Spaniens rigides Anti-Demonstrationsgesetz ist trotz massiver Proteste aus Bevölkerung, Politik und Justiz in Kraft getreten.
Ab sofort können Behörden für Teilnahme oder den Aufruf zu Demonstrationen Geldbußen bis zu 600.000 Euro verhängen.
Die Polizei kann Bürger für die Ausübung ihrer Grundrechte ohne jede richterliche Entscheidung finanziell bestrafen.
(Bild: Strafzettel statt Gerichtsverfahren: Protest gegen die in Spanien so häufigen Zwangsräumungen (hier im April in Madrid) ist ab sofort ebenso verboten wie friedliche Demonstrationen vor dem Parlament oder in Banken)
Spaniens höchst umstrittenes Anti-Protest Gesetz trat trotz massiver Proteste Anfang Juli in Kraft. Das neue Sicherheitsgesetz – von Gegnern „Knebelgesetz“ genannt, wird von Bürgern, Oppositionsparteien, Richtern, Anwälten und Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen und dem Europarat gleichermaßen kritisiert. Sie werfen der Regierung von Mariano Rajoy vor, mit dem Gesetz grundlegende Bürgerrechte wie die Freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht aushebeln, um Proteste zu verhindern.
Die Beschränkungen beinhalten das Demonstrieren in der Nähe der Regierungsgebäude, die zu Geldstrafen von bis zu 600.000 € führen können. Auch das Fotografieren von Polizisten ist ab sofort per Strafe verboten. Die Polizei bekommt weitreichende Befugnisse, kann Bürger direkt mit bis zu 600 Euro bestrafen, wenn sie sich „respektlos“ behandelt fühlen und jede friedliche Versammlung in der Öffentlichkeit auflösen, sofern eine „zuständige Behörde“ dies anordnet. Das Gesetz kriminalisiert auch das Blockieren von Zwangs-Räumungen – eine seit dem Beginn der Wirtschaftskrise weit verbreitete Solidaritätspraxis in Spanien, wo zahllose Bürger mit ihrem Arbeitsplatz auch ihre Häuser verloren, da sie nicht mehr in der Lage waren, ihre Hypotheken zu bezahlen. Nicht nur das Mitmachen, bereits das Verbreiten einer solchen Demonstration etwa über Twitter oder Facebook-Posts wird strafbar.
Nur 7 Prozent der Bürger unterstützen laut Umfrage das Gesetz, seit Monaten gibt es Massendemonstrationen gegen die Einführung. Dazu haben die Bürger sogar eine Hologramm-Demo organisiert, bei der statt physischen Menschen eine virtuelle Masse von Protestierenden auf die Straße vor das Parlament projiziert wurde.
Alle Oppositionsparteien haben bereits gesagt, dass sie das Gesetz aufheben, wenn sie eine Mehrheit in der spanischen Wahlen noch in diesem Jahr zu erreichen. „Die ,Knebelgesetze‘ dauern so lange wie die Regierung Rajoy. Sobald wir in der Regierung sind werden sie aufgehoben“, so die sozialdemokratischen Führer Pedro. Die Protestpartei Podemos hat ebenfalls die sofortige Abschaffung der „unnötigen und ungerechten Gesetze“ in ihr Wahlprogramm geschrieben. Die spanische Zeitung El Diario schreibt: „Was auch passiert – nach diesem Gesetz hat die Regierung immer Recht.“
Richter Joaquim Bosch, Sprecher der Organisation Richter für Demokratie kritisiert im EU-Observer: „Es ist kein Gesetz für die Sicherheit der Bürger, sondern ein Gesetz für die Regierung, um die Bürger vom Protestieren abzuhalten. Alle Meinungsumfragen zeigen, dass die spanischen Bürger sich keine Sorgen um ihre Sicherheit machen, sondern um die Wirtschaftslage und die politische Korruption.“
Das Hauptproblem sei, dass das Gesetz versucht, die Gerichte bei Entscheidungen zu umgehen, die die die Grundrechte der Bürger berühren. Um die Justiz zu umgehen, werden alle Delikte als Vergehen geahndet: So können die Geldstrafen direkt ohne Gerichtsverfahren durchgesetzt werden. Allerdings sind die Straf-Beträge nicht weniger abschreckend als Gefängnis: Schwere Vergehen können zwischen 30.000 € und 600.000 € kosten. „Die politische Macht bestraft direkt, durch Verwaltungsbehörden ein bestimmtes Verhalten das mit Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht verbunden ist. Auf diese Weise verwandelt sich die Regierung in Richter und Jury, um die Kritiker ihrer Regierungsweise zum Schweigen zu bringen“, so der Richter.
Bosch kritisierte außerdem die ebenfalls in Kraft getretenen Strafgesetz-Reformen, die Gefängnisstrafen auch für diejenigen vorsehen, die friedlich in einer Bank protestieren oder Inhalte über soziale Netzwerke verbreiten, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen könnten. „Strafen wurden verschärft. Dies ist unnötig, in einem Land, das die niedrigsten Quote von Straftaten pro Kopf in ganz Europa hat“, fügt er hinzu.
Literatur:
Politische Korrektheit: Von Gesinnungspolizisten und Meinungsdiktatoren von Michael Brückner
Die Vereinigten Staaten von Europa: Geheimdokumente enthüllen: Die dunklen Pläne der Elite von Oliver Janich
Ich bin nicht Charlie: Meinungsfreiheit nach dem Terror von Martin Lichtmesz
Quellen: dpa/Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten vom 08.07.2015
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