In 1400 Bohrschlammgruben in Deutschland lauert eine unbekannte Gefahr: Die ölhaltigen Rückstände enthalten Quecksilber, Arsen oder Radium 226. Der Giftmüll wurde oft einfach vergraben – und sickert langsam in Böden und Grundwasser. Täglich kommt neuer Schlamm hinzu – mit giftigen und zum Teil krebserregenden Rückständen.
Helga N. ist Lkw-Fahrerin. Vor einigen Jahren fuhr sie über längere Zeit belastetes Erdreich zu einer Sondermülldeponie. Ihre Fracht war so gefährlich, dass sie nach jeder Fuhre mit einem Hochdruckreiniger den Lkw gründlich säubern musste, sonst hätte sie nicht wieder auf öffentliche Straßen gedurft.
Die Folgen waren verheerend. „Einige Zeit später hatte ich Milch in der Brust, obwohl ich nicht schwanger war“, berichtet Helga N. gegenüber WDR und NDR. „Ich bekam Haarausfall, Hautausschlag und Magendarmprobleme, bis ich zu einem Arzt kam, der eine Quecksilbervergiftung feststellte“.
Helga N. ist eine von vielen Lkw-Fahrern, die die gefährlichen Rückstände aus den Bohrschlammgruben der Öl- und Gasindustrie quer durch Deutschland fahren, um ihn auf Sondermülldeponien zu entsorgen.
Großes Umweltrisiko
Die Bohrrückstände stammen aus mehreren Jahrzehnten, in denen die Schlämme ohne besondere Sicherung direkt an den Bohrplätzen vergraben wurden. Heute gelten sie als „gefährlicher Sonderabfall“. Denn sie enthalten nicht nur verschiedene Öl-Rückstände, wie zum Beispiel krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), sondern in vielen Fällen auch giftige Schwermetalle, wie Quecksilber und Arsen, sowie radioaktives Radium 226.
Eine latente Gefahr für Mensch und Umwelt, sagt Prof. Wolfgang Calmano. „Deshalb kommt es sehr darauf an, dass man diese Feststoffe entsorgt und nicht einfach in der Gegend rumliegen lässt“, erklärt der Umweltwissenschaftler, „und wenn man das richtig macht, dann müssten die in einer Untertagedeponie sicher endgelagert werden.“
Kaum lösbare Mammutaufgabe
Endlagerung in Untertage-Giftmülldeponien? Bei den Dimensionen, um die es bei den Bohrschlämmen geht, vermutlich eine technisch und finanziell kaum lösbare Aufgabe. Nach bisherigen Schätzungen gibt es bundesweit mindestens 1400 Borschlammgruben.
Das Umweltministerium in Niedersachsen nennt derzeit 519 sogenannte „Verdachtsflächen“ allein in diesem Land. In Brandenburg sollen es rund 400 Gruben sein, in Mecklenburg-Vorpommern 350 und in Bayern 170.
Über die Menge der darin enthaltenen Schlämme gibt es keine genauen Angaben. Aus einer Aufstellung des zuständigen Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) geht allerdings hervor, dass sich allein in den 40 von dieser Behörde kontrollierten Bohrschlammgruben über 1,9 Millionen Tonnen solcher Abfälle befinden. Bundesweit dürften also mehrere Millionen Tonnen Bohrschlämme in alten und völlig unzureichend abgesicherten Gruben liegen (Forscher finden Fracking-Chemikalien im Trinkwasser).
Sanierung nicht in jedem Fall
Welche Gruben tatsächlich saniert, wie viel Giftschlamm wirklich als Sonderabfall entsorgt werden muss, ist derzeit nicht klar. Es kommt auf den Einzelfall an, die Lage der Grube, die Belastung der Abfälle.
Ende vergangenen Jahres haben sich Industrie und niedersächsisches Umweltministerium auf ein Programm geeinigt, mit dem Standorte und Sanierungsbedarf der alten Bohrschlammgruben erfasst werden sollen. „Im Rahmen dieser Vereinbarung beteiligen sich die Unternehmen in den nächsten Jahren mit bis zu fünf Millionen Euro an den Kosten von Untersuchungsmaßnahmen und zeigen damit, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen“, erklärt ein Sprecher des Verbands der Erdöl- und Erdgasindustrie, WEG. Die Untersuchungen sollen rund sechs Jahre dauern.
Giftmülltourismus
An zahlreichen Stellen hat man allerdings bereits mit der Sanierung begonnen. Nach Recherchen von WDR und NDR wurden in den vergangenen zehn Jahren aus nur drei Bohrschlammgruben in Niedersachsen rund 720.000 Tonnen der gefährlichen Abfälle geborgen. Die Menge entspricht rund 18.000 Lkw-Ladungen. Da Niedersachsen über keine eigenen Sondermülldeponien verfügt, wurde der Giftmüll quer durch die Republik transportiert.
Etwa die Hälfte davon ging nach Nordrhein-Westfalen. Sie wurden von dem Entsorgungsunternehmen Remondis auf die firmeneigene Deponie in Hürth bei Köln gebracht. Rund 260.000 Tonnen wurden in Rheinland-Pfalz entsorgt.
Für Thomas Buch vom Landesumweltministerium in Nordrhein-Westfalen ein ganz normaler Vorgang. Er rechnet damit, dass NRW auch in Zukunft Hauptabnehmer für den Schlamm bleiben wird, denn bundesweite Lösungen seien erforderlich für das Problem: „Auch das europäische Recht schreibt vor, dass wir in der Bundesrepublik entsprechende Anlagen vorhalten. Nordrhein-Westfalen ist aufgrund seiner jahrzehntealten Industriekultur mit Entsorgungseinrichtungen ausgestattet. Und vor dem Hintergrund haben wir hier die entsprechenden Kapazitäten, die Niedersachsen nicht vorhält“, erklärt Thomas Buch (WikiLeaks-Enthüllung: TISA-Verhandlungen öffnen Weg für unbegrenztes Fracking in Deutschland).
Akzeptanz überschätzt, Kosten unterschätzt?
Aber die Brisanz des Giftmülls und die möglichen Mengen, um die es geht, könnten zu Problemen führen. Vor einigen Jahren sorgte schon die Ankündigung der Firma Remondis, rund 50.000 Tonnen ähnlichen Giftmülls nach Köln zu bringen, bei Lokalpolitikern und Bevölkerung für Proteste (Wie die Suche nach Rohstoffen und Atommüllendlagern weltweit Frieden und Sicherheit gefährdet (Videos)).
„Wir sind nicht die Giftmüllkippe der Nation“, lautete damals die Parole. Auch in Leverkusen konnte Remondis mit dem Müll nicht landen. Das Unternehmen kippte schließlich den Plan. Wo der Müll am Ende landete, ist nicht bekannt.
Schon die Lagerung auf einer oberirdischen Sondermülldeponie dürfte bei den vermuteten Mengen Hunderte Millionen Euro kosten. Eine Lagerung Untertage, wie von Umweltwissenschaftler Calmano gefordert, wäre noch wesentlich teurer. Für die Kosten aufkommen müssen die Öl- und Gasunternehmen.
Und die setzen schon jetzt alles daran, die Bohrschlämme möglichst dort zu lassen, wo sie jetzt sind. Aber das wäre für Umwelt und Anwohner der wilden Bohrschlammdeponien vermutlich die schlechteste Lösung (Gasförderungs-Studie: Fracking führt zu mehr Frühgeburten (Video)).
Die Anwohner müssen sich nicht wundern, wenn Menschen plötzlich in jungen/mittleren Jahren an Krebs erkranken, weil Unternehmer aus Profitgier toxische Abfälle nach Gutdünken vergraben und die Menschen ohne Wissen darüber, dann diese Böden als Ackerfläche verwenden.
Link zum Videobeitrag in der ARD-Mediathek. Link zum Videobeitrag des NDR.
Literatur:
Katastrophenalarm!: Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur? von Stefan Engel
Der Grüne Blackout: Warum die Energiewende nicht funktionieren kann von Alexander Wendt
Der geplünderte Planet: Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen von Ugo Bardi
Quellen: PublicDomain/PRAVDA TV/tagesschau.de/NDR am 07.03.2016
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