Hunderttausende Plastiksäcke mit radioaktivem Müll werden in der Nähe des vor fast vier Jahren havarierten AKW Fukushima gelagert. Wohin der Abfall einmal gebracht werden soll, weiß niemand.
Schwarze Plastiksäcke so weit das Auge reicht. Sie stehen auf Reisfeldern, in Gärten, auf Schulhöfen, am Strand. Hunderttausende. Randvoll gefüllt mit radioaktiv verseuchter Erde, Blättern und Baumschnitt. Pausenlos füllen Arbeiter in Schutzanzügen neue Säcke, binden sie zu, stellen sie zu den anderen. Es ist der nahezu aussichtslose Kampf gegen die Radioaktivität rund um das japanische Fukushima.
Die Naturkatastrophe zerstörte auch wichtige Teile des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi: In drei Reaktoren soll es zu Kernschmelzen gekommen sein, in zweien zu Explosionen. Die Hülle eines vierten Blocks, in dem ein Brennelementbecken außer Kontrolle geriet, flog in die Luft. Radioaktive Stoffe wurden freigesetzt, weite Gebiete mussten evakuiert werden. Die Aufräumarbeiten werden Jahrzehnte dauern.
(Jeden Tag befüllen Arbeiter weitere Plastiksäcke mit kontaminiertem Boden und Baumschnitt)
Plastiksäcke mit radioaktivem Müll
Seit Jahren wird auf Beschluss der japanischen Regierung dekontaminiert. Um die Strahlendosis zu senken, tragen Arbeitskolonnen täglich in weiten Landstrichen die obersten fünf Zentimeter des Bodens ab, Laub wird entfernt, Gebäude abgeschrubbt und Straßen abgespritzt. So entstehen Berge von schwach strahlendem radioaktivem Müll. Und da niemand weiß, wohin damit, wird er erst einmal in schwarze und blaue Plastiksäcke verpackt und irgendwo abgestellt.
Die Regierung hat seit dem Unglück umgerechnet rund 14 Milliarden Euro bereitgestellt, um in den am Kraftwerk liegenden Städten wie Okuma und Futaba die radioaktive Strahlung zu verringern. Für eine längerfristige Lagerung ist eine Deponie in den verlassenen Städten Okuma und Futaba geplant.
Sie soll mit 16 Quadratkilometern etwa achtmal so groß werden wie der Berliner Tiergarten. Nach 30 Jahren – so das Versprechen der Regierung – soll dann der gesamte Müll aus der Präfektur Fukushima fortgeschafft werden.
Das glaubt aber kaum einer der früheren Bewohner. Sie befürchten, dass die Deponie zu einem Endlager für radioaktive Abfälle wird. Denn das gibt es auch nach 40 Jahren atomarer Stromerzeugung in Japan bis heute nicht. „Ich bin mir sicher, sie betrachten den Platz als Endlager für Atommüll“, sagt der 73-jährige Takashi Sugimoto, ein Grundstücksbesitzer aus Okuma. „Ich kann ihnen nicht trauen, keiner kann das. Wer weiß, was in 30 Jahren sein wird?“
Die Tochter ist noch verschollen
Auch Norio Kimura ist fassungslos über die Pläne der Regierung. Er hat bei dem Tsunami im März 2011 seine Frau, seinen Vater und seine siebenjährige Tochter Yuna verloren. Jetzt könnte er auch noch sein Grundstück verlieren, denn dort soll die Deponie entstehen. „Ich kann es nicht glauben, dass sie hier ihren Müll abladen wollen, nach dem, was wir schon durchgemacht haben“, sagt der 49-Jährige.
Er steht neben verwitterten Brettern auf einem von Sträuchern überwucherten Trümmerhügel. Das ist alles, was der Tsunami von seinem Haus übrig ließ. Dann explodierte auch noch das nur drei Kilometer entfernte Atomkraftwerk und verstrahlte das gesamte Gebiet.
Kimura musste die Suche nach den Leichen seiner Lieben einstellen und wie viele andere die Stadt verlassen. Auch heute darf er das Gebiet nur stundenweise betreten. Monate nach dem Unglück fand er die Leichen seiner Frau und seines Vaters. Yuna ist noch immer verschollen. Von ihr fand er unter den Trümmern bislang nur einige schlammverschmutzte rosa Röcke, ein Paar Leggings und ein Spielzeug.
(Schutzanzüge sollen die Arbeiter vor der Radioaktivität bewahren. Eine Lösung für den Müll gibt es noch nicht)
Milliardenschwere Subventionen
Fukushimas Gouverneur hat nach der Zusage milliardenschwerer Subventionen durch die Regierung in Tokio dem Plan zugestimmt. Auch die Bürgermeister von Futaba und Okuma gaben der Deponie ihren Segen. Für die rund 2300 Bürger, die Grundstücke in den Städten besitzen, gibt es da nicht mehr viele Möglichkeiten. Hat der Staat ausreichend Flächen aufgekauft oder gepachtet, wird die Deponie gebaut, ganz gleich, was die übrigen Eigentümer davon halten.
Kimura weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie auch an seine Tür klopfen. Er hat sich geschworen, nicht auf ihre Angebote einzugehen.
Quellen: Reuters/WeltOnline vom 09.03.2015
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