bei jungen Tieren bei entsprechenden Tests eine signifikante Zunahme sogenannter Mikrokerne beobachtet worden.
Dies gilt als Hinweis auf eine verstärkte Schädigung des Erbguts. Die Aufsätze mit den Daten dieser Untersuchungen seien bei Fachzeitschriften eingereicht und würden bald veröffentlicht, schreibt das Institut.
Finanziert hat das Ramazzini-Institut diese ersten Untersuchungen durch eine Crowdfunding-Kampagne unter seinen italienischen Unterstützern. Es weist darauf hin, dass die auf drei Monate angelegten Versuche lediglich die Kindheit und die Pubertät der Tiere abdeckten.
Bereits dabei habe sich gezeigt, dass sich Glyphosat langfristig im Körper der Tiere anreichere. Den jetzt gefundenen Hinweisen wollen die Forscher deshalb in einer Langzeitstudie über das gesamte Lebensalter der Tiere nachgehen. Um die dafür veranschlagten Kosten von fünf Millionen Euro zu decken, haben sie eine neue Crowdfunding-Kampagne gestartet.
Unterdessen hat die Bürgerbewegung Campact der Bundesumweltministerin heute 450.000 Unterschriften gegen den Unkrautvernichter Glyphosat überreicht. Svenja Schulze (SPD) wiederholte ihre Absicht, „den grundsätzlichen Glyphosat-Ausstieg in dieser Legislaturperiode zügig anzugehen“ (Giftdeponie Mensch: Der ungewöhnliche Heilungsweg einer Amalgamvergiftung).
Die Akte Glyphosat
Glyphosat ist das meist eingesetzte Pflanzengift der Welt. Es ist ein Breitbandherbizid und tötet jede Pflanze, die nicht gentechnisch so verändert wurde, dass sie den Herbizideinsatz überlebt. Je häufiger glyphosathaltige Pestizide angewendet werden, desto eher entstehen allerdings auch resistente Populationen von Beikräutern, die durch das Mittel eigentlich vernichtet werden sollten.
Die pflanzenvernichtenden Eigenschaften von Glyphosat wurden von der Firma Monsanto in den 1970er Jahren patentiert. Das Mittel kam unter dem Namen „Roundup“ auf den Markt und wurde zum Bestseller. Das Pestizid wirkt systemisch, das heißt aufgenommen über die Blätter gelangt es in alle Bestandteile der Pflanze: in Blätter, Samen und Wurzeln. Es lässt sich nicht abwaschen und wird weder durch Erhitzen noch durch Einfrieren abgebaut. Rückstände davon halten sich etwa ein Jahr lang in Lebens- und Futtermittel.
Glyphosat wird weltweit eingesetzt – in der Landwirtschaft, im Obst- und Weinbau, in Olivenhainen, im Zierpflanzenbau, in Christbaumplantagen, in Parkanlagen, auf Bahngleisen und in Gärten. Weltweit wurden 2014 etwa 826.000 Tonnen Glyphosat verkauft, 90 Prozent gingen dabei an die Landwirtschaft.
Viele Studien bringen die Verwendung von Glyphosat mit negativen gesundheitlichen Folgen in Verbindung. Reizungen der Haut und der Augen, Schwindel, Kopfschmerzen, Husten oder Kreislaufprobleme können bei der Anwendung auftreten. Bei vielen der negativen gesundheitlichen Auswirkungen handelt es sich um chronische oder langfristige Erkrankungen.
Im März 2015 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ (2A) für den Menschen eingestuft. „2A“ ist die zweithöchste Gefahrengruppe. Seit Langem verdächtigt man Glyphosat krebserregend zu wirken.
Sowohl Glyphosat als auch sein Abbauprodukt AMPA wirken im Laborversuch genotoxisch. Das bedeutet, es schädigt die Erbsubstanz (DNA), sodass die Zelle ihr genetisches Material nicht mehr exakt vervielfältigen kann. Dies führt zu Mutationen und einem erhöhten Krebsrisiko.
Die negativen Auswirkungen von Glyphosat auf die Ökosysteme werden auch von der europäischen Behörden EFSA beschrieben. Als Totalherbizid tötet Glyphosat jede nicht gentechnisch veränderte Pflanze auf dem gespritzten Feld ab. Die gleiche verheerende Wirkung wie auf Pflanzen hat Glyphosat auch auf Bakterien (was wenige wissen: Glyphosat ist auch ein patentiertes Antibiotikum). Forschungen an der Universität für Bodenkultur haben auch eine Schädigung der Fortpflanzung von Regenwürmern durch glyphosathaltige Produkte festgestellt.
Nicht zuletzt wird Glyphosat als eine der maßgeblichen Ursachen für das weltweit zu beobachtende Amphibiensterben angesehen. Aus diesen Gründen sind die negativen Auswirkungen des meist eingesetzten Ackergifts auf Ackerflora und Ackerfauna fatal. Die biologische Vielfalt nimmt mit dem vermehrten Einsatz von Glyphosat mehr und mehr ab. Regenwürmer und Bodenbakterien werden dezimiert und wichtige Funktionen eines gesunden Bodens gehen damit verloren.
Da Glyphosat alle Pflanzen tötet, die nicht dagegen resistent sind, wird vielen Tieren ihr Lebensraum entzogen. Weniger Wildpflanzen auf und neben den Ackerflächen bieten weniger Lebensraum für Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten, die in unserem Ökosystem eine wichtige Rolle spielen.
Die europäischen Zulassungsbehörden stehen im Verdacht, den Interessen der Industrie gegenüber allzu sehr aufgeschlossen zu sein. Eine Studie der Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) zeigt, dass über die Hälfte der 209 für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) tätigen WissenschaftlerInnen direkte oder indirekte Verbindungen zu Industriezweigen haben, die sie eigentlich kontrollieren sollen.
Immer wieder müssen wir feststellen, dass die EFSA und die Behörden von EU-Mitgliedsstaaten bei der Beurteilung wissenschaftlicher Studien anscheinend mit zweierlei Maß messen. Studien, die keine negativen gesundheitlichen Effekte nachweisen, werden eher akzeptiert, während Studien, die negative gesundheitliche Effekte zeigen, eher kritisiert werden.
Das gesamte Zulassungsverfahren von Pestiziden ist auf die Interessen der Industrie zugeschnitten. Zwar schreibt das Gesetzt seit 2009 (endlich) vor, dass auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus publizierten unabhängigen Studien bei der Zulassung von Pestiziden berücksichtigt werden müssen. In der Realität ist es aber immer noch so, dass fast ausschließlich industriefinanzierte Studien berücksichtigt werden.
Und diese Hersteller-Studien kommen fast immer zu dem Ergebnis, dass – welch ein Wunder! – jene Chemikalie, die vom Sponsor der Studie hergestellt und vermarktet wird, keine Risiken für Mensch und Umwelt birgt. Diese Industrie-Studien bleiben als „vertrauliche Geschäftsgeheimnisse“ so gut wie immer unpubliziert und können somit nicht durch unabhängige WissenschaftlerInnen auf ihrer Korrektheit überprüft werden. Das Missverhältnis zwischen industriefinanzierter und -unabhängiger Forschung zeigt z.B. die Antwort der deutschen Bundesregierung auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom Juli 2013 nach Langzeitstudien auf, die mögliche gesundheitliche Folgen von Glyphosat mindestens über einen Zeitraum von 90 Tagen beleuchten.
In ihrer Antwort listet die Bundesregierung 28 industriefinanzierte Langzeitstudien auf – und nur eine Studie, die nicht von der Industrie finanziert wurde. Den besten Beweis dafür, dass dieses industriedominierte System Gefahren und Risiken nicht erkennt und nicht benennt, erbrachten jene WissenschaftlerInnen der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO, als sie die unabhängige und publizierte wissenschaftliche Literatur über Glyphosat sorgfältig auswertete.
Dabei stellten sie fest, dass es starke Beweise dafür gibt, dass Glyphosat genotoxisch ist (erbsubstanzschädigend) und dass es ausreichende Beweise dafür gibt, dass Glyphosat bei Versuchstieren Krebs erzeugt. Die Industriestudien behaupten immer noch das Gegenteil – sogar dann, wenn die Versuchsdaten in diesen Studien was ganz anderes sagen.
Geht es auch ohne Glyphosat?
Selbstverständlich. Glyphosat steht einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Landwirtschaft entgegen. Glyphosat ist lediglich ein Mittel zur weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft. Es gibt Alternativen zum Glyphosateinsatz: „Mehr guten Ackerbau, bitte!“, fordert selbst die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), die Interessensvertretung der industriell arbeitenden Landwirte, und meint: Pflügen statt Pflanzen totspritzen (Deutschland: Die Glyphosat-Metastase – schon 100 pestizidfreie deutsche Gemeinden!).
Ackerbau mit dem Pflug bekämpft seit Jahrhunderten sehr wirkungsvoll unerwünschte Pflanzen auf dem Acker.
Literatur:
Das Schweinesystem: Wie Tiere gequält, Bauern in den Ruin getrieben und Verbraucher getäuscht werden
Quellen: PublicDomain/keine-gentechnik.de/global2000.at am 22.05.2018
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