Aufstieg aus der Asche: Antike Dokumente werden entschlüsselt (Videos)

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Nur Bruchteile der Literatur des Altertums sind auf uns gekommen. Auch konnten zahlreiche Papyri bis heute nicht entziffert werden. Neue technische Lösungen versprechen sensationelle Ergebnisse.

Sie sehen aus wie unförmige Klumpen aus Holzkohle oder eigenwillig gestaltete Würstchen. Sie sind rund 2000 Jahre alt und zählen zu den größten Schätzen der Archäologie. Sie sind von ungeheurem Wert, und dennoch ist nicht einmal die Mafia am Handel mit ihnen interessiert: Es handelt sich um unter Luftabschluss verkohlte Reste von Büchern, die beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. im Badeort Herculaneum unter Asche und Lava begraben wurden – zusammen genommen eine Bibliothek, die vermutlich das verschollene Wissen von Jahrhunderten birgt.

(Titelbild: Die Buchrollen, die in der Villa dei Papiri in Herculaneum gefunden wurden, wirken wie Holzkohlen)

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Um sich die Dimensionen dieser knapp 1800 Papyrus-Rollen vorzustellen, reicht ein Gedankenspiel. Darin könnten sich die 35 fehlenden Bücher der Universalgeschichte des Polybios, die vollständig verlorene Geschichte der Diadochen des Hieronymos von Kardia oder auch – neben unter den drei Viertel seiner verschollenen Texte – eine Abhandlung des Aristoteles über die Komödie befinden, um deren letztes Exemplar Umberto Eco seinen Bestseller „Der Name der Rose“ gestrickt hat. Die verkohlten Klumpen zum Lesen zu bringen, wäre eine Weltsensation.

Einen großen Schritt in diese Richtung hat jetzt offenbar ein italienisches Forscherteam um den Physiker Vio Mocella vom Consiglio Nazionale delle Ricerche gemacht. In der Fachzeitschrift „Nature Communications“ beschreiben die Wissenschaftler, wie sie mit Hilfe starker Röntgenstrahlen aus dem Europäischen Teilchenbeschleuniger ESRF in Grenoble erstmals Röntgenbilder von den karbonisierten Seiten aus Papyrus erzeugen konnten, auf denen einzelne Buchstaben sichtbar wurden. Das wurde möglich durch ein sogenanntes Phasenkontrastverfahren, bei dem die Röntgenstrahlen unterschiedliche Muster beim Durchgang durch den pflanzlichen Stoff und an den Stellen, die mit Tinte beschrieben waren, erzeugen.

Bereits jetzt seien die Abbildungen so deutlich, dass haarfeine Linien identifiziert werden könnten. Bei der Vorstellung seiner Ergebnisse ging Mocella sogar noch einen Schritt weiter: Das Schriftbild des untersuchten Papyrus sei so klar, dass man anhand des Schriftstils auf den Autor schließen könne, den griechischen Philosophen Philodemos von Gadara. Der soll um 40 v. Chr. sein Leben in Herculaneum beschlossen haben, im Kreis um den Aristokraten und ehemaligen Konsul Lucius Calpurnius Piso Caesoninus, der sich eines noch berühmteren Schwiegersohns rühmen konnte: Gaius Iulius Caesar.

Die großen Namen liefern die passende Rahmenhandlung für eine der großen Entdeckungsgeschichten der Archäologie. Im Jahre 1750 stieß der Schweizer Archäologe Karl Weber im Westen der antiken Stadt auf einen mehrere hundert Meter langen Gebäudekomplex, der sich bald als luxuriöse Villa entpuppte. Sie muss sich in mehreren Terrassen über dem Meer erhoben haben, verfügte über ein gut 60 Meter langes Wasserbecken und säulengesäumte Wandelhallen. Eine Ahnung von der Ausstattung des Anwesens vermittelt das J. Paul Getty Museum in Los Angeles, das nach dem Vorbild der Villa gestaltet wurden.

Ihren größten Schatz beschrieb der Archäologe und Zeitzeuge Johann Winckelmann: „Der Ort war ein kleines Zimmer … welches zween Menscen mit ausgestreckten Armen überreichen konnten. Rund herum an der Mauer waren Schränke … und in der Mitten im Zimmer stand ein anderes solches Gestelle für Schriften.“ Dass man die Schriften nicht für „bloße Kohlen“ hielt, wurde nur erkannt, als „man Buchstaben darauf entdeckte.“

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(Sie wurden beim Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. karbonisiert. Bislang scheiterten alle Versuche, sie zu entziffern)

Die Rollen der sogenannten Villa dei Papiri werden seitdem im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel verwahrt. Versuche, sie zu öffnen, endeten zumeist mit dem Totalverlust. Die Archäologie setzte daher auf die Zeit und den technischen Fortschritt. Der könnte jetzt so weit sein, nicht nur in Neapel.

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Auch in Berlin sitzt man auf einem Schatz aus Papyrus, der sich bislang allen Versuchen, ihn zu öffnen, entzog. Es handelt sich um mehrere tausend Papyri, die seit 1906 auf der Nilinsel Elephantine bei Assuan geborgen wurden. Bei ihnen hat nicht 300 Grad heiße Lava, sondern heißer Sand für die Konservierung gesorgt. Versuche, die Rollen mechanisch aufzubrechen, würden sie zerstören.

Soeben hat Verena Lepper, Leiterin der Sammlung Ägyptischer und Orientalischer Papyri des Ägyptischen Museums, den mit 1,5 Millionen Euro dotierten ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrats erhalten. Den wird sie in eine Methode investieren, die bis 2020 die Entzifferung ermöglichen soll.

Auch die Berliner setzen auf Röntgenstrahlen, wobei ihnen die metallhaltige Tinte ihrer Texte zugute kommt. Mit Hilfe der Computertomografie entstehen ganze Bilderschichten, die von einem Mathematiker so aufbereitet werden sollen, dass sie, wie Lepper es nennt, virtuell entblättert werden können. Wie in Neapel muss zuvor die Faltung und Struktur des Papyrus genau analysiert werden. Auch ist zu klären, um welche Sprache und welches Schriftsystem es sich handelt und in welcher Richtung der Text niedergeschrieben worden ist.

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(Noch immer werden Teile der Bibliothek der Villa unter den Asche- und Lava-Schichten vermutet, die Herculaneum und die Villa vernichteten)

Denn das ist der große Unterschied zwischen den Schätzen aus Herculaneum und Elephantine. In der mondänen Bäderstadt am Vesuv kam eine reiche Privatbibliothek ans Licht, die einen zeitlich und sprachlich überschaubaren Inhalt bietet. Es handelt sich um griechische und lateinische Werke mit einem Schwerpunkt auf der epikureischen Philosophie, wie sie Philodemos vertrat. Ob tatsächlich Caesars Schwiegervater ein Vorbesitzer war oder doch ein anderer Konsular, ist umstritten. Einmal entschlüsselt, würde die Bibliothek der Villa dei Papiri eine großartige Momentaufnahme antiken Wissens bieten.

Video: EDUCE: Travel into a Herculaneum Scroll. Untersuchungsmethode des Vis Center der University of Kentucky in den USA

Elephantine dagegen gehört zu den am längsten kontinuierlich bewohnten Orten des Ägyptens. Die Papyri reichen von 2700 v. bis 1000 n. Chr. und reichen von Verwaltungstexten und Familienarchiven bis hin zu religiösen und literarischen Texten. Entsprechend vielfältig sind auch die Sprachen und Schriften. Die Forscher müssen Hieroglyphen und demotische Schreibschrift, Aramäisch, Griechisch, Lateinisch, Koptisch und Arabisch in ihren unterschiedlichen Zeitstufen beherrschen. Verena Lepper schätzt, dass 80 Prozent der Elephantine-Papyri, die in 60 Einrichtungen weltweit gelagert werden, aufgrund ihres Zustandes noch nicht erforscht werden konnten.

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(David Blank, Altphilologe an der Universität Kalifornien, gehört zu dem Team, das die Entzifferung vorantreibt. Ein erster Durchbruch könnte ein Röntgenverfahren bieten. Einzelne Buchstaben lassen sich mittlerweile erkennen)

Eine halbe Million Papyri

Die aktuelle Nachricht aus Neapel hat auch in Großbritannien Hoffnungen geweckt. Dort werden im Ashmolean Museum in Oxford eine halbe Million Papyri verwahrt, die auf einer Müllkippe des antiken Verwaltungszentrums Oxyrhynchos geborgen wurden. Erst Bruchteile davon konnten lesbar gemacht werden. Die Chancen stehen gut, dass die in Neapel und Berlin entwickelte Technik die Entzifferung vorantreibt.

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Noch einmal zur Größenordnung: Man schätzt, dass höchstens ein Zehntel der großen antiken Literatur die Überlieferung durch den Flaschenhals des Mittelalters geschafft hat, insgesamt vielleicht nur ein Tausendstel. Vor allem aber: Die Papyri enthalten Abschriften, die über Jahrhunderte, ja Jahrtausende näher am Originaltext sind, als die Handschriften, die unseren modernen Editionen zugrunde liegen. Das 21. Jahrhundert hat gute Chancen, Zeuge einer neuen Renaissance zu werden.

Video: Revealing letters in rolled Herculaneum papyri

Quellen: AP/WeltOnline vom 30.01.2015

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