Das globale Finanzsystem gleicht seit 2008 einem Patienten, der auf der Intensivstation liegt und künstlich am Leben erhalten wird. Seine Ärzte sind die Zentralbanken, die ihm immer höhere Dosen immer billigeren Geldes verabreichen und dabei wissen: Ohne diese Behandlung wäre der Patient innerhalb kürzester Zeit tot.
Ähnlich wie mit dem Finanzsystem verhält es sich derzeit mit den italienischen Banken. Sie sind aus eigener Kraft nicht überlebensfähig. Für genau diesen Fall hat die EU die Bail-in-Regelung eingeführt.
Sie besagt: In Not geratene Banken sollen nicht mehr wie 2008 durch ein Bail-out, also mit dem Geld der Steuerzahler, sondern zunächst durch die teilweise Enteignung von Aktionären, Einlegern und Sparern gerettet werden.
Italien und EU in der Sackgasse
Dieses Prinzip ist allerdings bereits im vergangenen Dezember bei vier Banken in der Toskana angewendet worden und hat nicht nur dort, sondern in ganz Italien für Aufruhr gesorgt: Es wurde nämlich deutlich, dass es alles andere als sozial gerecht ist (Italiens Bankenfiasko: Lunte am Pulverfass EU).
Während ultrareiche Investoren ihre Vermögen durch ihren Informationsvorsprung rechtzeitig abziehen und in Sicherheit bringen konnten, wurden Arbeiter, Angestellte, Kleinunternehmer und Rentner kalt erwischt und über Nacht zwangsenteignet. Einige von ihnen verloren ihre gesamten Ersparnisse, ein Rentner nahm sich aus Verzweiflung das Leben.
Die italienische Regierung steht nun vor einem unlösbaren Dilemma: Wendet sie die Bail-in-Regelung erneut an, muss sie mit heftigem sozialem Widerstand, möglicherweise einem Volksaufstand und einem Run auf die Banken rechnen. Wendet sie die Regelung nicht an, ist sie auf die Unterstützung der EU angewiesen.
Die EU aber befindet sich ebenfalls in einer Zwangslage: Gibt sie den italienischen Forderungen nach, macht sie sich nicht nur unglaubwürdig, sondern verteilt das Problem einfach nur auf alle europäischen Steuerzahler. Diese aber sind gleichzeitig die Wähler der nationalen Regierungen und werden jede weitere Maßnahme dieser Art durch Abwendung von den etablierten Parteien und nach dem Brexit-Votum der Briten durch weitere Austrittsforderungen aus der EU quittieren.
Der IWF schaltet sich ein
In die Patt-Situation zwischen der italienischen Regierung und der EU-Führung hat sich nun der IWF eingeschaltet. Die erste Frage, die sich dem Beobachter aufdrängt, lautet: Wieso mischt sich der IWF überhaupt in innere Angelegenheiten der EU ein?
Die Antwort: Die Angelegenheit ist alles andere als ein internes Problem der EU. Hier der Grund:
Wegen der seit Jahren instabilen Situation des Finanzsystems wird heute kaum noch ein Kredit ohne Kreditausfallversicherung (englisch: credit default swap oder CDS) vergeben. Dabei versichert sich der Kreditgeber gegen den möglichen Zahlungsausfall seines Schuldners.
Was einmal vernünftig als Maßnahme zur Risikobegrenzung gedacht war, ist durch die Deregulierung der Finanzmärkte in eine der gefährlichsten Tellerminen im Finanzgeschäft verwandelt worden: Heute ist es nämlich auch solchen Marktteilnehmern, die an der Vergabe eines Kredites nicht beteiligt sind, gestattet, eine Kreditausfallversicherung abzuschließen.
Das hat jede Menge Spekulanten auf den Plan gerufen, die sich gezielt nach unsicheren Krediten umsehen und darauf Ausfallversicherungen abschließen, d.h.: auf ihren Ausfall wetten. Je mehr von ihnen auf den Zug aufspringen, umso größer die Summe, die bei einem tatsächlichen Ausfall des Schuldners fällig wird – im Falle der italienischen Banken dürfte es sich dabei inzwischen um weit mehr als eine Billion Euro handeln.
Insbesondere Hedgefonds (Vermögensverwaltungen für Milliardäre) lauern im Hintergrund und warten nur darauf, dass es zu Zahlungsausfällen kommt. Da die meisten Kreditausfallversicherungen bei Marktgiganten wie der Deutschen Bank, der Crédit Suisse und den US-Großbanken JPMorgan und Goldman Sachs abgeschlossen wurden, ist das Problem der italienischen Banken also kein nationales, sondern ein internationales. Und in der internationalen Arena hat vor allem einer das Sagen: der IWF.
Allerdings steckt der IWF in Bezug auf die EU ebenfalls in der Klemme. Auf der einen Seite ist die EU ein Konkurrent der USA, daher ist der IWF an ihrer Schwächung interessiert. Auf der anderen Seite ist die EU ein essentieller Teil des globalen Finanzgefüges und könnte es im Falle ihres Zusammenbruchs mit in den Abgrund reißen. Aus diesem Grund muss der IWF also versuchen, die EU trotz aller Störmanöver am Leben zu erhalten.
Das Rezept des IWF ist bereits ausgestellt
In der Tat bemüht sich der IWF zurzeit um eine solche Doppel-Strategie: Indem er die italienische Regierung in ihrer Forderung nach einem Bail-out durch die EU unterstützt, treibt er die seinem Vorschlag ablehnend gegenüberstehenden deutschen Politiker in die Enge: Geben sie nicht nach, droht der Banken-Kollaps in Italien, geben sie nach, wird die Empörung darüber ihren Rückhalt in der Bevölkerung weiter schwinden lassen.
Noch kann niemand sagen, wie das Drama um die italienischen Banken ausgehen wird. Nur eines ist gewiss: Selbst ihre vorübergehende Stabilisierung würde nur einen Bruchteil der Probleme in der Eurozone lösen. Derzeit nicht im Blick der Öffentlichkeit sind nämlich noch die spanischen, portugiesischen und griechischen Banken, deren Bilanzen ebenfalls riesige Löcher aufweisen (Grexit: IWF warnt vor Crash in Griechenland).
Dazu kommen die Staatsschulden, die inzwischen nicht nur in Griechenland, sondern auch in Italien, Spanien, Portugal, Belgien und Irland mehr als 100 % des Bruttoinlandsproduktes ausmachen und damit als untragbar gelten.
Das Problem, vor dem die EU zurzeit steht, ist also erheblich größer als das der italienischen Banken und erfordert langfristig wesentlich mehr Geld als eine „einfache“ Bankenrettung. Doch woher soll es in einer Situation allgemein hoffnungsloser Verschuldung kommen?
Der IWF hat seine Antwort auf diese Frage bereits vor Jahren gegeben: In der Broschüre „Taxing Times“ vom Oktober 2013 hat er zur Lösung der europäischen Schuldenkrise eine „einmalige Vermögensabgabe“ in Form einer Steuer auf Privatvermögen ins Gespräch gebracht und diese Forderung sogar präzisiert: „Um die Schuldenquote auf das Niveau vom Jahresende 2007 zu senken, bedürfte es… eines Steuersatzes von etwa 10 % auf alle Haushalte, die über Kapitalvermögen verfügen.“ Da die Verschuldung seit 2013 um ca. 1,5 Billionen Euro gestiegen ist, müsste der Prozentsatz heute also noch etwas höher liegen (Finanzexperte: Die Welt ist verschuldet … ein ganz großer Crash steht bevor).
In anderen Worten: Für den Ernstfall verlangt der IWF von der EU, der arbeitenden Bevölkerung durch einen Rundumschlag einen Teil ihrer hart erarbeiteten Rücklagen zu entziehen. Und das nicht etwa, um die Probleme der EU ein für allemal aus der Welt zu schaffen, sondern nur, um einen Reset auf den Stand von 2007 vorzunehmen!
Da der IWF keinerlei Konsequenzen für die Verursacher der Krise fordert, ist es nicht schwer, sich seine Zukunftsvision auszumalen: Nach der Enteignung darf das gegenwärtige Spiel zu den gleichen Regeln wieder von vorn beginnen: Nachdem die arbeitende Bevölkerung gezwungen wurde, für die von ultrareichen Investoren angerichteten Schäden aufzukommen, dürfen diese nach dem Willen des IWF auch weiterhin ungehemmt auf Kosten der Allgemeinheit spekulieren.
Literatur:
Der Turm zu Basel: BIZ – Die Bank der Banken und ihre dunkle Geschichte von Adam LeBor
Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken vonHenryk M. Broder
BIZ: Der Turmbau zu Basel: Geheimpläne für eine globale Weltwährung von Janne Jörg Kipp
Quellen: PublicDomain/antikrieg.com am 14.07.2016
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