Das Strafrecht befindet sich auf einem gefährlichen Weg: Neuerdings können Menschen aufgrund von Vermutungen und Unterstellungen verhaftet werden. Der Verdacht einer in der Zukunft liegenden „staatsgefährdenden Gewalttat“ erfordert von den Richtern hellseherische Fähigkeiten. Es droht die Demontage des Rechtsstaats.
Kürzlich wurde am Flughafen München ein „mutmaßlicher Islamist“ verhaftet, der nach Syrien ausreisen wollte, wie verschiedene Medien berichteten. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft habe er geplant, „sich in das türkisch-syrische Grenzgebiet zu begeben.“ Offenbar wurde vermutet, dass der gebürtige Münchner sich dort in einem „Terrorcamp“ ausbilden lassen wollte und in der Folge dann staatsgefährdende Taten begehen werde.
Damit fand erstmals der im Juni dieses Jahres in Kraft getretene Paragraf 89a Abs. 2a des Strafgesetzbuches (StGB) Anwendung.
Sowohl die Strafnorm als auch das Vorgehen der Sicherheitsbehörden greifen tief in den Kernbereich unseres Rechtsstaates ein. Der Vorgang zeigt, dass anstelle von objektiven Tatsachen – die üblicherweise Ausgangspunkt von Strafverfahren sind – neuerdings hauptsächlich mit Vermutungen und Unterstellungen operiert wird.
Objektiv steht nur fest, dass ein Mann nach Syrien ausreisen wollte. Alles andere sind im Grunde Spekulationen. Weder ist durch Tatsachen gesichert, dass sich der Mann in ein „Terrorcamp“ begeben will, noch, dass er sich dort zum Terroristen ausbilden lassen möchte. Erst recht nicht ist erwiesen, dass er in der Folge schwere Gewalttaten begehen wird, und noch ferner liegt die Vermutung, dass diese Straftaten die Bundesrepublik Deutschland gefährden.
Durch eine solche Praxis würde strafprozessuales Neuland betreten. Künftig würde nicht mehr ein an objektiv überprüfbare Tatsachen anknüpfendes Gesetz bestimmen, was strafbar ist. Vielmehr wäre es Aufgabe einer überforderten Strafjustiz, auf der Grundlage einer spärlichen Tatsachenbasis mit gewagten Hypothesen die verborgene Gedankenwelt eines Angeklagten zu ergründen. Der Willkür von persönlichen Bewertungen wäre Tür und Tor geöffnet, wahrlich keine gute Basis für staatliche Strafsanktionen. Fehlurteile wären unvermeidlich. Denn auch der sorgfältigste Richter ist in erster Linie Tatsachenbeurteiler und nicht Hellseher.
Allein schon die Legaldefinition der staatsgefährdenden Gewalttat ist hochproblematisch. Sie gibt viel Interpretationsspielraum. Offensichtlich gilt die Terrorismusvermutung für die Ausreise nach Syrien. Weshalb nicht auch für die Ausreise nach Afghanistan, in den Kongo oder in die Ukraine? In letzter Konsequenz stellt sich die Frage, ob der Kauf eines Flugtickets zu bestimmten Zielen demnächst bereits den Anfangsverdacht einer staatsgefährdenden Straftat begründet.
Wir dürfen einer schrittweisen Demontage unseres Rechtsstaats nicht untätig zuschauen. Die Regelung verstößt massiv gegen den von der Verfassung garantierten Bestimmtheitsgrundsatz. Es ist vorhersehbar, dass dieses Gesetz der Prüfung des Bundesverfassungsgesetzes nicht standhalten wird.
Abgesehen davon wäre es ohnehin besser – anstatt Menschen – Waffen aller Art die „Ausreise“ zu verbieten. Denn sie sind es, die für den Tod hunderttausender Unschuldiger und für die Flüchtlingsströme unserer Zeit ursächlich sind.
Der bizarre Vorgang am Flughafen ist ein untrügliches Indiz dafür, dass die weltpolitischen Ereignisse samt ihrer medialen Inszenierung den Kernbereich unseres demokratischen Rechtsstaats gefährden. Die Regierung wäre gut beraten, ihre Tatkraft nicht für die Ausarbeitung höchst fragwürdiger Gesetze, sondern für die Austrocknung der Terrorursachen zu investieren. Das ist zwar etwas anspruchsvoller, hilft aber perspektivisch wirklich (Bürgerrechtler kritisieren den Umgang mit Grund- und Menschenrechten in Deutschland).
Verschlimmert wird das an sich schon schwer Erträgliche noch dadurch, dass eine weitgehend abgestumpfte Medienlandschaft diese rechtsstaatliche Grenzwanderung offensichtlich nicht für kritikwürdig hält. Man wird den Verdacht nicht los, dass die mediale Aufregung deshalb unterbleibt, weil die rechtsstaatliche Sensibilität bei „Islamismus“ herabgesetzt ist.
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Peter Vonnahme war Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.
Dr. Alexander Unzicker ist Jurist, Physiker und Sachbuchautor.
Literatur:
Lügenpresse von Markus Gärtner
Gekaufte Journalisten von Udo Ulfkotte
Wenn das die Deutschen wüssten…: …dann hätten wir morgen eine (R)evolution! von Daniel Prinz
Quelle: Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten vom 27.10.2015
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Unbestreitbar ist der Glaube an den Rechtsstaat recht stark; zumindest wir in Deutschland sind überzeugt, dass wir ihn haben. Seine Wahrheit besteht darin, dass er, obwohl er nicht ist, solange er geglaubt wird, wahr ist. Wer nicht an diese Wahrheit glaubt ist verrückt und wird auch so behandelt.
Einige Angaben, die den Glauben an den Rechtsstaat eigentlich nicht bestätigen:
Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen sind systemkonform, meint ein ehemaliger Richter, vgl. http://www.odenwald-geschichten.de/?p=1740.
Grundrechte werden in Lobreden gepriesen, aber sie verkommen- http://www.youtube.com/watch?v=dgsNB8JKDd8. Bei den Antworten der Bundesregierung fällt auf, dass viele Fragen zu den Grundrechten schlicht nicht oder nur mit nichtssagenden Floskeln beantwortet werden- http://www.gruene-bundestag.de/cms/archiv/dok/294/294128.achtung_der_grundrechte.html.
Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen fehlt wegen gewollter Verdrehung der Tatsachen und der Rechtslage zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit (vgl. http://unschuldige.homepage.t-online.de/default.html und http://duckhome.net/tb/archives/8631-JUSTITIA.html).
Menschen, die wiederholt in ihren Grundrechten verletzt worden sind und das aufwendige nationale Verfahren nur in der Hoffnung auf den EGMR durchziehen, werden nicht nur in beschämender Weise im Stich gelassen, sondern auch noch als dumm und dämlich oder als Querulanten hingestellt (vgl. http://www.vgt.ch/justizwillkuer/egmr-zulassung.htm und https://derhonigmannsagt.wordpress.com/tag/europaischer-gerichtshof-fur-menschenrechte/). Das Bundesverfassungsgericht hält offenbar auch fasst alle für Querulanten, denn die Erfolgsquote liegt im Bereich von 0,2 bis 0,3 %, vgl. http://www.amazon.de/Das-Recht-Verfassungsbeschwerde-R%C3%BCdiger-Zuck/dp/3406467237.
Das Wort Querulant wird gebraucht, um Menschen verächtlich zu machen, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit (und rechtliches Gehör) ausüben. Für die Einsperrung in psychiatrischen Krankenhäusern, Entmündigung und Existenzvernichtung reicht es noch heute, vgl. http://de.wikimannia.org/Querulantentum. Gustl Mollath: „Paragraph 63 ist ein Nazi-Gesetz“- http://www.regensburg-digital.de/paragraph-63-ist-ein-nazi-gesetz/25032014/.
Beschwerden über Ton und Parteilichkeit in der Justiz haben keine Chance. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14346342.html und http://www.odenwald-geschichten.de/?p=682.
Rechtsanwälten, die beim obrigkeitsstaatlichen Machtmissbrauch stören, wird übel zugesetzt, vgl. http://www.freegermany.de/claus-plantiko.html und http://bloegi.wordpress.com/2010/09/26/3-jahre-4-monate-gefangnis-fur-beamten-beleidigung/. Das paranoide System (der DDR) schaffte es, aus seelisch gesunden Menschen paranoide zu machen. http://f3.webmart.de/f.cfm?id=2165073&r=threadview&t=3519482&pg=1. Das paranoide System der BRD schafft das auch locker.
Wie im Tierreich, wo das Leittier im Rudel immer wieder einzelne ohne erkennbaren Grund beißt oder auf andere Weise attackiert, um die eigene Machtposition zu unterstreichen, so demonstrieren oft auch Vorgesetzte ihre Machtbefugnisse, indem sie willkürlich Untergebene schikanieren. Gemobbte werden dann als Querulanten bzw. psychisch gestört abgestempelt (vgl. http://www1.uni-giessen.de/Personalrat/mobbing.htm). Damit man nicht so leicht der totalen Willkür ausgesetzt werden kann, sollte man eine Patientenverfügung ausfüllen- http://www.patverfue.de/media/PatVerfue_neu.pdf. Wer zur Wahl geht, legitimiert nach der Legitimationskettentheorie (https://de.wikipedia.org/wiki/Legitimationskettentheorie) das staatliche Handeln, auch den Machtmissbrauch.