Die Wallonen haben für die Regionen Belgiens eine Ausstiegsklausel erreicht. Auch die Schiedsgerichte wurden für die Regionen neu definiert.
Erst als der EU-Kanada-Gipfel schon abgesagt war, gab es in Belgien den Duchbruch zum Freihandelsabkommen Ceta: Nach tagelangen Verhandlungen verständigte sich die belgische Zentralregierung mit den Ceta-kritischen Regionen am Donnerstag auf einen Kompromiss.
Die EU und Kanada reagierten erfreut, aber vorsichtig. Denn erst am Freitag soll der Kompromiss, der Zugeständnisse bei den umstrittenen Schiedsgerichten und dem Schutz der Landwirtschaft vorsieht, durch die Regionalparlamente abgesegnet werden.
Der belgische Kompromiss besteht aus zwei Dokumenten: Die erste stammt vom „Königreich Belgien“ und enthält Präzisierungen bei der geplanten vorläufigen Anwendung von Ceta ab Januar, bis das Abkommen in den kommenden Jahren alle Parlamente der EU-Mitgliedstaaten passiert hat. Das Dokument enthält unter anderem eine Ausstiegsklausel für die belgischen Regionen, die sich während dieser Phase zu jeder Zeit „endgültig und dauerhaft“ von Ceta verabschieden können.
Für die Landwirtschaft sollen die Regionen Schutzmechanismen für die Bauern aktivieren können. Dies gelte, „wenn sie durch massive Importe bedroht werden, wenn Preise in Gefahr geraten, und vieles andere mehr“, sagte der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, Oliver Paasch, im Radiosender BRF.
In einem zweiten Dokument der EU-Kommission und des Rates der Mitgliedstaaten geht es um die umstrittenen Schiedsgerichte für Handelsstreitigkeiten. Ziel ist es nun, dass über kurz oder lang Vollzeitrichter diese Aufgabe übernehmen und genaue Standards und Verhaltensregeln für diese erlassen werden.
In diesem Text habe es bei der Sitzung der EU-Botschafter nun nochmals „einige Änderungen“ gegeben, hieß es aus einem Mitgliedstaat. Die belgischen Regionen wollen aber ohnehin auch den Europäischen Gerichtshof anrufen und klären lassen, ob Schiedsgerichte überhaupt mit EU-Recht zu vereinbaren sind. Sie würden ohnehin erst eingeführt, wenn Ceta in einigen Jahren endgültig in Kraft getreten wäre.
„Es liegt eine wichtige Vereinbarung auf dem Tisch“, sagte Belgiens Ministerpräsident Charles Michel nach dem Durchbruch am Mittag. Der wallonische Regierungschef und Anführer der Ceta-Gegner in Belgien, Paul Magnette, sagte, seine Region sei „äußerst glücklich, dass unsere Forderungen gehört wurden“.
Kanadas Außenhandelsministerin Chrystia Freeland ließ die Einigung über ihre Pressestelle als „positive Entwicklung“ begrüßen. Es bleibe aber „noch Arbeit zu erledigen“.
EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte vorsichtig, er werde den kanadischen Regierungschef Justin Trudeau erst dann kontaktieren, wenn alle Prozeduren auf EU-Ebene abgeschlossen seien. „Ich bin sehr zurückhaltend, einen konkreten Zeitplan für den weiteren Verlauf zu benennen“, sagte auch ein Sprecher der EU-Kommission.
Tatsächlich müssen in Belgien nun am Freitag noch mehrere Regionalparlamente zustimmen. Abstimmungen sind in der Wallonie, der Hauptstadtregion Brüssel und in der Vertretung der französischssprachigen Gemeinschaft geplant – das letzte Votum wird erst am Freitagabend erwartet.
Unter Vorbehalt grünes Licht gaben die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten am Donnerstagabend. Allerdings treffen die letzte Entscheidung die Regierungen in den nationalen Hauptstädten. Sie haben in einem schriftlichen Verfahren bis Freitag um Mitternacht Zeit, um die Zustimmung von EU-Seite endgültig perfekt zu machen.
EU-Volk auflösen
Warum eigentlich reagiert Kanada so zurückhaltend auf die Meldung, dass sich die belgische Föderalregierung doch noch unter dem massiven Druck der EU mit den widerspenstigen Wallonen auf ein Ja zu CETA hat einigen können?
Die EU hat doch Erfahrung, wenn es darum geht, nicht gewünschte Ergebnisse von Volksbefragungen in gewünschte zu verwandeln. Nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zur EU-Verfassung nannte man die Festschreibung neoliberaler Wirtschaftsprinzipien und die Verpflichtung zur Aufrüstung nicht mehr Verfassung, sondern Vertrag von Lissabon.
Als die Iren diesen ablehnten, räumte man ihnen Sonderrechte ein. Bei der zweiten Abstimmung sagten sie dann Ja. Vom griechischen Oxi zeigte sich die EU als Teil der Troika unbeeindruckt. Mit den Austeritäts-Programmen geht es weiter ohne Erbarmen.
Und mit dem Nein der tapferen Wallonen sollte sie nicht fertig werden? Immerhin nicht rechtzeitig zur am Donnerstag geplanten feierlichen Unterzeichnung (Wallonie lehnt Ultimatum der EU im CETA-Streit ab).
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert“ – Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission (Quelle – SpiegelOnline)
Abgesehen davon, ob der gefundene Kompromiss die letzten formalen Hürden nimmt, wirft das Vorgehen der EU erneut Fragen auf: Betreibt sie mit der Ignoranz gegenüber demokratischen Willensbekundungen nicht das Geschäft der EU- und Politikverdrossenheit?
Mit Brechtschem Sarkasmus sei vorgeschlagen: Möge die EU das Volk doch auflösen und sich ein anderes wählen.
Dieses kann dann CETA zustimmen, dem ein von der EU beauftragtes Institut Wachstumseffekte in Höhe von 0,03 Prozent (!) nach sieben Jahren (!) voraussagt.
Literatur:
Die Nazi-Wurzeln der „Brüsseler EU“ von August Kowalczyk
TTIP, CETA & CO: Zu den Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf Kultur und Medien: Aus Politik & Kultur 13 (2. erweiterte Auflage) von Olaf Zimmermann
Ändere die Welt!: Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen von Jean Ziegler
Quellen: PublicDomain/Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten/neues-deutschland.de am 27.10.2016
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Der Knackpunkt, nicht nur für die Belgier, sind und bleiben diese „Schiedsgerichte“, hier laufen ja auch in Deutschland Zulässigkeitsklagen.
Denn die bedeuten nicht mehr und nicht weniger, als das Außerkraftsetzen der nationalen Gesetze.
Das sollte doch für alle inakzeptabel sein.