Der italienische Staat lässt in Apulien eine Million alte Bäume fällen – sie sind von der Xylella befallen, einer Bakterie aus Amerika. Droht Europas Pflanzenwelt ein großer Kahlschlag?
Zuerst sollten es nur einige hundert sein, dann ein paar tausend, und jetzt werden mehr als eine Million Olivenbäume gefällt. Anfangs sollten nur wenige Olivenhaine plattgemacht werden, dann eine Pufferzone von einem Kilometer Breite, und jetzt auf einmal hält der italienische Katastrophenschutz einen „cordon sanitaire“ von bis zu 15 Kilometern Tiefe für notwendig.
Das bedeutet Kahlschlag, quer über die gesamte Salento-Halbinsel hinweg, den Absatz des italienischen Stiefels. Das ist ein Umweltdrama. Und ein menschliches Drama in einer Gegend, in der tausende Familien vom Olivenanbau leben. Es bedeutet die Vernichtung eines historisch gewachsenen Landschaftsbilds.
Der Salento ist geprägt von seinen teils jahrhundertealten, von Wind und Zeit zu knorrigen Skulpturen geschnitzten Olivenbäumen. In der Identität, im Gefühl der Apulier spielen diese Bäume eine zentrale Rolle. Diese geht jetzt an Axt und Flammen verloren – wegen eines winzigen Lebewesens, gegen das alle anderen Mittel versagen: wegen Xylella fastidiosa, der Feuerbakterie.
Doch ganz so einfach wie die offizielle Erklärung ist die Sache nicht. Der neue, dritte Bericht über die italienische „Agromafia“ hält fest, wie der Salento von vielen Geschäftsinteressen attackiert wird. Von Hotelketten, die sich Platz freihacken in uralten, gesetzlich folgenlos geschützten Olivenhainen; von der öffentlichen Hand, die breite Straßen quer durch die Landschaft schlägt, von der Müllmafia, die Giftzeug aus ganz Europa dort versenkt, wo sie will. Und immer wieder schreiben apulische Lokalzeitungen über viele Hektar Olivenpflanzungen, die – in illegaler Weise – lukrativeren Fotovoltaikanlagen weichen müssen und über Plantagen, die mit übermäßigem Einsatz von Pestizid „saniert“, mit verbotenem Klärschlamm „gedüngt“, in Wahrheit aber so geschwächt werden, dass Xylella fastidiosa – am Ende dieser „Schädlingskette“ – leichtes Spiel hat.
Das Bakterium verbreitet sich rasend schnell
Jedenfalls hat sich das erst 2013 dingfest gemachte Bakterium deutlich schneller verbreitet als angenommen, und dadurch, dass es sich nicht mit Ölbäumen begnügt, sondern auf praktisch alle Obstpflanzungen und womöglich auf Rebstöcke überspringen kann, stellt es in den Augen der EU-Kommission eine akute Bedrohung für die gesamte europäische Landwirtschaft dar. Die italienische Regierung hat den Notstand ausgerufen und unter den Tränen der Bauern dieser Tage die Maschinen für den Kahlschlag auffahren lassen. Der Sonderkommissar der Regierung, Giuseppe Silletti, erklärt den Zeitpunkt des Zugreifens damit, dass Xylella übertragen werde von einer kleinen Zikadenart: „Wir müssen handeln, bevor die jetzt im Frühjahr aus den Eiern schlüpfen.“
Er wirft aber auch den Bauern vor, die Pflege der Haine unterlassen zu haben, das Durchlüften des Bodens sowie das Entfernen von Blattwerk und Zweigen, in denen sich die jungen Zikaden wohlfühlen. Die Region Apulien rät zu einer massiven Attacke mit Pestiziden – aber diese sind nach Befürchtung von Bauernverbänden und Umweltkomitees gefährlicher als Xylella selbst. Die Bakterie, so schreibt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrem eilends erstellten Forschungsbericht, ist ein illegaler Einwanderer.
Die Tatsache, dass die apulische Variante zuvor nur auf Oleanderpflanzen in Costa Rica entdeckt worden war, lasse darauf schließen, dass Xylella mit dem weltweiten Handel von Zierpflanzen verbreitet worden sei. In Amerika kennt man Xylella schon länger: Da hat sie sich über Weinberge in Kalifornien ebenso hergemacht wie über brasilianische Zitrusplantagen – alles Gewächse also, die auch in Italiens Landwirtschaft eine große Rolle spielen.
Das Problem ist nur, darauf weist der 262-seitige Bericht der EFSA hin: Nicht alle befallenen Pflanzen zeigen Symptome; jede kann zum Infektionsherd werden. Und dann gibt die Behörde den Kritikern der apulischen Radikalkur recht: Kahlschläge hätten weder in Brasilien noch in Taiwan etwas gebracht. „Gerade bei einem großen Ausbruchsgebiet erwischt man nie alle befallenen Pflanzen.“ Im Prinzip müsste man alle möglichen Wirte von Xylella vernichten, nicht nur die Oliven, sondern die meisten Nutz- und Zierpflanzen, und man müsste zahlreiche Insekten gleich mit vernichten: „Alle, die Pflanzensaft saugen, können zu Überträgern werden“, hält die Studie lapidar fest.
Quellen: tagesspiegel.de vom 13.03.2015
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Die haben den Feuerbrand zurechtmanipuliert.
Hier steht:
http://www.spektrum.de/alias/botanik/genetischer-steckbrief-eines-pflanzenschaedlings/827640
Zu ihrem großen Erstaunen stießen die Wissenschaftler auch auf Gene für Substanzen, die bisher Krankheitserregern bei Menschen und Tieren vorbehalten schienen. Dazu gehören Proteine für das Anheften an Gewebeoberflächen. Sie ähneln denen von Haemophilus influenzae oder Moraxella catharralis zwei Bakterien, welche die menschliche Schleimhaut besiedeln. Desgleichen fanden sich drei Gene für Substanzen, die beim Menschen an der Blutgerinnung beteiligt sind. Wozu Pflanzenschädlinge solche Stoffe benötigen, ist vorerst rätselhaft. Am wahrscheinlichsten scheint, dass sie für das Überleben in der Zwergzikade als Zwischenwirt benötigt werden.