Der Edit-Button machts möglich: Allein im letzten Jahr wurden 398 deutschsprachige Wikipedia-Artikel von Computern der Bundesverwaltung aus verändert. In den fünf Jahren zuvor werkelten Bundesangestellte an über 1500 Artikeln, seit dem Jahr 2003 waren es insgesamt über 5500.
Die «Nordwestschweiz» hat alle anonymen Wikipedia-Änderungen der vergangenen fünf Jahre ausgewertet, die sich dem mit 25’000 angeschlossenen Computern entstandenen Netzwerk der Bundesverwaltung zuordnen lassen. Die Auswertung stützt sich auch auf ein Computerprogramm des Norwegers Jari Bakken, das Eingriffe bei der Online-Enzyklopädie erfassbar macht.
Ausser Rechtschreibefehler zu korrigieren oder ihr Wissen zu teilen, nutzten Bundesangestellte manchmal die Offenheit der digitalen Enzyklopädie, um Einträge gezielt schönzufärben. Die «Nordwestschweiz» stiess auf über 50 entsprechende Artikel, teilweise wurden diese mehrfach abgeändert.
So wurde in einem Eintrag über die Schweizer Luftwaffe Passagen über gescheiterte Flugzeug-Beschaffungen entfernt oder ideologisch aufgeladen. Damit sie nicht auffliegen, arbeiten Schreiber mitunter während Monaten an einem Artikel. Stück für Stück entfernen sie einzelne Informationsbrocken.
Wikipedia reagierte mit Sperrungen
Die Manipulationen blieben nicht unbemerkt: Sie führten dazu, dass Wikipedia mehrfach gegen die Bundesverwaltung vorging – und alle Staats-Computer sperrte. Laut Wikipedia wurde der IP-Adressblock der Bundesverwaltung in den vergangenen beiden Jahren gleich mehrfach gesperrt.
Ausschlaggebend für diesen administratorischen Akt waren eine Serie anonymer und unpassender Artikeländerungen. Wikipedia erkannte bei den Benutzern aus der Bundesverwaltung «kein Wille zur enzyklopädischen Mitarbeit», so die Begründung.
Das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation BIT bestätigte die Sperrungen. Die Bundeskanzlei wollte von gesteuertem Vorgehen allerdings nichts wissen. Es gebe «keine zentralen Richtlinien oder Prozesse für die Bundesverwaltung», um Wikipedia-Artikel zu bearbeiten. Allenfalls sei es möglich, dass Bundesämter vereinzelt solche kennen, hiess es aus Bern.
Die Schwierigkeit von Kontrollen
Wie viele Einträge insgesamt schöngefärbt werden, weiss niemand. Schätzungen dazu gibt es keine. Die Wikipedia-Community ist sich jedoch einig: Verstärkte Kontrollen wären kaum zielführend. Das Onlinelexikon lebt davon, offen für alle zu sein. Der Schweizer Förderverein Wikimedia setzt lieber auf Aufklärung.
Es empfehle sich, Artikel kritisch zu lesen. Gemäss Wikimedia-Präsident Patrick Kenel solle jeder Nutzer die Inhalte und ihre Entstehung bestmöglich beurteilen können. Die sogenannten Versionsgeschichten eines Artikels helfen dabei, den Schreibprozess nachzuvollziehen.
Spitzenreiter George W. Bush
15 Jahre nach der Gründung von Wikipedia ist in dem Onlinenachschlagewerk niemand umstrittener als der frühere US-Präsident George W. Bush. Der Eintrag über den inzwischen 69-jährigen Politiker wurde bereits 45’862 bearbeitet und führt damit die Rangliste an, wie Wikipedia mitteilte (Die dunkle Seite der Wikipedia (Videos)).
Literatur:
Die Akte Wikipedia: Falsche Informationen und Propaganda in der Online-Enzyklopädie von Michael Brückner
Die globale Überwachung: Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen von Glenn Greenwald
Bürger im Visier der Geheimdienste
NSA, BND & Co.: Die Möglichkeiten der Geheimdienste: Technik, Auswertung, Gegenmaßnahmen von Gilbert Brands
Quellen: PublicDomain/tagesanzeiger.ch am 09.02.2016
Weitere Artikel:
Die dunkle Seite der Wikipedia (Videos)
Die US-Regierung hat einen Internet-Killswitch… und das geht niemanden was an