Beamte decken sich gegenseitig, Beweise verschwinden, dafür tauchen neue auf. Vor zehn Jahren starb der Asylbewerber Oury Jalloh in Polizeigewahrsam. Die Fehler um seinen Tod sind gut dokumentiert.
Schwarzer Ruß an den weißen Fliesen. Auf dem Boden von Zelle fünf liegt der verkohlte Körper von Oury Jalloh, Hände und Füße angekettet. Als gegen zwölf Uhr Feuer ausbrach, war er nach zwei Minuten tot. Was vor zehn Jahren auf dem Polizeirevier in Dessau passierte, wie der damals 36-Jährige starb, lässt immer noch viel Raum für Spekulationen. Das liegt an einer Reihe von Schlampereien und Fehlentscheidungen durch Polizisten und Ermittler.
Jallohs Festnahme war möglicherweise rechtswidrig
Es ist früh am Morgen des 7. Januar 2005 als Oury Jalloh zwei Frauen der Stadtreinigung bittet, ihm ihr Handy zu leihen. Er ist betrunken, hat gekokst. Die Frauen rufen die Polizei. Die Beamten glauben, Jalloh hätte sie belästigt. Sie wollen ihn mitnehmen, auch weil sich der Asylbewerber nicht ausweisen kann. Er wehrt sich. Die Polizisten schaffen es schließlich, ihm mit Gewalt Handschellen anzulegen und ihn in das Auto zu bugsieren. Später bei der Obduktion werden bei Jalloh mehrere Kopfverletzungen und eine gebrochene Nase festgestellt.
Auf dem Polizeirevier wird Oury Jalloh in die Zelle fünf gesperrt. An Händen und Füßen gefesselt, liegt er auf einer Matratze. Es ist 8.30 Uhr. Eigentlich hätte ein Richter darüber entscheiden müssen, ob Jalloh überhaupt hätte eingesperrt werden dürfen.
Von der Vorschrift wollte damals keiner der Beamten auf dem Revier etwas gewusst haben. Ein Umstand, den Bundesanwalt Johann Schmid bei einem neuerlichen Prozess im vergangenen Sommer deutlich kommentierte: „Ich gehe davon aus, dass die Dessauer Polizisten den Richtervorbehalt durchaus kannten, aber aus Bequemlichkeit missachteten. Ein Polizeibeamter hat von Berufs wegen die Gesetze zu kennen, die er tagtäglich anwendet“, so Schmid.
Chronik zum Tod von Oury Jalloh
7. Januar 2005: Oury Jalloh stirbt in seiner Zelle.
Mai 2005: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Polizisten Andreas S., wegen Körperverletzung mit Todesfolge, und gegen seinen Kollegen Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung.
27. März 2007: Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau. Verwandte Jallohs treten als Nebenkläger auf.
8. Dezember 2008: Freispruch für beide Polizisten aus Mangel an Beweisen.
Januar 2010: Nach Revision hebt Bundesgerichtshof Urteil auf und leitet Verfahren an Landgericht Magdeburg weiter.
12. Januar 2011: Neuer Prozess gegen Andreas S..
13. Dezember 2012: Andreas S. wird wegen fahrlässiger Tötung zu Geldstrafe von 10 800 Euro verurteilt.
11. November 2013: Aktivisten erstatten bei Generalbundesanwalt Anzeige wegen Totschlags oder Mordes gegen unbekannt. Einen Tag später stellen sie ihr Brandgutachten vor.
April 2014: Staatsanwaltschaft in Dessau-Roßlau beginnt mit neuen Ermittlungen.
4. September 2014: Bundesgerichtshof bestätigt Urteil von Magdeburg.
Das Landgericht Magdeburg hatte 2012 dem angeklagten Dienstgruppenleiter Andreas S. einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ zugestanden. Übersetzt heißt das: S. musste ein Gesetz nicht kennen, das zu seinem täglichen Handwerkszeug gehört. Er wurde lediglich wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigt 2014 das Urteil. Einen neuen Prozess, wie von der Verteidigung gefordert, lehnt das Gericht jedoch ab. Ein Richter hätte nicht unbedingt die sofortige Freilassung Jallohs angeordnet. „Eine aberwitzige Begründung“, kommentierte SZ-Rechtsexperte Wolfgang Janisch damals.
Die Polizei erschwerte die Aufklärung
Was genau auf dem Polizeirevier geschah, wissen am besten die Beamten selbst. Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder der Dienstgruppenleiter Andreas S. Der Arzt, der dem Festgenommenen Blut abnahm, warnte ihn, Jalloh könne sich selbst verletzten. Andreas S. hätte also regelmäßig Jallohs Zustand überprüfen müssen.
Beate H. hat am 7. Januar 2005 ebenfalls Dienst. Gegen halb elf Uhr meldet der Beamte, der Jalloh kontrolliert hatte, die Person sei jetzt wach. Beate H. schaltet die Gegensprechanlage zur Zelle ein, damit Jalloh auch mit den Beamten Kontakt aufnehmen kann. Jalloh rasselt mit den Ketten, ruft, man solle ihn abmachen. Um Viertel vor zwölf schaut Beate H. nach ihm.
Kaum sitzt sie wieder am Arbeitsplatz, wird es in der Zelle wieder lauter. Andreas S. stellt die Gegensprechanlage leiser. Beate H. dreht sie wieder lauter. „Solange ich hier sitze, bleibt das Ding laut gestellt“, sagt sie. Dann hören H. und S. ein plätscherndes Geräusch, der Feueralarm geht los. Laut Polizeiprotokoll hat Beate H. kurz nach dem Tod Jallohs ausgesagt, Andreas S. habe das Signal mehrmals weggedrückt und sei erst nach einer energischen Aufforderung losgegangen. Außerdem habe sie Hilferufe gehört. Doch als die Polizisten die Zelle öffnen, können sie ihm nicht mehr helfen.
Noch am Tag von Jallohs Tod verschickt der Revierleiter eine Hausmitteilung, in der es heißt, die Kollegen hätten unverzüglich reagiert. Mittlerweile hat S. zugegeben, mindestens ein Mal den Feueralarm ausgeschaltet zu haben.
Vor Gericht zieht Beate H. ihre Aussage zurück. Sie erklärt, ihre Angaben seien nicht korrekt protokolliert worden. S. habe sich zügig auf den Weg gemacht. Er wird am 8. Dezember 2008 zunächst gemeinsam mit seinem Kollegen Hans-Ulrich M. freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen. Der damalige Richter Manfred Steinhoff wirft den Polizeizeugen vor, systematisch gelogen und eine „Aufklärung verunmöglicht“ zu haben. Seine Urteilsbegründung schließt er mit dem Satz: „Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen.“
Beweise verschwinden – dafür taucht ein Feuerzeug auf
Nicht nur die Erinnerung der Polizisten im Fall Jalloh ist zweifelhaft, sondern auch die Beweislage. Zwar urteilte 2012 das Landgericht Magdeburg, eine gezielte Vernichtung von Beweismitteln könne nicht nachgewiesen werden. Doch die Richterin stellte fest, dass es Ermittlungsfehler gegeben habe. Die Journalistin Margot Overath beschäftigt sich seit Jahren mit dem Fall Oury Jalloh und hat diese Fehler in einem eindrucksvollem Radio-Feature zusammengestellt. Sie schildert, wie Überwachungsvideos verschwanden oder das Fahrtenbuch zweier Beamter, die angeblich um 11.30 Uhr in der Zelle gewesen sein sollen.
Ein Beamter soll den Tatort nach dem Brand filmen. Von ihm stammen die Aufnahmen des verkohlten Leichnams. Nach vier Minuten bricht das Video jedoch ab. Die Begründung: Stromausfall. Mehrere Zeugen, darunter der Hausmeister, sagen jedoch aus, es habe keinen Stromausfall gegeben. „Dass man ein Gericht so auf den Arm nimmt, ist ein Skandal“, sagt die Anwältin Gabriele Heinecke. Sie vertritt Jallohs Bruder. Von der Spurensicherung am Tatort gibt es weder Fotos noch Videoaufnahmen.
Erst zwei Tage nach der ersten Begehung der Zelle tauchen Reste eines Feuerzeugs auf, mit dem sich Jalloh selbst angezündet haben soll. Der Kollege von Andreas S., Hans-Ulrich M., muss es bei der Durchsuchung von Jalloh übersehen haben. Die Anwältin Heinecke vermutet, dass das Feuerzeug sich gar nicht in der Zelle befand. Sie fühlt sich durch ein Gutachten von 2012 bestätigt. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt hatte das Feuerzeug umfassend untersucht. Es konnten weder DNA-Spuren noch Gewebereste von Jallohs Kleidung oder der Matratze auf der er lag, nachgewiesen werden. Allerdings fanden die Ermittler andere Polyesterfasern. Woher sie stammen, ist bisher unklar.
Wie starb Jalloh? Die Frage ist immer noch offen
Es war Mord – für die „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh“ steht das fest. Bisher haben sich die Gerichte nur mit dem Polizisten Andreas S. beschäftigt, jedoch nie mit den genauen Umständen, unter denen Jalloh starb. Die Richter gingen bisher davon aus, dass er sich – an Händen und Füßen gefesselt – selbst angezündet hat. Dafür soll er die Matratze, auf der er lag, aufgerissen und die herausquellende Füllung mit dem Feuerzeug in Brand gesetzt haben. Ob dadurch ein solches Feuer hätte entstehen können, dass Jalloh sogar die Finger der linken Hand vollständig wegbrennen, wurde nie überprüft. 2013 gibt die „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh“ ein solches Gutachten selbst in Auftrag. Dafür sammelt sie 35 000 Euro.
Gemeinsam mit einem Brandgutachter unternehmen die Unterstützer mehrere Versuche. Sie fesseln einen Schweinekadaver auf eine Matratze, die der in der Zelle Jallohs nicht unähnlich ist. Ohne Brandbeschleuniger entsteht nach Anzünden der Matratze lediglich ein Schwelbrand, wie Videoaufnahmen zeigen. Jallohs Körper war jedoch bis in die tiefen Muskelschichten verkohlt, die Matratze fast vollständig zerstört. Das sei nur durch die Verwendung von fünf Litern Brandbeschleuniger wie Benzin möglich, so der Gutachter (der komplette Bericht als PDF). Nach der Vorstellung des Brandgutachtens spricht der Oberstaatsanwalt von Dessau-Roßlau, Folker Bittmann, von „teilweise erschreckenden Informationen“ (im Video). „Heuchelei“, kommentiert in der Tageszeitung ein Journalist, der sich seit Jahren mit dem Fall beschäftigt.
Immerhin: Seit April 2014 untersucht die Staatsanwaltschaft die genauen Umstände, die zum Tod von Jalloh führten. In einer ersten Mitteilung (PDF) heißt es jedoch, der Brandgutachter habe keine Rückstände eines brandbeschleunigenden Mittels feststellen können. Das heißt jedoch noch nichts. Der Brandbeschleuniger könne vorher verdampft sein, sagt ein Experte im Interview mit der Journalistin Margot Overath. Die Ermittlungen seien im vollen Gange, heißt es aus der Presseabteilung der Staatsanwaltschaft. Ob der Fall jemals wirklich aufgeklärt wird – Aktivisten bezweifeln das. Er glaube nicht, dass die neuen Ermittlungen etwas bringen würden, sagte Mouctar Bah, ein Freund Jallohs.
Linktipp:
59 Tage dauerte der erste Prozess in Dessau-Roßlau. Das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt hat die Aussage von Zeugen und Angeklagten protokolliert.
Quellen: dpa/sueddeutsche.de vom 07.01.2015
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