Ein Wal-Massensterben vor Chile gibt der Wissenschaft Rätsel auf. Vor Patagonien wurden Hunderte tote Sei-Wale entdeckt: eine der größten Strandungen dieser Art, die jemals registriert wurde. Die Wal-Art ist kaum erforscht.
Im Süden Chiles sind in den vergangenen Monaten mehr als 300 Sei-Wale gestrandet. Schon im vergangenen April waren mehr als 20 dieser Tiere als tot gemeldet worden, nachdem sie in Patagonien gestrandet waren. Wissenschaftler überflogen daraufhin das schwer zugängliche Gebiet. Die Auswertung ihrer Zählung zusammen mit Fotos und Satellitenaufnahmen ergab nun, dass die tatsächliche Zahl der toten Wale weit höher liegt.
Expeditionsteilnehmerin Vreni Häussermann sagte, sie habe so etwas noch nicht gesehen. Es gebe zudem immer noch viele Gebiete, in die man nicht vorgedrungen sei. Wahrscheinlich seien noch mehr Wale tot.
Zur Ursache des Wal-Sterbens wollte sie keine Angaben machen. Dies soll demnächst in dem wissenschaftlichen Fachblatt „National Geographic“ enthüllt werden. Das Blatt hatte die Expedition finanziert.
Wunden wurden bei den Tieren nicht entdeckt, die chilenischen Behörden schlossen auch eine Einwirkung des Menschen aus. Mögliche Ursachen könnten eine Algenpest oder eine Viruserkrankung sein. Häussermann sagte, erste Analysen hätten ergeben, dass alle Wale „bei demselben Ereignis“ gestorben seien (Massentiersterben – zu Lande, zu Wasser und in der Luft (Video)).
Sei-Wale sind noch wenig erforscht. Bisher gibt es nur Schätzungen zur Größe der Population. Die zur Familie der Furchenwale zählenden Säuger werden durchschnittlich 16 Meter groß und bis zu 30 Tonnen schwer. Sie ernähren sich von Krill und Schwarmfischen, vor allem Seelachs. Daher kommt auch ihr Name: „Sei“ ist norwegisch für Seelachs.
Video:
https://www.youtube.com/watch?v=_Phxa9f-sK0
Wale stranden wegen Sonar-Signalen
Bereits 2013 haben Meeresbiologen den Beweise dafür geliefert, dass militärische Sonar-Signale tatsächlich das Verhalten von Walen beeinflussen. Der Schall beeinträchtige die Futtersuche und könne das Strandungsrisiko erhöhen, schreiben die Forscher nach Experimenten mit Cuvier-Schnabelwalen und Blauwalen. Die Tiere unterbrechen demnach bei solchen Unterwasser-Signalen ihre Futtersuche und werden mitunter von reichhaltigen Beute-Gebieten vertrieben. Deswegen könnten sie in einigen Fällen nicht mehr genügend Nahrung zu sich nehmen, vermuten die Forscher.
Die Ergebnisse sind in den Fachzeitschriften „Biology Letters“ und „Proceedings of the Royal Society B“ erschienen. Beide Studien wurden von der Kriegsmarine der USA finanziell unterstützt.
30 Minuten dauerndes Playback
Die Meeresbiologen um Peter Lloyd Tyack vom Scottish Oceans Institute erforschen seit Jahren, wie Wale akustisch gestört werden. Nun haben sie erstmals direkt untersucht, wie zwei verschiedene Walarten auf die Sonarwellen unter Wasser reagieren. Für das Experiment wurde den Tieren ein kleines Messinstrument angeheftet, das zum Beispiel registrierte, wie laut ein ankommendes Signal war und in welcher Wassertiefe sich die Wale gerade aufhielten.
Bei der einen Studie wurden zwei Cuvier-Schnabelwale (Ziphius cavirostris cuvier) beobachtet. Diese Wale gehören zu den Zahnwalen und stranden relativ häufig. In dem Experiment bekamen die beiden Wale ein 30 Minuten dauerndes Playback vorgespielt. Alle 25 Sekunden ertönte ein 1,6 Sekunden langes Signal, das eine Frequenz zwischen ein und zehn Kilohertz hatte. Der Sender befand sich 3,4 bis 9,5 Kilometer von den Tieren entfernt.
Energisches Schlagen mit der Schwanzflosse
Beide Wale unterbrachen nach dem Signal das sogenannte Fluken: Sie reckten ihre Schwanzflosse nicht mehr aus dem Wasser heraus – „vielleicht um das Geräusch zu beobachten und eine Antwort vorzubereiten“, vermuten die Forscher. Danach hätten die Tiere energisch mit der Schwanzflosse geschlagen und seien fortgeschwommen.
Anschließend seien sie ungewöhnlich lange getaucht und nur langsam wieder an die Wasseroberfläche aufgestiegen. Die Forscher beobachteten dabei auch, dass die Tiere zeitweilig auf ihr Echolot verzichteten und somit länger als sonst nicht nach Nahrung suchten.
Die andere Studie verlief ähnlich, allerdings mit 17 Blauwalen (Balaenoptera musculus). Blauwale zählen zu den Bartenwalen und gelten der Weltnaturschutzunion IUCN zufolge als stark gefährdet. Die Tiere waren in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die unter anderem unterschiedlichen Sonarwellen ausgesetzt wurden. Die Reaktionen der einzelnen Tiere seien deswegen sehr verschieden gewesen.
Für einen Versuch stellten die Forscher beispielsweise fest: „Wir haben eine Futtermenge von 19 Kilogramm Krill pro Minute vor dem Geräusch kalkuliert. Nachdem das Tier dem Sonar ausgesetzt wurde, unterbrach es seine Nahrungssuche für 62 Minuten. Das führte zu einer Einbuße von mehr als einer Tonne Krill während dieses Antwortverhaltens.“
Mehr Bewegung und weniger Futter bedeute, dass dies Tier nicht genügend Energie zu sich nehme, warnen die Forscher. Sie befürchten: Wenn das wiederholt passiere, wäre es nicht mehr so fit – und strande dann vielleicht eher.
Literatur:
Menschenzeit: Zerstören oder gestalten? Wie wir heute die Welt von morgen erschaffen von Christian Schwägerl
Kritik des Anthropozäns: Plädoyer für eine neue Humanökologie von Jürgen Manemann
Das sechste Sterben: Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt von Elizabeth Kolbert
Öldämmerung: Deepwater Horizon und das Ende des Ölzeitalters von Jörg Schindler
Quellen: RT/Tagesschau vom 02.12.2015
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