Im Jahr 2003 machten deutsche Meeresforscher vor der Küste Mauretaniens eine seltsame Entdeckung: eine gewaltige, mäandrierende Schlucht am Meeresgrund. Dieser Untersee-Canyon ist rund 400 Kilometer lang und schneidet sich selbst an seinem Ende noch 300 Meter weit in den Untergrund ein. Was aber hatte diese Schlucht geschaffen?
Verräterisches Sediment
Normalerweise entstehen solche Untersee-Canyons dort, wo Flüsse ins Meer münden. Aber an der Atlantikküste Mauretaniens und Marokkos gibt es weit und breit keinen größeren Fluss: Der Westen der Sahara hat heute außer einigen kleineren Wadis nur Sand, Steine und karge Wüstenlandschaft zu bieten. Flüsse gab und gibt es nur am Rand der Wüste mit dem Senegal und Niger im Süden und dem Nil im Osten – so dachte man jedenfalls bisher.
Doch Charlotte Skonieczny von der Universität Lille und ihre Kollegen haben nun entdeckt, dass auch im Westen der Sahara einst ein gewaltiges Flusssystem existierte. Die ersten Indizien dafür fanden sie im Meeressediment vor der Küste Mauretaniens. In Bohrproben vom Meeresgrund stießen sie auf mehrere Lagen von sehr feinem Sediment, dessen Aussehen und Beschaffenheit für Flussablagerungen typisch sind.
(Mäander wie der Rhein zeichnen den Cap Timiris Canyon vor Mauretanien aus)
So groß wie der Missouri oder Jangtsekiang
Aber wo steckte der dazu gehörende Fluss? Mit Hilfe von detaillierten Radaraufnahmen des mauretanischen Küstengebiets machten sich die Forscher auf die Suche. Und tatsächlich: „Die Radaraufnahmen liefern geomorphologische Beweise für die Existenz eines urzeitlichen Flusseinzugsgebiets zwischen Cap Blanc und Cap Timmiris“, berichten Skonieczny und ihre Kollegen. „Dieses neu identifizierte Paläo-Flussbett ist rund 520 Kilometer lang.“ Und: Es schließt sich perfekt an den Untersee-Canyon bei Cap Timmiris an.
Nach Schätzungen der Forscher könnte dieser Tamanrasset-Fluss einst Teil eines gewaltigen Flusssystems gewesen sein, das Wasser aus dem Ahaggar-Gebirge im Süden Algeriens und dem Atlasgebirge in Marokko und Tunesien aufnahm und in den Atlantik leitete. „Dieses gewaltige System würde heute zu den zwölf größten Fluss-Einzugsgebieten der Erde gehören“, so die Forscher. Der Tamanrasset-Fluss wäre damit in einer Liga mit dem Missouri oder dem Jangtsekiang.
Wassergefüllt noch vor 10.000 Jahren
Woher aber kam das Wasser für diesen Fluss? Wie die Forscher erklären, führte der Tamarasset-Fluss wahrscheinlich immer dann Wasser, wenn die Sahara gerade eine ihrer grüneren Perioden erlebte. Denn geologische Studien zeigen, dass das Klima Nordafrikas in den letzten rund 250.000 Jahren immer wieder von trocken zu feucht und wieder zurück pendelte. Schuld daran war eine Verlagerung des Afrikanischen Monsuns und damit der wasserspendenden Regenzeit (Saharastaub düngt Amazonasregenwald reichhaltig (Video)).
„Die verstärkten Regenfälle während dieser feuchten Perioden hätten den größten Teil des nun identifizierten Fluss-Einzugsgebiets versorgt und gefüllt“, sagt Skonieczny. Ihrer Ansicht nach könnte der Tamanrasset-Fluss sogar noch während der letzten dieser grünen Phasen vor weniger als 10.000 Jahren existiert haben (Unserer Erde geht der Sand aus und wird zur Schmuggelware (Videos)).
Literatur:
Menschenzeit: Zerstören oder gestalten? Wie wir heute die Welt von morgen erschaffen von Christian Schwägerl
Kritik des Anthropozäns: Plädoyer für eine neue Humanökologie von Jürgen Manemann
Das sechste Sterben: Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt von Elizabeth Kolbert
Der geplünderte Planet: Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen von Ugo Bardi
Quellen: Marum/scinexx.de/nature.com vom 11.11.2015
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