Meditation: Spuren im Kopf

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Immer noch halten viele Menschen die Meditation für eine rein religiöse Praxis. Dabei entfaltet sie messbare Wirkung – auf Gehirn, Gedanken und Gesundheit.

Meditation kann langfristige Wirkungen im Gehirn haben – allerdings erst nach viel Training.

Ein Lagerraum, kahle Wände. Kaltes Licht beleuchtet die Stapel von Holzkisten. Die Aufgabe lautet, die grünen Gläser einzusammeln, die hier und da auf den Kisten stehen. Doch plötzlich sind überall Spinnen. Dicke, haarige, furchterregende Spinnen krabbeln über den Boden, kleben an den Wänden. In einer Ecke des Raumes steht ein grün leuchtendes Glas. Darunter ragen wiederum Spinnenbeine hervor. Das Herz pocht. Der Körper meldet: Angst.

Dabei geht es hier – im Keller des Max-Planck-Instituts für kognitive Neurowissenschaften in Leipzig – weder um Spinnenphobien noch um Angststörungen. Die Hirnforscherin Tania Singer und ihr Team wollen vielmehr untersuchen, wie Meditation Menschen verändert. Der programmierte Albtraum, intern „Raum 101“ genannt, gehört zu einem Forschungsprojekt. Den Probanden wird die künstliche Umwelt über einen Helm auf die Netzhaut projiziert, um herauszufinden, ob das mentale Training Menschen hilft, ihre Emotionen besser zu regulieren.

Immer noch halten viele Menschen die Meditation für eine nur religiöse Praxis, mit der sich vor allem rot gewandete Mönche im Himalaja beschäftigen. Tatsächlich ist sie eine psychische Technik, mit der prinzipiell jeder Mensch seinen Geist und die Gesundheit beeinflussen kann.

Die Frage ist nicht mehr, ob Meditation einen Effekt hat – sondern welchen

Dass Meditation Spuren im Gehirn hinterlässt, ist mittlerweile gut belegt. Der Psychologe Richard Davidson von der University of Wisconsin-Madison konnte schon 2007 demonstrieren, dass ein dreimonatiges Meditationstraining die Aufmerksamkeit schärft. Die Teilnehmer erkannten Zahlen, die auf einem Bildschirm zwischen zahlreichen Buchstaben versteckt sind, schneller als vor dem Training. Und Sara Lazar vom Massachusetts General Hospital in Boston berichtete, dass sich das Training sogar in der Morphologie des Gehirns niederschlägt. Der Hirnscanner zeigte, dass es den Mandelkern schrumpfen lässt, eine Struktur im Gehirn, die unter anderem an der Steuerung von Angst beteiligt ist. Zugleich hatte die graue Substanz in Bereichen des Gehirns zugenommen, die zum Beispiel mit Mitgefühl assoziiert sind.

„Das Gehirn ist in der Lage, sich zu verändern, und so wie wir eine neue Sportart lernen, können wir auch Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Mitgefühl trainieren“, sagt Richard Davidson. „Das ist kein Voodoo.“

So sieht das auch Tania Singer: „Die Frage ist eigentlich nicht mehr, ob Meditation einen Effekt hat, sondern welche Meditation welchen Effekt hat, wie groß der ist und wie lange es dauert, bis er sich einstellt.“ Genau das untersucht sie in ihrem Projekt, an dem 17 Meditationslehrer und 160 Probanden in Leipzig und Berlin beteiligt sind. Die Teilnehmer haben neun Monate lang mindestens sechs Tage die Woche meditiert. Zugleich wurden sie von den Forschern körperlich und seelisch durchgecheckt: Wie hoch ist der Pegel des Stresshormons Cortisol im Speichel? Wie häufig kooperieren sie in speziell entwickelten Computerspielen? Wie glücklich sind sie? Und wie schnell rast ihnen das Herz, wenn sie durch Raum 101 laufen? Außerdem wurde das Gehirn jedes Teilnehmers fünf Mal gescannt.

Meditierende scheinen einen Teil des Schmerzes weniger zu spüren

Das MPI-Projekt ist symptomatisch dafür, dass sich längst auch die seriöse Forschung für Meditation interessiert. Das ist auch dringend nötig auf einem Feld, das in der Vergangenheit mehr von Überzeugungen dominiert wurde als von überzeugenden Beweisen. Gerade zu den medizinischen Effekten der Meditation gab es zwar viele Studien, aber die waren geprägt von geringen Teilnehmerzahlen und methodischen Mängeln. Entsprechend umstritten sind die Ergebnisse. Eine Analyse im Auftrag des US-Gesundheitsministeriums kam 2007 gar zu dem Schluss, dass die vorhandenen Daten keine sicheren Schlussfolgerungen über die Effekte von Meditation erlauben.

Noch im Dezember 2014 erschien eine Analyse der angesehenen Cochrane-Gruppe, die unter die Lupe nahm, ob sich Herzkrankheiten durch die sogenannte transzendentale Meditation verhindern lassen. Die Methode wurde in den 50er-Jahren in Indien von Maharishi Mahesh Yogi entwickelt, welcher unter anderem als Guru der Beatles berühmt wurde. Anhänger meditieren zweimal am Tag für etwa zwanzig Minuten, indem sie bei geschlossenen Augen immer wieder ein Wort wiederholen. Das Ergebnis der Analyse: Nur vier Studien mit insgesamt 430 Teilnehmern waren hochwertig genug, um überhaupt berücksichtigt zu werden. Ein Effekt ließ sich nicht feststellen. „Aus meiner Sicht sind das Fanatiker“, sagt Edzard Ernst, emeritierter Professor für Alternativmedizin an der Universität Essex und einer der Cochrane-Autoren. „Andere Arten von Meditation wie etwa die Achtsamkeitsmeditation sind weitaus seriöser und da gibt es auch bessere Daten zu.“

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Die Gedanken beruhigen – eine gar nicht so einfache Übung

Meditation ist nämlich nicht gleich Meditation. Grob werden etwa im Buddhismus drei unterschiedliche Formen unterschieden, die zum Teil ineinander übergehen: Bei der Konzentrationsmeditation soll sich der Übende etwa auf ein Objekt konzentrieren. In einer zweiten Form soll ein möglichst großes Mitgefühl für andere Menschen entwickelt werde. Die wissenschaftlich am besten untersuchte Form ist die von Ernst genannte Achtsamkeitsmeditation. In ihr geht es im Grunde nur darum, sich hinzusetzen, weder zu locker noch zu verkrampft. Dann soll sich der Praktizierende von all seinen Gedanken lösen, sie interesselos beobachten, wie Wolken, die vorbeiziehen. Viele Lehrer empfehlen , sich zum Einstieg auf den Atem zu konzentrieren: Tief einatmen. Ausatmen. Spüren, wie das Zwerchfell sich hebt und senkt, wie die Luft am Nasenflügel vorbeiströmt. Eine gar nicht so einfache Übung.

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(Zum Einstieg empfehlen Meditationslehrer, sich auf den Atem zu konzentrieren)

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Jeder Mensch habe am Anfang Schwierigkeiten, sagt Sara Lazar aus Boston, die selbst seit 20 Jahren meditiert. „Es ist auch nicht so, dass die Gedanken irgendwann weggehen. Aber sie werden ruhiger, und es gibt Pausen dazwischen.“ Das zu trainieren, scheint interessante Nebeneffekte zu haben. So belegen mehrere Studien, dass Menschen hinterher Schmerzen weniger stark empfinden.

Wie aber könnte Meditation Schmerzen dämpfen? Einer Theorie zufolge gibt es im Gehirn zwei Areale, die Schmerz vermitteln. Das eine ist für die körperliche Empfindung zuständig, das andere vermittelt das Gefühl des Leidens. „Menschen, die meditieren, scheinen diesen zweiten Teil des Schmerzes weniger wahrzunehmen. Sie sind nicht so gefangen darin“, sagt Lazar.

Erst viele Monate Training zeitigen dauerhafte Effekte

Ein großes Problem der Meditationsforschung ist, dass Wissenschaftler nicht überprüfen können, was in den Köpfen der Studienteilnehmer tatsächlich vor sich geht. Sie wissen nicht, ob die Probanden wirklich meditieren oder ob sie nur tagträumen – oder sogar schlafen.

Noch mehr Schwierigkeiten birgt die Kontrollgruppe. Um die Wirksamkeit einer Therapie nachzuweisen, werden die Teilnehmer medizinischer Studien üblicherweise in zwei Gruppen gelost. Die eine erhält den Wirkstoff, die andere ein Scheinmedikament. Kein Beteiligter weiß, wer in welcher Gruppe ist. Beim Meditieren weiß der Proband aber, was er tut und was das Ergebnis sein soll. Fühlt er sich nachher entspannter, könnte das der Kraft der Suggestion geschuldet sein.

Singer hat sich in ihrer Studie deshalb gegen eine Kontrollgruppe entschieden: Beide Gruppen, die sie miteinander vergleicht, meditieren. Aber während die eine Gruppe drei Monate Achtsamkeitsmeditation praktiziert, lernt die andere, „ihr Herz zu öffnen und Mitgefühl zu entwickeln“. Beide erfahren also den gleichen Einfluss von Lehrern und Programm, nur der Fokus des Trainings unterscheidet sich. „Wenn wir die beiden Gruppen dann miteinander vergleichen, schauen wir uns also nur an, was der spezifische Effekt der jeweiligen Meditation ist.“ Auf Fachkonferenzen hat Singer bereits erste Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. „Wir finden tatsächlich Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, und zwar ziemlich deutliche“, sagt sie.

Allerdings braucht das alles seine Zeit.

Manche Veränderungen des Körpers, die etwa auf eine Stressreduktion hinweisen, setzten erst nach sechs Monaten Training ein. „Das mag lang klingen, aber ich erwarte ja auch nicht, dass ich in einen Fitnessklub gehe und nach acht Wochen einen straffen Körper habe“, sagt Singer. Tatsächlich meditieren buddhistische Mönche häufig Zehntausende Stunden, bevor sie ihren Geist wirklich unter Kontrolle haben und tief greifende Erfahrungen machen – zum Beispiel die, dass sich ihr Ich auflöst.

Doch geht es Tania Singer ja auch nicht um individuelle Erleuchtungserfahrungen, sondern letztlich um eine bessere Welt. Das von ihr konzipierte mentale Training, so sagte sie kürzlich bei einem Vortrag in Davos, soll es „Gesellschaften ermöglichen, ihr Mitgefühl zu kultivieren und eine neue Art solidarischer Volkswirtschaften aufzubauen“. Sie arbeitet deshalb bereits am Aufbau eines Instituts, an dem auch Privatleute ein neunmonatiges Training absolvieren können. „Es geht mir darum, dass nicht nur Klavier und Sport und Mathematik trainiert werden, sondern auch menschliche Fähigkeiten, die total wichtig sind: an andere zu denken, mit anderen mitzufühlen. Das ist kein Luxus in unserer Welt, sondern dringend nötig.“

Quellen: PublicDomain/Flickr/sueddeutsche.de vom 08.02.2015

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