Wissenschaftler warnen vor einem neuartigen Insektensterben in Deutschland. „Da fliegt nichts mehr“, sagt Josef Tumbrinck vom Naturschutzbund (Nabu).
In Nordrhein-Westfalen sei in den letzten 15 Jahren ein starker Insektenschwund beobachtet worden. Der Nabu fordert, bundesweit möglichst rasch ein dauerhaftes Insektenmonitoring aufzubauen, um einen Überblick über die Entwicklungen zu bekommen.
„Genauso wie man den Kölner Dom nicht zerstört, sollte man auch Artenverluste nicht einfach so hinnehmen“, betonte der Göttinger Agrarökologe Teja Tscharntke. Für ihn sind vor allem Eingriffe des Menschen in den Lebensraum der Tiere wie Landwirtschaft und Überdüngung schuld an dem Rückgang. „Es geht um den Erhalt der Vielfalt“, sagte er. Auch der Einsatz von Insektiziden wie Neonicotinoide hätte einen negativen Einfluss auf die Insekten.
Der Ökologe Prof. Johannes Gepp nennt als weitere Ursachen Monokulturen in der Forstwirtschaft sowie die Begradigung von Flüssen. Auch neue Nutzungsmethoden bei Wiesen spielen eine Rolle: Da Bauern heute gemähtes Heu in Folie verpacken, sterben eingeschlossene Insekten.
Ökologischer Landbau könnte eine Lösung sein
Josef Tumbrinck forderte den Ausbau des ökologischen Landbaus. Dieser sollte besonders in Schutzgebieten und Pufferzonen gefördert werden, denn auf diesen Flächen dürfen keine Pestizide eingesetzt werden. Außerdem müssten Insektizide überprüft werden: Sie dürften erst zugelassen werden, wenn sicher sei, dass sie keine schädlichen Auswirkungen auf das Ökosystem haben (Weltweit nur noch zwei intakte Wälder übrig – Europas letzter Urwald bedroht (Videos)).
Insekten haben als Bestäuber von Pflanzen eine große Bedeutung. Der Leipziger Umweltforscher Josef Settele beobachtet jedoch, dass der Bestand vieler wilder Bestäuber wie Wildbienen oder Schwebfliegen stark zurückgeht. Gleichzeitig seien Insekten auch wichtige Regulatoren für Schädlinge und Nahrung für andere Tiere wie Vögel, betonte er.
Immer mehr Beweise: Neonicotinoide verursachen chronische Effekte
Der flächendeckende, vorbeugende Einsatz von Neonicotinoiden schadet Honigbienen und wildlebenden Insekten. So lautet das Ergebnis einer europaweiten Metastudie.
„Es gibt klare Beweise, dass bereits geringste Mengen Neonicotinoide solche chronischen Effekte auf Nützlinge haben können“, sagt der Berner Professor Peter Neumann. Die Studie „Academies Review insecticide harm“ der Organisation „European Academies Science Advisory Council“(EASAC) zeigt, dass sich der vorbeugende Neonicotionoid-Einsatz unter anderem in einem frühen Tod von Königinnen und einer geringeren Fortpflanzungsrate bei Wildbienen auswirkt. Der Studie zufolge sind nicht nur Honigbienen, sondern auch Motten und Schmetterlinge betroffen, die ebenfalls Pflanzen bestäuben. Auch auf insektenfressende Vögel hätten die Pestizide Auswirkungen (Tierwelt: Motten haben gelernt – Stadt-Motten vermeiden künstliche Lichtquellen).
Flächenfraß in Deutschland, Österreich und Schweiz
In Deutschland gehen durch immer neue Siedlungs- und Verkehrsflächen jeden Tag 69 Hektar an Lebensräumen verloren. In der Schweiz werden pro Tag 8 Hektar Boden versiegelt, die Siedlungsfläche hat sich dort in den letzten 25 Jahren um 24 Prozent ausgedehnt. Seit 1850 wurden 70 Prozent der Auen zerstört, im gleichen Zeitraum gingen 82 Prozent der Moore verloren. In Österreich werden jeden Tag 10 bis 12 Hektar in Bau- und Verkehrsflächen umgewandelt. 90 Prozent der Grünlandbiotope, 83 Prozent der Moore und 57 Prozent der Waldbiotope sind dort gefährdet.
Link zum Beitrag in der 3sat Mediathek.
Literatur:
Ändere die Welt!: Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen von Jean Ziegler
Der große Landraub: Bauern des Südens wehren sich gegen Agrarinvestoren von Thomas Kruchem
Das geheime Leben der Bäume: Was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt von Peter Wohlleben
Holzwunder: Die Rückkehr der Bäume in unser Leben von Erwin Thoma
Quellen: PublicDomain/3sat.de am 20.05.2016
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