„Wir leben alle in künstlichen Welten: in der Wissenschafts-, Psycho-, Medien-, oder Finanzwelt“, sagt der Autor Manfred Lütz. „Das sind nützliche Welten, aber wenn man diese Welten mit dem eigentlichen Leben verwechselt, verpasst man sein eigenes Leben. Das finde ich dramatisch.“
In seinem Buch „Bluff! Die Fälschung der Welt“ behauptet Manfred Lütz, dass wir in verschiedenen Scheinwelten leben, Ersatzreligionen angehören, in unserer Wahrnehmung manipuliert werden und dies nicht immer durchschauen.
Der real existierende Sozialismus war so eine mit militärischen und geheimdienstlichen Mitteln aufrechterhaltene Fälschung der Welt.
„Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“, fragt Paul Watzlawick („Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen„, Piper Verlag 1976). Seit Immanuel Kant wissen wir, dass wir nicht das „Ding an sich“ erkennen, sondern nur Aspekte davon, und diese in vorgegebenen Anschauungs- und Denkformen.
Halten wir Schattenbilder für die Wirklichkeit, wie die Menschen in Platons Höhlengleichnis? Leben wir in den Kulissen einer Reality Show wie Truman Burbank in „Die Truman Show„?
Manfred Lütz weist auf zwei spektakuläre Beispiele hin, bei denen Fiktion und Wirklichkeit verwechselt wurden: die Übertragung einer von Orson Welles inszenierten Hörspielfassung des Romans „Der Krieg der Welten“ am 30. Oktober 1938 und „Das Millionenspiel“ am 18. Oktober 1970 (Video).
Um den Realitätssinn zu trüben, genügt bereits ein wenig Schlafmangel. Drogenabhängige versetzen sich absichtlich in eine Scheinwelt. Depressive leiden darunter, dass für sie alles düster aussieht.
Unsere Wahrnehmung wird durch das Milieu geprägt, in dem wir uns bewegen.
Das eigene Milieu mit seiner Ästhetik, mit seinen Überzeugungen und Meinungen wird für die eigentliche, für die richtige Welt gehalten. Alles andere hält man bestenfalls für absurd.
Die These dieses Buches, dass wir in einer gefälschten Welt leben, hat in den ominösen Sinusmilieus eine erste Unterstützung gefunden. Früher waren wir in unterschiedliche Stände, Klassen oder Konfessionen gespalten. Dagegen konnte man kämpfen und dagegen hat man gekämpft.
Heute ist das alles scheinbar überwunden, wir sind angeblich alle gleich. Aber die Milieus, die wir uns geschaffen haben und die sich uns inzwischen mit einer gewissen Eigendynamik aufdrängen, trennen uns unerbittlicher als früher, und man kann dagegen noch nicht einmal ankämpfen, da die Grenzen unsichtbar sind.
Das Milieu ist nicht der einzige Faktor, der unsere Wahrnehmung beeinflusst.
Die Gesellschaft vermittelt uns darüber hinaus ganz viele Welten, die psychologisch einen erheblichen Einfluss ausüben und die Wahrnehmung verzerren, die Gleichgültiges oder gar Falsches groß herausstellen und Wahres und Wichtiges verstecken (Im Narzissmus-Land: „Deutsche leiden unter kollektiver Bequemlichkeitsverblödung“).
Beispielsweise wäre es falsch, wissenschaftliche Theorien für wahr zu halten.
Wissenschaftsgläubigkeit ist ein Aberglauben.
Die Welt bestehe aus mehr als Wellen oder Elementarteilchen, meint Manfred Lütz, und er hält auch nichts davon, das Denken oder gar die menschliche Psyche ausschließlich als Neurotransmitteraktionen im Gehirn begreifen zu wollen.
Das Weltbild der Psychoanalyse hält Manfred Lütz für falsch. Er plädiert stattdessen für die Verhaltenspsychologie, speziell für die systematische Therapie, als deren Begründer er Paul Watzlawick nennt (der allerdings nur einer von vielen war): Statt über störende Gewohnheiten zu reden und nach deren Ursachen etwa in der Kindheit zu suchen, schlagen Systemanalytiker eine Änderung des Kontextes bzw. der Perspektive vor, in Paul Watzlawicks Worten: einen Unterschied, der einen Unterschied macht. In der systemischen Therapie geht es also nicht um Ursachenforschung und Wahrheitsfindung, sondern um eine pragmatische Lösung.
Das Burn-out-Syndrom wird von Manfred Lütz als Beispiel für die Vorspiegelung eines gar nicht existierenden Phänomens durch unseriöse Wissenschaftler angeführt.
Das Burnout-Syndrom ist ein Mischmasch an Beeinträchtigungen, die mehr oder weniger jeder mal hat. Das reicht von Schlaflosigkeit bis zur völligen Überforderung, von psychosomatischen Symptomen bis zur tiefen Niedergeschlagenheit.
Die Beschreibung ist aber so schwammig, dass von vagen Befindlichkeitsstörungen bis zur schweren Depression alles darunter verstanden werden kann.
Besonders schlecht ist Manfred Lütz auf geschäftstüchtige Personalberater zu sprechen, die Personalchefs zum Beispiel vor Bewerbern warnen, die ihre Arme verschränken, und parallel dazu den Teilnehmern eines Bewerbertrainings davon abraten, die Arme im Vorstellungsgespräch zu verschränken. Durch so einen Bluff entstehe eine Scheinwelt, meint Manfred Lütz (Matrix: Die Welt – eine Computersimulation? (Videos)).
In Kunst, Musik, Literatur, Theater und Kino werden fiktive Welten erschaffen, die wir nicht mit der Wirklichkeit verwechseln dürfen.
Ob nun Hörfunk, Fernsehen, Film oder „neue Medien“, ob Bühnenauftritte, Zeitungen oder Bücher, überall werden künstliche Welten produziert, die nicht vor allem wahr, sondern vor allem unterhaltsam und gut verkäuflich sind oder die sogar aktiv zu irgendwelchen lauteren oder unlauteren Zwecken gefälscht werden.
Besonders skeptisch steht Manfred Lütz dem Internet gegenüber, in dem – so seine Darstellung – „hemmungslose“ Firmen die Benutzer „bespitzeln“, damit sie diesen in der Werbung eine auf ihre Vorlieben zugeschnittene Welt vorgaukeln können.
Wenn bei Google, Amazon und anderen Internetfirmen genau beobachtet wird, was wir da so anschauen und tun, dann wissen die mehr als die Gestapo und die Stasi zu ihren besten Zeiten.
Der Werbung sei es gelungen, das Weihnachtsfest seines christlichen Inhalts zu berauben und für die Advents- und Weihnachtszeit einen Kaufrausch zu erzeugen. Die Schönheitsindustrie treibe uns mit am Computer gefälschten Fotos von Models in einen Schönheitswahn, meint Manfred Lütz, und der Fitnesswahn sei zur „Gesundheitsreligion“ geworden.
Überdeutlich ist die Abkoppelung von Schein und Wirklichkeit in der Finanzwelt, die mehr von psychologischen Faktoren als von der Realwirtschaft bzw. ökonomischen Analysen getrieben wird (Forscher: Stille ist viel wichtiger für Dein Gehirn als Du denkst (Video)).
Manfred Lütz weist auch auf die Gefahr hin, dass die berufliche Perspektive unserer Sicht der Welt prägt. Da entarte beispielsweise die Jagd nach Erfolg im Guinessbuch der Rekorde. Ebenso bedenklich sei es, wenn ein Hobby, eine Freizeitbeschäftigung zum Lebensinhalt werde, meint Manfred Lütz und nennt als Beispiel die Verehrung von „Fußballgöttern“.
Das Thema Religion nimmt in „Bluff! Die Fälschung der Welt“ einen breiten Raum ein. Manfred Lütz behauptet, die Geschichtsschreibung über das Christentum sei eine Fälschung. Das klingt dann so:
Die Kreuzzüge […] waren ein höchst problematisches Projekt unter der Leitung von deutschen Kaisern und europäischen Königen. Deutsche haben dabei schreckliche Gräueltaten verübt. Doch kein deutscher Bundespräsident stellt sich diesem Thema, denn es gilt das Motto: Kein einziger Deutscher hat sich an den Kreuzzügen beteiligt, es waren alles Katholiken!
Manfred Lütz hält Papst Alexander VI. Borgia für ein Opfer von Verleumdungen und behauptet, die „absurden Sexgeschichten“ über ihn habe sein „hexengläubiger kleingeistiger Sekretär Johannes Burckard“ frei erfunden.
In „Bluff! Die Fälschung der Welt“ schildert Manfred Lütz, wie Francesco Albizzi (1593 – 1684), der Leiter des Heiligen Offiziums in Rom, 1635 in Begleitung eines Kardinals nach Deutschland reist und die beiden Herren über den Hexenwahn entsetzt sind.
Dieser germanische Furor widersprach nach Auffassung der beiden feinsinnigen und gebildeten italienischen Theologen allen christlichen Prinzipien. Hexenglaube war germanischer Aberglaube, die Spanische Inquisition hatte mit Strenge jede Hexenverfolgung unterbunden. Doch in Deutschland gab es niemanden, der dem barbarischen Hexenwahn Einhalt gebot. Erschüttert kehrten die beiden nach Rom zurück.
Wo die Inquisition Einfluss hatte, gab es keine Hexenverfolgung. Die Forschung ist sich inzwischen darüber im Klaren, dass Hexenverfolgung ein mitteleuropäisches und da insbesondere ein deutsches Phänomen war, dass sich Katholiken und Protestanten dabei gleichermaßen schuldig machten, und es war vor allem die weltliche Gerichtsbarkeit, die die Verfahren vorantrieb.
Video:
https://www.youtube.com/watch?v=Rncrkh-E5po
Inhaltsverzeichnis
I. Auftakt
1. Anti-Aging im Mittelalter – Ein Mönch irrt 3
2. Frösteln im falschen Film – Das Abenteuer des Truman Burbank 11
3. Kulissen – Über röhrende Hirsche und erotische Missverständnisse 21
II. Das Welttheater
1. Propagandisten der Täuschung – Die Weisheit der Wissenschaft und die Tricks ihrer Fälscher …. 33
a) Jäger, Sammler und der Brotpreis in der Eifel… 33
b) Der Irrtum des Richard Dawkins 36
c) Wo Papst und Teufel einer Meinung sind 42
2. Psycho-Fälscher – Die Auflösung der Wahrheit in Psychologie und wie ich ein Burnout-Burnout bekam 50
a) Die Ermordung einer schönen Theorie durch eine hässliche Tatsache 50
b) Ein phantastischer Opernbesuch 58
c) Coachen, bis der Arzt kommt 64
3. Agenturen des Irrtums – Glanz und Elend der Medien oder ein Hauch von Welt 77
a) Die Kiste, die die Welt bedeutet 77
b) Der eingebildete Kranke stirbt 89
c) Leben im Netz 95
4. Profiteure der Lüge – Die Reichen und die Schönen oder Leben wie Gott in Frankreich 103
a) Der Weihnachtsmann verkauft sein Fest 104
b) Die Finanzwelt ruft zum Hammelsprung 110
c) Die Castinggesellschaft spielt Jüngstes Gericht. 118
5. Produzenten des Scheins – Spirituelle Prothesen oder Religionen aus dem Baumarkt 124
a) Wie man den Tod vermeidet 124
b) Das Runde muss ins Eckige 131
c) Esoterische Plastikreligionen 134 (in diesem Kapitel merkt man, dass Herr Lütz den Sinn von Esoterik nicht verstanden hat, denn er beschreibt die Guru/New-Age Welt bzw. Szene)
Woher stammt eigentlich das Wort Esoterik? Dieses Wort ist eine Schöpfung der griechischen Philosophie durch Platon 390 v. Chr., Theaetetus, und Aristoteles. “Esôterikos” erscheint dann bei Lucian von Samosata. Die endgültige Wortschöpfung Esoterik formulierte Thomas Stanley 1701 und bezieht sich auf die mysteriöse Schule des Pythagoras. Dort ist Esoterik eine Mischung aus “exoteric” (unter Training) und ”esoteric” (zulassen in den “inneren” Kreis).
III. Finale
1. Die Vergewaltigung der Geschichte – Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?…. 147
2. Entdeckungen: Das wirkliche Leben und die wahre Welt 162
3. Wie geht es hier raus? 183
»Ein Mann wie Lütz ist wahrlich wichtig in unserer
Gesellschaft. Es geht darum, dass Menschen wieder wissen,
was sie selber für Fähigkeiten haben.« Frank Schirrmacher
„In Bluff untersucht er die großen Inszenierungen, die unseren Alltag heute prägen, auf ihren Wirklichkeitsgehalt. Er tut dies konsequent und schonungslos, aber mit jenem erfrischenden Humor, der Menschen mit begründeter Hoffnung von trostlosen Zynikern und depressiven Untergangspropheten unterscheidet. (… ) Bluff. Die Fälschung der Welt ist ein aufklärerisches und aufrüttelndes Buch.“
Die Tagespost, 06.10.2012
„Bluff ist die engagierte Aufforderung, selbst zu denken, selbst zu fühlen und den eigenen Erfahrungen zu vertrauen. Eine Anleitung, die den Leser zu dem führen soll, was er in den Wirren des Alltags immer mehr zu verlieren droht: Das Gefühl für das eigene, das eigentliche Leben.“
Ärzte Zeitung, 17.09.2012
Video:
Literatur:
Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt habenvon Bernhard Heinzlmaier
Wenn das die Deutschen wüssten…: …dann hätten wir morgen eine (R)evolution! von Daniel Prinz
Generation Ego: Die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert von Bernhard Heinzlmaier
Quellen: PublicDomain/dieterwunderlich.de/portal.dnb.de am 27.06.2016
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