Island: Revolutionäre Krisenstrategie als Vorbild

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Die Isländer sind ein stolzes, dickköpfiges Volk mit einer über 1200-jährigen Geschichte und robuster skandinavischer Abstammung, sie leben in einer der schönsten Landschaften unserer Erde. 2001 traf ihre Regierung gleich mehrere verhängnisvolle Entscheidungen, die zur schlimmsten Bankenkrise der Geschichte führen sollten.

Begeistert von den Freimarkt-Ideen Milton Friedmans setzte der damalige Ministerpräsident Davíð Oddsson auf Steuersenkungen, kürzte die Körperschaftssteuer auf 18 Prozent, schaffte die Vermögenssteuer ab und privatisierte das Bankensystem. Für ein Land mit einer Bevölkerung von nur 239 000 Menschen führte er eine Finanzderegulierung nach amerikanischem Vorbild ein. Außerdem band er Island durch ein Freihandelsabkommen an die EU. Er wurde Teil der illustren Kreise um Bill Clinton und George H. W. Bush, der zum Lachsfischen nach Reykjavik eingeladen wurde, und er war regelmäßiger Gast bei den Bilderberger-Treffen. Das scheint ihm zu Kopfe gestiegen zu sein.

2005 wurde Oddsson Chef der isländischen Zentralbank, wo er die Megalomanie der drei deregulierten Banken förderte, als er in nie dagewesenem Umfang Geld druckte und die Wirtschaft mit Liquidität überschwemmte, bis er 2009 nach der schlimmsten Bankenkrise der isländischen Geschichte vom Parlament seines Amtes enthoben wurde.

Seit Beginn des isländischen Bankenkrachs und der Wirtschaftskrise von 2008 nach dem Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers im September des Jahres erinnerten sich die Isländer an ihre jahrhundertelange Tradition direkter Demokratie, gingen auf die Straße und forderten einen grundlegenden Wandel.

Oddssons Kumpane in den neu deregulierten Privatbanken des kleinen Landes hatten jede Vorsicht fahren lassen, als sie entschieden, Reykjavik sei dazu ausersehen, zur neuen Wall Street zu werden, ein aufstrebendes Weltfinanzzentrum.

Zu Beginn der globalen Finanzkrise verfügten die drei Banken insgesamt über Vermögenswerte in Höhe des Elffachen des isländischen BIP. Sie hatten Auslandsschulden von über 50 Milliarden Euro bei einem BIP von 8,5 Milliarden Euro. Die unerfahrenen isländischen Banker hatten ihr schwindelerregendes Wachstum durch Kreditaufnahme auf dem Interbankenmarkt, hauptsächlich bei britischen und niederländischen Banken, finanziert.

Für die Regierung ging es vornehmlich darum, die Bevölkerung und die Wirtschaft des Landes vor den Auswirkungen der zügellosen Kreditvergabepolitik der drei Banken zu schützen – etwas, wofür auch die derzeitige griechische Regierung von den Bürgern gewählt wurde, sehr zum Entsetzen des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble und anderer. Bis November 2008 war die Arbeitslosigkeit in Island innerhalb von nur zwei Monaten auf das Dreifache gestiegen.

Entschlossenes Handeln

Als sich die Wogen wieder etwas geglättet hatten, erwies sich der Zusammenbruch der Banken in Island relativ zum Umfang der Wirtschaft als der größte Crash, den je ein Land durchgemacht hatte. Im Oktober 2008 wurden die drei großen Banken – Glitnir-Bank, Landsbanki und die größte isländische Bank, die Kaupthing Bank, unter staatliche Kontrolle gestellt, verstaatlicht.

Zur selben Zeit lehnte es US-Finanzminister Henry Paulson, der die Lehman-Krise absichtlich ausgelöst hatte, kategorisch ab, die kriminellen Wall-Street-Banken zu verstaatlichen; verächtlich erklärte er: »Verstaatlichung ist Sozialismus, so etwas machen wir hier nicht.« Das war gelogen, denn Paulson, der unbeschränkte Vollmacht über 700 Milliarden Dollar aus dem sogenannten Troubled Asset Recovery Fund besaß, half der AIG, Goldman Sachs und seinen alten Freunden an der Wall Street aus der Patsche, während die »sozialisierten« Verluste den amerikanischen Steuerzahlern aufgebürdet wurden.

Anders als Griechenland, Irland, andere EU-Länder oder die USA lehnte das isländische Parlament unbegrenzte staatliche Garantien zur Rettung der Privatbanken ab.

Sie wurden stattdessen verstaatlicht und ein »Good bank-Bad bank«-Modell wurde errichtet, das sich an dem Erfolg orientierte, den Schweden 1992 mit der Gründung der Securum erzielt hatte. Alle inländischen Vermögenswerte der drei Banken flossen in die neu geschaffenen Banken ein, die jetzt in Staatsbesitz waren. Alle ausländischen Verbindlichkeiten der Banken, die Niederlassungen in England und den Niederlanden aufgebaut hatten, wurden unter Insolvenzverwaltung gestellt und zur Liquidation freigegeben. Britische und niederländische Partnerbanken und Regierungen protestierten lauthals und drohten Island mit Boykott und dem Ausschluss von zukünftigen Krediten. Darüber hinaus verhängte die Regierung eine Devisenbewirtschaftung.

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Das Parlament schuf das Amt eines Sonderstaatsanwalts, der Vorwürfen über Betrug von Regierung und Bankern nachgehen sollte. Verantwortliche wanderten ins Gefängnis. Baldur Guðlaugsson, Staatssekretär im Finanzministerium, kam wegen Insiderhandels ins Gefängnis, der Präsident der Glitnir-Bank wegen Steuerbetrugs; der Präsident der Kaupthing Bank wurde zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt; Ex-Ministerpräsident Geir H. Haarde wurde angeklagt.

Island entschied sich für einen Alleingang und konzentrierte sich auf den Wiederaufbau der zerrütteten Wirtschaft. Die Ergebnisse sind völlig anders als in der EU, wo die brutale Sparpolitik von IWF, EZB und EU aus einer Bankenkrise eine EU-weite Wirtschaftskrise gemacht hat.

Im März 2015 muss der IWF selbst zugeben: »Insgesamt sind die makroökonomischen Bedingungen in Island heute auf dem besten Stand seit der Krise von 2008/9. Island zählte in den vergangenen Jahren beim Wirtschaftswachstum zu den Top-Performern in Europa, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie in kaum einem anderen Land … Aufgrund der starken Zahlungsbilanz konnte Island alle Kredite nordischer Länder und einen großen Teil der IWF-Schulden vorzeitig tilgen und gleichzeitig angemessene Devisenreserven behalten.« Weiter hieß es in dem IWF-Bericht: »In diesem Jahr wird Island als erstes europäisches Krisenland von 2008 bis 2010 die Wirtschaftsleistung vor der Krise übertreffen.«

Kommt als nächstes eine Revolution des Bankwesens?

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Die dramatischste, erfreulichste Entwicklung aus der isländischen Finanzkrise ist aber der Vorschlag des heutigen Ministerpräsidenten, die Geldschöpfung des Landes zu revolutionieren. Da Island gegenwärtig das erste Land ist, das über solch eine kühne Maßnahme nachdenkt, gab Ministerpräsident Sigmundur Davíð Gunnlaugsson eine Studie über die Reform des Geldsystems in Auftrag. Der Bericht, den der Abgeordnete der Fortschrittspartei und Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaftsangelegenheiten und Handel im Parlament, Frosti Sigurjónsson, vorlegte, widmete sich genau dem Tabuthema, wie private Geschäftsbanken »aus dem Nichts« Geld schöpfen können.Der Bericht geht der Frage nach, in welchem Ausmaß Islands wirtschaftliche Instabilität darauf zurückging, dass die Banken bei der Kreditvergabe Geld schöpfen konnten.

Sie griffen zu dem bestgehüteten Geheimnis des Bankgeschäfts, seit die Amsterdamer Wechselbank vor ihrem Bankrott Ende des 17. Jahrhunderts erstmals den systematischen Betrug in der Kreditvergabe eingeführt hatte – dem Mindestreserve-System. Es bedeutet, dass eine Bank Kredite in Höhe eines Vielfachen ihres Eigenkapitals vergibt. Kommt es dann zu einer Vertrauenskrise und die Kunden stürmen die Bank, ist diese am Ende.

Im Schlussteil des Frosti-Berichts wurde die Verbindung zwischen der Kreditvergabe isländischer Banken bis September 2008 und der Schwere der Krise untersucht. »Das Mindestreservesystem hat möglicherweise langfristig zu verschiedenen monetären Problemen in Island beigetragen, darunter: Hyperinflation in den 1980er Jahren, chronische Inflation, Abwertung der isländischen Krone, hohe Zinssätze, Verlust der Einnahmen aus der Geldschöpfung für die Regierung und wachsende Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors.« Das ist ein schwerer, aber sehr treffender Vorwurf.

Der Bericht beschrieb die Stationen jeder Bankenkrise seit mindestens 1790, als die Amsterdamer Wechselbank nach einem Ansturm bankrottging: »Die Bareinlagen einer Bank und die Zentralbankreserven (beide Vermögenswerte der Bank) sind im Vergleich zu den Gesamteinlagen (den Verbindlichkeiten der Banken) gering. Deshalb kann ein Gerücht, dass sich eine Bank in Schwierigkeiten befinden könnte, dazu führen, dass die Kunden in Panik ihre Einlagen abziehen (ein Ansturm auf die Bank). Ein Ansturm auf die Bank zwingt diese, Vermögenswerte so schnell wie möglich zu verkaufen, um die Anleger auszahlen zu können. Solch ein plötzlich steigendes Angebot an Vermögenswerten kann zu einem Preisverfall führen, der andere Banken in Schwierigkeiten bringt, und das gesamte Bankensystem kann folgen.«

Ein Vollgeldsystem

Der Bericht an den Ministerpräsidenten kommt zu dem Schluss, eine revolutionäre Veränderung der Kreditvergabe sei nötig, um die unersättliche Gier der Privatbanken unter Kontrolle zu bringen. Die Autoren schreiben: »In einem Vollgeldsystem [im Englischen ›Sovereign Money System‹] ist nur noch die Zentralbank, die im Besitz des Staates ist, berechtigt, Geld in Form von Münzen, Scheinen oder von elektronischem Geld zu schöpfen. Privaten Geschäftsbanken wäre die Geldschöpfung verwehrt.«

Im Bericht wird ein Vorzug der Einführung des Vollgeldsystems betont: Die Privatbanken würden mit dem Kauf und Verkauf von Staatsanleihen keine riesigen Gewinne zulasten der Steuerzahler einstreichen, da die Regierung privaten Pfandbriefinhabern Zinsen für diese Schulden bezahlen muss: »Dadurch, dass die Geldschöpfung an private Geschäftsbanken delegiert wird, entgeht der Zentralbank von Island und damit dem Staat erhebliches Einkommen, das sie sonst durch die Schöpfung neuen Geldes zur Unterstützung des Wirtschaftswachstums einnehmen würde.«

Die Autoren beschreiben, wie es gehen würde: »In einem Vollgeldsystem schöpfen Privatbanken kein Geld. Diese Macht liegt in den Händen der Zentralbank, die den Auftrag erhält, im Interesse der Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzer zu arbeiten. Im Vollgeldsystem wird alles Geld, sei es in physischer oder elektronischer Form, von der Zentralbank geschöpft. Geschäftsbanken werden kein Geld mehr schöpfen, aber sie werden auch weiterhin Zahlungsdienste für Kunden anbieten und Kredite vergeben, indem sie als Mittler zwischen Sparern und Kreditnehmern fungieren.«

Und es gibt noch eine sehr wichtige Bestimmung: »Der Zahlungsdienst wird aus Transaktionskonten von Einzelpersonen und Unternehmen bestehen. Die Gelder auf Transaktionskonten werden von der Zentralbank geschöpftes elektronisches Vollgeld sein. Transaktionskonten sind risikofrei, da sie bei der Zentralbank bleiben, und unverzinslich, weil sie der Bank nicht für Investitionen zur Verfügung stehen. Die Zentralbank wird allein verantwortlich, das nötige Geld zur Unterstützung wirtschaftlichen Wachstums zu schöpfen. Anstatt sich auf Zinssätze zu verlassen, um die Geldschöpfung durch Banken zu beeinflussen, kann die Zentralbank die Geldmenge unmittelbar verändern. Entscheidungen über Geldschöpfung trifft ein Ausschuss, der von der Regierung unabhängig und in seiner Entscheidungsfindung transparent ist, wie der derzeitige währungspolitische Ausschuss.«

Genau das System wurde von dem Chicagoer Wirtschaftswissenschaftler Irving Fisher und anderen während der Großen Depression der 1930er Jahre in den USA vorgeschlagen. Der Banker-Lobby gelang es, den Vorschlag zu kippen.

Wow! Würde der US-Kongress eine Gesetzgebung einführen, wie Island sie jetzt diskutiert, würde die Vollmacht über die Geldschöpfung von der privaten Federal Reserve wieder an den gewählten Kongress übergehen, wie in Artikel 1, Abschnitt 8 der US-Verfassung festgelegt: »Der Kongress hat die Macht, Münzen zu prägen, ihren Wert zu bestimmen…«

Das entscheidende Element des isländischen Vorschlags ist, dass die Zentralbank eine Zentralbank im Staatsbesitz oder eine öffentliche Bank ist. Solange die Macht zur Geldschöpfung Zentralbanken in Privatbesitz wie der Federal Reserve übertragen wird, landen wir am Ende in einem Teufelskreis von Finanzkrach, wirtschaftlicher Flaute, Arbeitslosigkeit.

Der Schritt zu einem solchen Vollgeldsystem ist technisch nicht schwer zu vollziehen. Alles, was es braucht, ist der politische Wille von Regierungen, im Interesse ihrer Bürger und Nationen zu handeln. Russland würde de facto immun gegen das Wüten der Abteilung Finanzterrorismus des US-Finanzministeriums, und Griechenland könnte seine unbezahlbaren Schulden an EZB und IWF loswerden und sich dem Wiederaufbau der Realwirtschaft zuwenden.

Literatur:

Geld ohne Zinsen und Inflation: Ein Tauschmittel, das jedem dient von Margrit Kennedy

Vollgeld: Das Geldsystem der Zukunft. Unser Weg aus der Finanzkrise von Thomas Mayer

Der Crash ist die Lösung: Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten von Matthias Weik und Marc Friedrich

Quellen: PublicDomain/info.kopp-verlag.de vom 24.04.2015

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