Bei Tieren beobachtete Effekte lassen auf die Gesundheitsfolgen beim Menschen schließen.
Die Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima waren mit massiven Freisetzungen von Radioaktivität verbunden. Dies hatte neben den Gesundheitsschäden bei Menschen auch nachteilige Auswirkungen auf wild lebende Tiere sowie auf „Nutztiere“. Sowohl hohe als auch relativ niedrige Strahlendosen führten zu massiven Beeinträchtigungen der Gesundheit der Tiere bzw. zum Tod. Insbesondere die bei Säugetieren beobachteten Effekte bieten Anhaltspunkte für vergleichbare Gesundheitsfolgen bei Menschen.
Säugetiere reagieren am empfindlichsten
Die biologische Wirkung ionisierender Strahlung ist bei allen Lebewesen ähnlich: Temperaturerhöhung, Ionisierung von Atomen, Aufbrechen von chemischen Verbindungen und Bildung freier Radikale, Veränderung der DNA mit nachfolgenden Reparaturmechanismen. Die akute, tödliche Dosis unterscheidet sich jedoch je nach Tierart um Größenordnungen. Auch innerhalb einer Population gibt es Unterschiede hinsichtlich der Strahlensensitivität. Der Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der Bestrahlung spielt ebenfalls eine große Rolle. Im Allgemeinen reagieren Säugetiere am empfindlichsten auf ionisierende Strahlung, während wirbellose Tiere und einfache Organismen entsprechend ihrer weniger komplexen Biologie unempfindlicher sind.
Wegen der Frage der Übertragbarkeit auf den Menschen sollen hier in erster Linie die Effekte bei Säugetieren dargestellt werden. Symptome der Strahlenkrankheit bei Hunden und Hühnern Wenige Monate nach Tschernobyl wurden in der Umgebung des havarierten Atomkraftwerks im August und September 1986 Hunde und Hühner erschossen und obduziert.
Die Tiere zeigten Symptome der chronischen Strahlenkrankheit: geringes Gewicht, reduzierte Fettreserven, ein Anschwellen von Lymphknoten, Leber und Milz, Leber- und Milzblutungen und Darmwandverdickung. Bei Hühnern wurden zudem weder in den Nestern noch in den Ovarien Eier gefunden.
Sterben kleiner Nagetiere
Im Herbst 1986 wurde festgestellt, dass auf hoch kontaminierten Untersuchungsflächen die Zahl kleiner Nagetiere um den Faktor zwei bis zehn dramatisch gesunken war. Der Tierbestand erholte sich offenbar ab Frühjahr 1987 durch die Zuwanderung von Tieren aus weniger stark kontaminierten Gebieten. In den Jahren 1986 und 1987 erhöhte sich in den hoch kontaminierten Gebieten bei Nagetieren zudem die Todesrate in der Phase vor der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter („preimplantation deaths“) zwei- bis dreifach gegenüber weniger stark kontaminierten „Kontrollgebieten“. Ebenso nahm der Verlust von Embryonen stark zu.
Chromosomenaberrationen in Knochenmarkzellen bei Mäusen
An fünf Standorten in Belarus wurde bei Waldwühlmäusen (Myodes glareolus) eine Korrelation zwischen der Konzentration von Radionukliden und Veränderungen von Chromosomen in Knochenmarkzellen festgestellt. Die Rate der Chromosomenaberrationen schien von 1986 bis 1996 über rund 22 Mäusegenerationen relativ konstant zu bleiben, obwohl die geschätzte Körperdosis mit einer Halbwertszeit von 2,5 bis 3 Jahren zurückging.
Schwere Schädigungen bei Rindern
Obwohl nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl der Großteil des Viehbestandes evakuiert worden war, verblieben mehrere hundert Rinder noch für zwei oder vier Monate in stärker kontaminierten Gebieten der Kontrollzone. Im Herbst 1986 wiesen viele dieser Rinder ein stark geschwächtes Immunsystem, eine verringerte Körpertemperatur und eine Schädigung des Herz-Kreislauf-Systems auf oder waren bereits gestorben. Zudem wurden eine drastisch verringerte Schilddrüsenfunktion sowie reduzierte Schilddrüsenhormone im Blut festgestellt. Histologische Untersuchungen zeigten radiologische Schäden an den Schilddrüsen. In der Ukraine fand man Tiere praktisch ohne Schilddrüsengewebe. Vergleichbare Befunde wurden in Belarus festgestellt. Bis 1989 war die Fortpflanzung der Tierpopulationen stark reduziert, was auf die andauernde Schilddrüsenunterfunktion zurückgeführt wird. Bei den Nachkommen der betroffenen Rinder wurden ein geringes Geburtsgewicht, geringe Gewichtszunahme und Kleinwüchsigkeit festgestellt.
Strahlenschäden bei Schafen und Pferden
Chronische Strahlenschäden zeigten sich eineinhalb Jahre nach dem Super-GAU auch bei über 2.000 Schafen und 300 Pferden im belarussischen Verwaltungsgebiet Rajon Choiniki. Bei den Schafen war der Allgemeinzustand stark beeinträchtigt. Hinzu kamen Abmagerung, Atemprobleme, eine verringerte Körpertemperatur, ein erhöhter Blutzuckerspiegel, eine Verringerung der Schilddrüsenhormone im Blut, eine reduzierte Zahl der Blutkörperchen (weiße Blutkörperchen, rote Blutkörperchen, Blutplättchen). Die Nachkommen der betroffenen Schafe wiesen ein verringertes Gewicht auf.
Auch bei den Pferden war der Allgemeinzustand stark beeinträchtigt, sie hatten Ödeme, eine reduzierte Zahl an weißen Blutkörperchen und Blutplättchen und eine abnormal hohe Anzahl von Knochenmarkszellen im peripheren Blut. 70 Prozent der Pferde wiesen einen extrem reduzierten Schilddrüsenhormonspiegel auf.
Fukushima: Stark verändertes Blutbild bei Affen
Im April 2012, nach der Atomkatastrophe in Japan, wurden auch bei wilden Affen aus den Wäldern der Stadt Fukushima Blutbildveränderungen festgestellt. Als Kontrollgruppe wurde eine Affenpopulation herangezogen, die ca. 400 km nördlich von Fukushima lebt. Während in den Muskeln der Affen aus Fukushima Cäsiumkonzentrationen zwischen 78 und 1778 Bq/kg festgestellt wurden, lagen die Cäsiumwerte der Kontrollgruppe unterhalb der Nachweisgrenze. Proportional zu der Höhe der Cäsiumkonzentration im Muskel wurde bei den Affen von Fukushima eine Reduktion von roten und weißen Blutkörperchen gemessen, so dass von einer Dosis-Wirkungsbeziehung auszugehen ist.
Auswirkungen auf Nicht-Säugetiere und genetische Schäden
Auch bei Nicht-Säugetieren belegen zahlreiche Studien gesundheitliche Auswirkungen der Radioaktivität auf die Tierwelt. In Japan ging die Anzahl der Vögel, Schmetterlinge und Zikaden in kontaminierten Gebieten zurück. Studien an Fukushima-Schmetterlingen konnten, proportional zur radioaktiven Kontamination der Nahrung, eine Reduktion der Körper- und Flügelgröße, eine größere Zahl an morphologischen Mutationen und eine erhöhte Sterblichkeitsrate zeigen.
Mehr als 100 Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern in Fukushima – mehr als 22.000 Kinder mit neuen Zysten und Knoten
Am 18. Mai wurden die neuesten Zahlen der Schilddrüsenkrebsstudie der Präfektur Fukushima veröffentlicht. Inzwischen mussten insgesamt 103 Kinder wegen schnell wachsender oder metastasierter Schilddrüsenkrebsfälle operiert werden. Bei 23 weiteren besteht der akute Verdacht auf Schilddrüsenkrebs. Beunruhigend ist darüber hinaus die Zunahme der abklärungsbedürftigen Befunde während der letzten zwei Jahre: Bei 22.837 Kindern, bei denen im ersten Screening noch gar keine Schilddrüsenanomalien gefunden wurden, stellte man nun im Zweitscreening Zysten oder Knoten fest. Bei 235 von ihnen waren diese sogar so groß, dass eine weitere Abklärung dringend notwendig wurde. In bislang 5 Fällen wurden neue Krebsgeschwüre entdeckt und operiert – eine besorgniserregende Entwicklung, die sich nicht länger durch einen bloßen „Screening-Effekt“ erklären lässt.
In ganz Japan muss zudem mit einer erhöhten Zahl an Schilddrüsenkrebsfällen gerechnet werden. Im UNSCEAR Bericht von 2013 wird die kollektive Lebenszeit-Schilddrüsendosis der japanischen Bevölkerung durch den Atomunfall von Fukushima auf 112.000 Personen geschätzt. Unter Verwendung des BEIR-VII Risikofaktors von 0,009/PGy muss somit mit rund 1.000 Schilddrüsenkrebs-Fällen gerechnet werden. Da es sich bei der von UNSEAR angegebenen Kollektivdosis jedoch um eine systematische Unterschätzung handeln dürfte, muss vermutlich noch mit weitaus höheren Zahlen gerechnet werden.
Schlussfolgerungen
Die Einwirkungen ionisierender Strahlung auf Menschen und die Tierwelt sind drastisch. Tschernobyl und Fukushima führten zu schwersten Erkrankungen bis hin zum Tod. Insbesondere die bei Säugetieren festgestellten Auswirkungen u.a. auf die Schilddrüse, das HerzKreislauf-System, das Blutbild und das Immunsystem sowie die Chromosomenaberrationen zeigen Parallelen zu vergleichbaren Effekten bei Menschen.
Die von der Atomlobby oft mit so genannter „Strahlenangst“ oder schlechten Lebensbedingungen begründeten Gesundheitsschäden von Tschernobylbetroffenen dürften daher tatsächlich auf die radioaktive Kontamination der Umwelt zurückzuführen sein.
Es ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass der jüngste UNSCEAR-Bericht zur Atomkatastrophe von Fukushima die Auswirkungen ionisierender Strahlung auf die Tierwelt, insbesondere auf Säugetiere, vollständig ausklammert. Es besteht weiterhin großer Forschungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Frage generationenübergreifender gesundheitlicher Auswirkungen.
Breit angelegte Langzeitstudien der Ökosysteme der betroffenen Gebiete und Genanalysen von Flora und Fauna sind dringend notwendig, auch um die gesundheitlichen Folgen radioaktiver Verstrahlung von Menschen künftig besser verstehen zu können.
(Lagerung von Kunststoffsäcken mit Dekontaminationsabfall am 31. Mai 2015)
Schäden an Plastiksäcken mit kontaminiertem Material
Kontaminierte Abfälle gelangten aus Lagersäcken: Erneut wurden in der Präfektur Fukushima Beschädigungen an Plastiksäcken mit radioaktiv belastetem Inhalt gefunden (lesen Sie hier weiter).
Literatur:
Der Grüne Blackout: Warum die Energiewende nicht funktionieren kann von Alexander Wendt
Fukushima 360º – Das atomgespaltene Leben der Opfer vom 11. März 2011: 44 Foto-Reportagen von Alexander Neureuter von Alexander Neureuter
Quellen: PRAVDA TV/PublicDomain/spreadnews.de/ippnw.de vom 10.06.2015
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Leider unterscheidet der Artikel nicht zwischen hoch und niedrig dosierter ionisierender Strahlung. Deren biologische Wirkung ist nämlich sehr unterschiedlich.
In kurzer Zeit verabfolgte hohe Strahlendosen führen zur Strahlenkrankheit und den entsprechenden Folgen, also zu massiven Schädigungen oder Tod.
Anders sieht es jedoch bei Niedrigstrahlung aus: Sie ist nicht nur unschädlich, sondern sogar nützlich. Beispielsweise wurden in Taiwan mehrere tausend Personen über Jahre hinweg versehentlich durch mit radioaktivem Cobalt-60 kontaminierten Baustahl bestrahlt. In der Folge SANK die Krebssterblichkeit dieser Gruppe gegenüber der Gesamtbevölkerung um satte 97 Prozent, die Zahl der Fehlbildungen ging um 93 Prozent zurück.
Schade, daß der Artikel solche Dinge nicht erwähnt! Es wäre gut, Strahlung und Strahlenwirkungen differenziert darzustellen. Das könnte dem Leser helfen, das Thema besser zu verstehen. Strahlung sollten wir mit Respekt und Augenmaß begegnen, aber nicht mit Angst oder kopfloser Panik.