Ministerpräsident Alexis Tsipras beugt sich Diktat der EU: Brutales Kürzungspaket, Hellas unter Zwangsverwaltung der Troika. Proteste in Athen und im Internet: #ThisIsACoup.
Griechenland wird de facto einer Kolonialherrschaft der Troika unterworfen. Nach 17-stündigen Verhandlungen einigten sich am Montag morgen die Regierungschefs der 19 Euro-Länder »einstimmig« darauf, Verhandlungen über ein »drittes Hilfspaket« aufzunehmen. Als Voraussetzung dafür musste sich der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras offenbar weitgehend einem Diktat unterwerfen, das die Finanzminister der Eurogruppe am Sonntag vorgelegt hatten. Mit diesem Forderungskatalog hatte die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) angeführte Riege das am Freitag von Athen vorgelegte Kürzungsangebot noch einmal verschärft.
Dem Papier der Finanzminister zufolge musste Ministerpräsident Alexis Tsipras vom griechischen Parlament noch in dieser Woche eine generelle Zustimmung zum kompletten Programm einholen. Bis Mittwoch sollten die Abgeordneten bereits eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, eine Einleitung der Rentenreform, eine Justizreform zur Beschleunigung der Verfahren und damit einer Kostensenkung, die Gewährleistung der Unabhängigkeit des nationalen Statistikamts sowie eine quasi-automatische Ausgabenkürzungen bei einem Reißen der Sparziele beschließen. Bis Ende der Woche wurde zudem die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken gefordert, wonach zuerst deren Eigentümer und Gläubiger die Verluste tragen müssen und erst danach ein von der gesamten Bankenindustrie finanzierter Abwicklungsfonds. Diese Vorgaben akzeptierte Tsipras offenbar weitgehend. »Wir haben einen gerechten Kampf geführt«, sagte er am Montag in Brüssel. »Wir stehen jetzt vor schweren Entscheidungen.«
Er habe in den Verhandlungen mit den »Partnern« hart gekämpft, betonte Tsipras. Nun werde er im Inland ebenso hart kämpfen, damit die Gipfelbeschlüsse umgesetzt würden. »Griechenland braucht tiefgreifende Reformen«, betonte er.
Erst nach Erfüllung des Ultimatums soll die Troika von Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission beauftragt werden, das Dreijahresprogramm im Einzelnen auszuhandeln. Darin werden weitere Auflagen verlangt. So soll bis Oktober eine Rentenreform zur schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre beschlossen werden. Zu den Vorgaben gehören außerdem die Öffnung von Produktmärkten, Handel und geschlossenen Berufsgruppen, darunter das Fährgeschäft, Privatisierungen im Energiesektor, die Fortführung der »Arbeitsmarktreform«, eine Finanzmarktreform, die der Gefahr durch faule Kredite bei den Banken begegnen soll, die Verabschiedung einer Verwaltungsreform unter EU-Aufsicht sowie eine Beschleunigung der Privatisierungen. Auch diesem Diktat scheint sich Tsipras gebeugt zu haben.
Lange strittig war in den nächtlichen Verhandlungen offenbar eine von Schäuble geforderte Überführung von Staatsvermögen in einen Fonds unter Aufsicht der EU, mit dessen Einnahmen Schulden abgebaut werden sollen. Nun soll dieser Fonds offenbar in Athen und nicht in Luxemburg angesiedelt werden. Die Einnahmen aus dem Verkauf von staatseigenen Betrieben und Vermögen soll zur Hälfte in die Rückzahlung der Schulden fließen, zu einem anderen Teil in die Rekapitalisierung der Banken – die nach Angaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) anschließend privatisiert werden sollen – und in Investitionen in Griechenland. Zugleich wird die Kontrolle durch die Troika ausgeweitet: Athen muss sicherstellen, dass deren Vertreter Zugang zu den Ministerien erhalten. Ob die Forderung der Finanzminister akzeptiert wurde, dass die Troika relevante Gesetzentwürfe absegnen müsse, bevor diese im Parlament verhandelt werden, wurde zunächst nicht bekannt.
Verpflichtet wurde Athen zudem darauf, die im Februar beschlossenen Gesetze über eine Wiedereinstellung entlassener Staatsdiener zurückzunehmen. So sollen nach Informationen des kommunistischen Nachrichtenportals 902.gr offenbar Reinigungskräfte, die nach monatelangen Protesten weiterbeschäftigt wurden, nun doch wieder auf die Straße geworfen werden. Auch der wieder in Betrieb genommene öffentlich-rechtliche Rundfunk ERT steht demnach erneut zur Disposition.
Die von Athen im Gegenzug erhofften Schuldenerleichterungen gibt es dagegen nicht. Eine »Umstrukturierung« der Verbindlichkeiten wurde lediglich vage in Aussicht gestellt, wenn das dritte »Hilfsprogramm« erfolgreich laufe, wie Merkel bei einer Pressekonferenz am Montag morgen in Brüssel erklärte. Noch einmal betonte sie dort, dass Berlin einen Schuldenschnitt nicht akzeptiere.
Der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis hatte am Freitag über den Internetdienst Twitter gefordert, dass es ohne Zugeständnisse an Athen in der Schuldenfrage in Brüssel keine Einigung gegen dürfe: »Umstrukturierung der Schulden oder kein Abkommen! Das sage ich zumindest.« Am selben Tag hatte er im britischen Guardian einen Artikel veröffentlicht, in dem er Bundesfinanzminister Schäuble vorwarf, Griechenland gezielt aus dem Euro werfen zu wollen: »Auf der Grundlage monatelanger Verhandlungen bin ich davon überzeugt, dass der deutsche Finanzminister will, dass Griechenland aus der Währungsunion herausgedrängt wird, um den Franzosen das Fürchten zu lehren und sie zu zwingen, sich seinem Modell einer Eurozone zu unterwerfen, in der strenge Disziplin herrscht.«
Unterdessen kündigte Moskau Unterstützung für Griechenland an. Man werde den Wiederaufbau der Wirtschaft durch eine Kooperation im Energiesektor unterstützen, sagte Energieminister Alexander Nowak am Sonntag. Dazu würden direkte Energielieferungen für Athen gehören, die in Kürze beginnen könnten, hieß es.
Vor dem Parlament in Athen demonstrierten am Sonntag abend erneut Hunderte Menschen gegen weitere Kürzungen. Auch im Internet machte sich bereits Unmut bleibt. Tausende Nutzer des Internetdienstes Twitter verbreiteten den Hashtag (Schlagwort) #ThisIsACoup (Das ist ein Putsch) als Kommentar zu den Forderungen der EU an Athen. Eine ebenfalls auf diesem Weg massenhaft verbreitete Aufforderung an Tsipras, das Gipfeltreffen abzubrechen (#TsiprasLeaveEUSummit), blieb erfolglos.
…
Der linke Flügel der griechischen Regierungspartei Syriza schreibt auf seiner Homepage:
»Nach 17stündigen Verhandlungen haben die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone eine Vereinbarung geschlossen, die Griechenland und die Griechen demütigt. Das griechische Volk darf sich dadurch nicht entmutigen lassen, im Gegenteil: Es muss hartnäckig bleiben, wie es das im Referendum und den landesweiten Protesten für ein ›Nein‹ bis ganz zum Ende war.«
Die griechische Tageszeitung I Efimerida kommentiert:
»Auf dem Treffen dominierte Schäubles rachsüchtige Politik gegenüber der griechischen Regierung. Der Euro-Gipfel bedeutet ein schwarzes Kapitel in der europäischen Geschichte.«
Der US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman schreibt in einem Kommentar für die New York Times:
»Das europäische Projekt – ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe – hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erlitten. Und was immer man von Syriza oder Griechenland hält – die Griechen haben es nicht verbockt.« Der Hashtag »#thisisacoup«, der hunderttausendfach im Internetkurznachrichtendienst Twitter verbreitet wurde, liege genau richtig: Das Vorgehen der Eurogruppe gehe über Strenge hinaus »in schiere Rachsucht, in kompletter Zerstörung nationaler Souveränität, ohne Hoffnung auf Abhilfe«. Weiter schreibt Krugman: »Es ist vermutlich als Angebot gedacht, das Griechenland nicht annehmen kann – nichtsdestotrotz ist es ein grotesker Verrat an allem, wofür das europäische Projekt eigentlich stehen sollte.«
Pablo Iglesias, Chef der spanischen Partei Podemos, schreibt:
»All unsere Unterstützung für das griechische Volk und seine Regierung gegen die Mafiosi. #ThisIsACoup«
Literatur:
Die Plünderung der Welt: Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen von Michael Maier
Der Crash ist die Lösung: Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten von Matthias Weik und Marc Friedrich
Weltmacht IWF: Chronik eines Raubzugs von Ernst Wolff
Quellen: dpa/AFP/Reuters/jungewelt.de vom 13.07.2015
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