In der DDR wurden im großen Stil Medikamente an Menschen getestet – oft ohne die Zustimmung der Patienten. Die Auftraggeber waren westdeutsche Pharmakonzerne. Forscher der Charité haben zu diesen fragwürdigen Versuchen eine Studie erarbeitet.
1981. In einem Zwickauer Krankenhaus war Christa Kaufmann eigentlich nur wegen eines kleinen Knotens am Hals. Schilddrüse, diagnostizierten die Ärzte. Dann bekam sie eine Spritze und wochenlang ging es ihr richtig schlecht:
„Ich denke, dass es ein Versuch war, ich musste mich da auf den Röntgentisch legen und an beiden Seiten, die waren aus Glas, da schauten viele Ärzte rein, rechts und links. Und keiner hat mit mir gesprochen, da habe ich schon gemerkt, irgendwas stimmt da nicht. Ich habe Fragen gestellt, die sind überhaupt nicht beantwortet worden, ich habe jetzt noch Albträume, jede Nacht.“
Im Auftrag der Westfirmen
Was das für eine Spritze war, hat Christa Kaufmann seitdem nicht herausbekommen. Ob sie Teil eines Medikamentenversuchs war auch nicht.
Die Forschungsgruppe „DDR- Arzneimittelforschung“ an der Berliner Charite hat Hinweise auf bis zu 900 Studien gefunden, die im Auftrag von Westfirmen in der DDR durchgeführt wurden. Zwischen 1980 und 1990 waren gut 300 davon so gut dokumentiert, dass sie genauer analysiert werden konnten. Ob und wie die Patienten aufgeklärt wurden, ließ sich aber nur lückenhaft nachweisen, sagt der Studienleiter Medizinhistoriker Volker Hess:
„Was sich hinter diesen Unterschriften der Ärzte oder dem Kreuzchen verbirgt, tatsächlich, lässt sich nicht herausfinden, das war übliche Praxis. Wir haben an einzelnen Beispielen zeigen können, dass die Patienten sehr wohl wussten, woran sie teilnehmen, wo dann in der Notiz steht: Patientin bricht ab, weil sie nicht an einer Doppelblindstudie teilnehmen möchte.
Also solche Hinweise machen deutlich, dass das keineswegs nur eine Formalie war, sondern die Aufklärung durchaus einer gelebten Praxis entsprach.“ (Der Schrecken der Pharma-Industrie: Natron ist kein bisschen altbacken)
Akten waren verschwunden
Darüber hinaus gab es Studien gerade in früheren Jahren, die nicht oder kaum dokumentiert waren. Studien, die die DDR selber durchgeführt hat und Medikamente, die nicht im Rahmen einer Studie getestet wurden. Für Roland Jahn, den Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, ist die jetzt vorliegende Untersuchung deshalb nur ein Anfang:
„In vielen Kliniken haben die Akten gefehlt. Das ist eine Studie, die jetzt die Untersuchungen voranbringt, aber es gilt weiter aufzuklären und auch gerade mit den Betroffenen zu sprechen, weil die haben ja ihre Erlebnisse, die sind ja emotional aufgeladen und das gilt es weiter sachlich und gründlich zu untersuchen.“ (Pharmakonzerne vertuschen belastende Erkenntnisse über Antidepressiva)
Pharmaunternehmen haben die Aufarbeitung unterstützt
Diese Untersuchung wurde unter anderem vom Bund und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Unterstützung gab während der Recherche auch von zahlreichen Pharmaunternehmen, sagt Volker Hess.
Klinische Auftragsstudien in der DDR seien damals keine Ausnahme sondern die Regel gewesen. Damalige ethische Standards seien weitgehend eingehalten worden, auch wenn sie lange nicht so ausgefeilt gewesen seien wie heute.
Für Pharmafirmen wie Sandoz, Höchst, Bayer, Schering oder Boehringer Ingelheim habe die DDR als Schauplatz einer Studie einfach praktische Vorteile gehabt:
„Dass die DDR oder die Behörden der DDR die Organisation solcher Studien zentral übernommen haben. Das heißt, eine Studie ließ sich innerhalb kürzester Zeit hocheffizient zu einem guten Ergebnis zu Ende führen. Das heißt, die DDR stand mit ihrem ganzen Apparat dafür ein, dass die Protokollbögen ordentlich ausgefüllt wurden, dass genügend Patienten als Probanden vorhanden waren, dass geeignete Studienzentren rekrutiert werden konnten. Das sind die entscheidenden Vorteile.“ (Vorsicht Pharma! Skeptischer Doktor gegen das Herumdoktern an Daten)
Forschungsergebnisse erst ein Teil der Wahrheit
Außerdem gab es in der DDR viele Menschen, die gerne mit Westpräparaten behandelt werden wollten, weil Wirkstoffe in der DDR immer erst drei bis sechs Jahre später zum Einsatz kamen, so Hess. Für Anna Kaminsky von der Stiftung Aufarbeitung sind die Forschungsergebnisse aber erst ein Teil der Wahrheit. Gerade der Umgang mit den Probanden sei noch weitgehend unklar:
„Ich denke, es wäre naiv anzunehmen, dass in einer Diktatur, in der den Menschen so viele Freiheitsrechte genommen worden sind, in der es keine freie Arztwahl gab, in der es keine freie Wahl der Behandlungsmöglichkeiten gab, da nicht auch zu hinterfragen, was ist eigentlich mit Medikamententests, das würde ich für naiv halten.“
Für die DDR waren die Studien eine willkommene Einnahmequelle um knappe Devisen für die überschuldete Planwirtschaft zu bekommen. Einnahmen von 15 bis 17 Millionen Valuta-Mark sind dokumentiert. Wenn das tatsächlich alles war, wäre das angesichts der DDR-Schulden allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen (Die Pharmaindustrie: Das Geschäft mit unserer Gesundheit).
Literatur:
Pharma-Mafia: Ärzte und Patienten im Würgegriff der Arzneimittelindustrie von Dr. Peter Echevers H. PEH
Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen: Wie Ärzte und Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen von Peter C. Gøtzsche
Vorsicht Operation!: Wie wir zu Kranken gemacht werden und was wir dagegen tun können von Meike Hemschemeier
Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert von Peter C. Gøtzsche
Quellen: PublicDomain/deutschlandradiokultur.de am 15.03.2016
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Wenn man bedenkt, dass nach BRD – Doktrin, jeder DDR – Bürger automatisch ein BRD – Bürger war und den kalten Krieg bzw. eisernen Vorhang adäquat berücksichtigt und gleichzeitig unterstellt, dass damalige BRD – Regierungen garantiert unterrichtet waren, über das Treiben westdeutscher Pharma – Konzerne in der DDR, dann frage ich mich: Wo war die Verantwortung bzw. Empathie der damaligen BRD – Regierungen gegenüber deren Landsleuten in der DDR!