Auch der Warenkorb schlägt eine Brücke zwischen Überfluss und Mangel: Die Mitarbeiter sammeln einwandfreie Lebensmittel bei Supermärkten und Bäckereien ein, die sonst in der Mülltonne landen würden.
Die Nachfrage nach gespendeten Lebensmitteln ist bei den Tafeln deutlich gestiegen. Deshalb stoßen viele Einrichtungen mittlerweile an ihre Grenzen. Nicht nur zum Warenkorb in Hagen in Nordrhein-Westfalen kommen immer mehr Menschen, die in Armut leben.
Jede Packung Wurst geht an diesem Morgen durch Martina Prosts Hände. Seit eineinhalb Jahren arbeitet die Hagenerin ehrenamtlich bei der Caritas-Tafel Warenkorb im Stadtteil Boele. Mit ihren geschulten Augen sieht sie, ob der Aufschnitt oder die Salami noch einwandfrei sind – wenn nicht, wandert das Lebensmittel in den Mülleimer. Die Ausnahme im Warenkorb – der Grundgedanke einer Tafel ist, noch verzehrbare Lebensmittel vor dem Wegwerfen zu bewahren und an Bedürftige zu verteilen.
Und doch: Die beiden Warenkorb-Ausgaben in Hagen – die zweite befindet sich in Wehringhausen – stoßen wie so viele Tafeln im Bundesgebiet an Grenzen. „Die Nachfrage nach günstigen Nahrungsmitteln übersteigt das vorhandene Angebot“, sagt Tatjana Flatt, Fachbereichsleiterin Soziale Dienste beim Caritasverband Hagen, und nennt den Grund: „Es gibt immer mehr Menschen, die unter Armut leiden.“ Derzeit sind 7000 Kunden in der Warenkorb-Datenbank, 40 Prozent davon sind Kinder. Wegen der übergroßen Nachfrage wurde eine Warteliste geschlossen. „Es ist nicht befriedigend, wenn die einen etwas bekommen und die anderen nicht.“
„Keine Unterschiede“
Es sind beispielsweise Senioren, deren Rente hinten und vorne nicht reicht, Arbeitslose, Geringverdiener, Alleinerziehende und Asylbewerber, die die Ausgabestelle in Boele aufsuchen. „Ja, auch Asylbewerber“, sagt Tatjana Flatt. „Sie sind aber nur ein Teil der Bedürftigen. Wir machen keine Unterschiede bei Menschen.“
Wieder fährt ein Lieferwagen der Caritas das Gebäude in unmittelbarer Nähe der Kirche an. Fleißige Helfer packen Kisten mit Obst, Brot, Joghurt und Eiern an und bringen sie in den Warenkorb. Gespendet von Supermärkten und Bäckereien. „Wir sind den 60 Geschäften, die mit uns zusammenarbeiten, überaus dankbar“, sagt Tatjana Flatt, gesteht aber ein, dass es bundesweit für Tafeln schwieriger geworden ist, an Waren zu kommen. „Die Märkte kalkulieren zunehmend so, dass möglichst wenig übrig bleibt oder verkaufen Ware, die nur noch kurze Zeit haltbar ist, für die Hälfte.“
Die Lebensmittel wandern in Hagen nicht 1:1 zu den Bedürftigen. In einem Raum des Warenkorbs wird jedes Obst und jedes Gemüse untersucht, ob es noch zum Verzehr geeignet ist, ein Raum weiter werden Backwaren vorsortiert, in der Kühlabteilung steht Martina Prost und berichtet von großer Dankbarkeit, die ihr entgegen schlägt. „Es ist doch wunderbar, anderen Menschen helfen zu können.“
Die Caritas hat die Ausgabezeiten in Boele von zwei Mal in der Woche auf drei Mal erhöht. „Ein Versuch, der Nachfrage gerecht zu werden“, sagt Tatjana Flatt. Jeder Bedürftige muss einen entsprechenden Ausweis vorlegen – alle sechs Monate wird die Bedürftigkeit von der Sozialberatung überprüft -, wenn er einmal in der Woche den Warenkorb zum Einkauf aufsucht.
Die Tafel ist ein Instrument zur Existenzsicherung von immer mehr Menschen, aber gleichzeitig der Beleg, „dass die sozialstaatliche Absicherung Lücken hat, dass es einen Mangel an Grundversorgung gibt“, wie es Tatjana Flatt formuliert. Sie möchte das Thema Armut in die politischen Ebenen tragen, wo die Ursachen identifiziert werden müssten. Und: „Es muss nach langfristigen Lösungen gesucht werden.“ Das könne nicht bedeuten, noch mehr Tafeln einzurichten.
Zunehmende Altersarmut
Als die Siegener Tafel vor 17 Jahren eröffnet wurde, war man die 78. in Deutschland, sagt Sybille Klein. „Jetzt sind es 925.“ Die Sprecherin ist bedrückt durch die zunehmende Altersarmut. „Eine bedenkliche Entwicklung“, sagt sie und schildert den Fall der älteren Dame, die sich eines Tages an sie wandte. Die Frau habe „ihr Leben lang“ als Krankenpflegerin gearbeitet und könne jetzt als Rentnerin ihre Drei-Zimmer-Wohnung nicht mehr halten.
5000 Bedürftige in der Woche suchen die Tafel in Siegen auf, wo 20 Tonnen Lebensmittel verteilt werden. Darunter zunehmend auch Studenten, wie Sibylle Klein erzählt: „Zum Beispiel jene, die wegen des Einkommens der Eltern kein Bafög bekommen, aber gleichzeitig keine finanzielle Unterstützung von ihnen erhalten, weil diese das Studium ablehnen.“
Die Nachfrage nach Lebensmitteln steige schon kontinuierlich. Wie in Hagen, wo Tatjana Flatt eine Lanze für die Bedürftigen bricht: „Es stellt sich keiner freiwillig in die Schlange vor der Ausgabe, der nicht darauf angewiesen ist.“
Literatur:
Ändere die Welt!: Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen von Jean Ziegler
Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus von Naomi Klein
Armut essen Seele auf (Reichtum auch): Kinderarmut im reichen Deutschland von Georg Rammer
Die Jahrhundertlüge, die nur Insider kennen 2: erkennen-erwachen-verändern von Heiko Schrang
Quellen: hartgeld.com/derwesten.de vom 28.05.2015
Weitere Artikel:
Armuts-Schock: 40 Prozent der Tafelkunden sind Rentner
Ändere die Welt!: Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen (Video)
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„Die ‚Tafel‘ lädt zu Tisch“:
http://de.indymedia.org/2007/06/179652.shtml
Wer mag, recherchiere gerne einmal die von ‚McKinsey‘ Spenden- und (absetzbare)
Unternehmenssteuerpolitik dahinter.
Nichts gegen Suppenküchen u.ä. (wie auch in den VSA) – aber dass man erst die Leute
über die Wirtschaftspolitik verarmen lässt und sich dann an der Armenspeisung via
abgelaufener Füllstoffe dies noch indirekt steuerlich vergolden lässt – na, ich weiß
ja nicht, ob das wirklich dem Begriff des ’social sponsoring‘ gerecht wird.
ChG