Durch Erosion gehen in Europa jedes Jahr 970 Millionen Tonnen Boden verloren – genug, um ganz Berlin einen Meter hoch zu bedecken. Wissenschaftlern zufolge sind besonders die offenen Ackerflächen schutzlos gegenüber der Erosion: Der Boden schwindet dort viel schneller, als er sich regenerieren kann. Die Forscher empfehlen darum dringend effektivere Schutzmaßnahmen.
„So sicher wie der Boden, auf dem wir stehen“ ist ein Sprichwort, das möglicherweise überdacht werden muss. Bereits Anfang des Jahres zeigte der Bodenatlas 2015, dass wir mehr Boden bebauen und verbrauchen, als wir langfristig zur Verfügung haben. Dabei sind wir auf fruchtbaren Boden angewiesen: Bereits jetzt müssen wir viele Lebensmittel nach Deutschland importieren, weil wir andernfalls doppelt so viel Anbaufläche bräuchten, wie tatsächlich vorhanden ist.
Verlust übersteigt Neubildung
Die zunehmende Bebauung ist aber nicht die einzigen Probleme. Wind und Regen reißen außerdem Jahr für Jahr wichtigen Boden davon. Wie stark diese Erosion in der ganzen EU stattfindet, haben Wissenschaftler um Panos Panagos vom Joint Research Centre der Europäischen Kommission in einem Modell untersucht. Dabei berücksichtigten sie die Art des Bodens und wie er genutzt wird, wie leicht der Boden von Regen ausgewaschen werden kann und ob bereits Schutzmaßnahmen gegen Erosion vorhanden sind.
Die Ergebnisse sind alarmierend: Jedes Jahr gehen in der gesamten EU insgesamt 970 Millionen Tonnen Boden verloren. Das entspricht einer Bodendecke von einem Meter Dicke auf der Fläche von Berlin. Bei einer Schichtdicke von einem Zentimeter wäre die Fläche doppelt so groß wie Belgien. Dabei dauert es etwa hundert Jahre, bis nur ein Zentimeter Boden neu entsteht.
Jeder Hektar Land der EU verliert der Studie zufolge im Durchschnitt knapp 2,5 Tonnen fruchtbaren Boden pro Jahr. Besorgniserregend daran ist, dass sich der Boden nur mit einer Rate von 1,4 Tonnen im Jahr regeneriert – durch Erosion verliert Europa also langsam den Boden unter den Füßen (Böden weltweit in Gefahr: Die Erde mit Füßen getreten).
Ackerland ist besonders gefährdet
Im Vergleich der EU-Staaten liegt Deutschland noch vergleichsweise positiv da: Bei uns treibt der Regen jährlich etwa 1,25 Tonnen Boden von jedem Hektar Land, also noch knapp unter dem kritischen Wert der Bodenneubildung. Doch dies ist ein Durchschnitt über die gesamte Landesfläche – betrachtet man nur die landwirtschaftlichen Flächen, so steigt der Wert auf 1,75 Tonnen pro Hektar an.
Denn ausgerechnet diese meist offenen Flächen sind besonders schutzlos gegenüber der Erosion: Sie steuern europaweit mehr als zwei Drittel des Bodenverlustes bei. Aus den Wäldern stammt dagegen weniger als ein Prozent des verlorenen Bodens. In fast einem Viertel der Landfläche in der EU liegt der Bodenverlust über zwei Tonnen pro Hektar im Jahr. Am stärksten betroffen sind der Studie zufolge die Staaten Italien, Slowenien und Österreich. Hier liegen die Erosionsraten über sieben Tonnen, in Italien sogar über acht Tonnen. Den geringsten Verlust haben Finnland, Estland und die Niederlande.
(Karte der Bodenerosion durch Auswaschung in der EU)
Schutzmaßnahmen reichen noch nicht aus
Dabei haben Schutzmaßnahmen die Erosion des Bodens in den vergangenen Jahren in der EU bereits um fast zehn Prozent eingedämmt, auf Anbauflächen sogar um 20 Prozent. Um die Produktion von Nahrungsmitteln und Trinkwasser sicher zu stellen, aber auch um Ökosysteme und ihre Artenvielfalt zu schützen, gehört der Schutz des Bodens mittlerweile zu den wichtigen Umweltzielen der EU-Kommission (EU-Kommission: Zulassungen für 19 Gentechnik-Pflanzen). Doch die bisherigen Maßnahmen scheinen noch nicht auszureichen. Regionen mit besonders starker Erosion sollten stärkere finanzielle Unterstützung erhalten, empfehlen die Forscher.
Für die Zukunft sehen die Wissenschaftler verschiedene mögliche Szenarien: Betrachtet man die erwartete Landnutzung bis 2050, so könnte der Verlust durch Erosion leicht zurückgehen. Verantwortlich dafür sind wachsende Waldflächen, die den Boden festhalten. Allerdings reicht dieser schützende Effekt nicht aus: Der Bedarf an Ackerfläche wird bis dahin wahrscheinlich noch stärker steigen.
Literatur:
Menschenzeit: Zerstören oder gestalten? Wie wir heute die Welt von morgen erschaffen von Christian Schwägerl
Kritik des Anthropozäns: Plädoyer für eine neue Humanökologie von Jürgen Manemann
Das sechste Sterben: Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt von Elizabeth Kolbert
Der geplünderte Planet: Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen von Ugo Bardi
Quellen: Joint Research Centre/scinexx.de vom 03.09.2015
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