Dramatische Folge des natürlichen Klimawandels: In der nordkolumbianischen Provinz La Guajira sind in den vergangenen Jahren Tausende indigene Kinder verdurstet oder verhungert. Doch ihr Leid interessiert kaum.
Der Schädel des Ochsen mit seinen langen Hörnen ragt wie ein kleines Mahnmal hervor. Irgendjemand hat den Rinderschädel auf eine Holzstange gesetzt. Die Szenerie erinnert an einen Western, doch die Realität in der kolumbianischen Provinz La Guajira hat nichts mit Filmromantik, sondern mit brutalem Überlebenskampf zu tun. Es ist ein Vor-geschmack auf das, was der natürliche Klimawandel in vielen Teilen der Erde mit sich bringen kann: Der Kampf ums Trinkwasser führt zu Aufständen und Gewalt.
(Bild: Kinder, die der indigenen Bevölkerungsgruppe der Wayuu angehören, sitzen vor ihrem Zuhause in Uribia (Provinz La Guajira))
Die Luft ist trocken, der Staub und die Hitze machen das Atmen schwer. Geregnet hat es hier im Nordosten des Landes schon lange nicht mehr. Seit über 730 Tagen fallen vom Himmel an der Karibikküste keine Regentropfen mehr. Das hat für die Menschen im Norden des südamerikanischen Landes dramatische Konsequenzen: In den vergangenen fünf Jahren sind in La Guajira schon mehr als 4100 Kinder verdurstet oder verhungert, hat eine lokale Stiftung ausgerechnet.
Betroffen ist vor allem die hier lebende indigene Bevölkerung. „Der Regen hat uns ver-lassen. Es gibt nicht einen Tropfen Wasser, und es gibt nichts zu essen“, erzählen die Kinder von La Guajira der Tageszeitung „El Tiempo“. Allein in diesem Jahr sind schon mehr als 7000 Rinder elendig zu Grunde gegangen. Die Äcker ohne Wasser sind ver-brannt. Die Lebensgrundlage der hier lebenden Wayuu-Indigenen ist zerstört. Und das in einem Land, in dem die Wirtschaftswachstumsraten in den vergangenen Jahren stets nach oben zeigten. Doch davon kommt in La Guajira nicht viel an.
(Wayuu-Frauen an einer kleinen Wasserstelle in Uribia)
Generalstreik pünktlich zur Vorstellung des neuen Kabinetts
Das Drama in der Provinz haben die kolumbianische Regierung und die Medien bislang ignoriert. Obwohl die Frauen des Stammes der Wayuu in der Vergangenheit schon ver-sucht hatten, die Aufmerksamkeit auf den schleichenden Tod im Nordosten des Landes zu lenken. Mehr als 200 Wayuu-Frauen reisten sogar in die Hauptstadt Bogota, zogen ihre traditionellen Trachten über und stellten sich vor das Parlament.
Doch die kolumbianische Politik ist seit zwei Jahren in einem quälend langen Prozess damit beschäftigt, ein Friedensabkommen mit der Guerilla-Organisation Farc auszu-handeln. Das bindet Ressourcen und mediale Aufmerksamkeit.
Für die Wayuu-Frauen aus La Guajira und ihre sterbenden Kinder interessiert sich dagegen niemand: Nicht die Politik, nicht die Guerilla, nicht die Medien. Zu weit weg und zu unbedeutend ist dieses gottverlassene, ausgetrocknete und vergessene Stückchen Land an der Grenze zu Venezuela.
Seit ein paar Tagen haben die betroffenen Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Ein Generalstreik soll die Aufmerksamkeit auf die Probleme in der Region lenken. Die große Mehrzahl der 800.000 Einwohner der Provinz hat sich an dem Aufstand beteiligt. Pünktlich zur Vorstellung des neuen Kabinetts von Präsident Juan Manuel Santos, der gerne von einem zukünftigen friedlichen Kolumbien und seinen Chancen spricht. Derweil ist die aktuelle Situation dramatisch genug: Bei Zusammen-stößen von Polizei und hungernder Bevölkerung gab es Verletzte, Brandsätze flogen.
(Kolumbianische Polizisten entladen ein Flugzeug, das Trinkwasser nach La Guajira transportiert hat)
Nachhaltige Lösung? Fehlanzeige
Santos verspricht Sofortmaßnahmen: Es sollen 100 Wasserstellen gebohrt und 110 Tanklastwagen mit Trinkwasser geschickt werden. Außerdem gibt er – vergleichsweise bescheidene – 90.000 Euro für Soforthilfe frei. Damit will er der Wut der durstigen Menschen erst einmal die Wucht nehmen. Eine nachhaltige Lösung des Problems ist das allerdings nicht.
Nach Angaben des Instituts für Hydrologie und Meteorologie hat die benachbarte Sierra Nevada von Santa Marta im Zeitraum von 1852 bis 2012 mehr als 85 Prozent ihres Gletschereises verloren. Luis Carlos Gutiérrez von der Universität Atlantico berichtet, dass in jedem der Höhenstufen der Sierra Nevada die Temperatur angestiegen sei.
Für die Region, in der 32 Flüsse „geboren wurden“, wie die Einheimischen sagen, ist das eine Katastrophe. Ohne Gletschereis keine Wasserzufuhr für die Flüsse, obendrein kommt auch noch das Wetterphänomen „El Niño“ hinzu, das für extreme Trockenheit oder heftige Regenfälle in der ganzen Region sorgt.
Der natürliche und alle Jahrtausende wiederkehrende Klimawandel ist schuld, aber auch hausgemachte Probleme wie das rücksichtslose Abholzen der Waldbestände in den Bergen: „Ich habe den Leuten immer gesagt, sie sollen damit aufhören, weil die Bäume die Feuchtigkeit in den Bergen halten. Jetzt sehen wir wo das hinführt“, erzählte José Martínez der Tageszeitung „El Heraldo“. Jetzt will er die Provinz verlassen. Die unerträgliche Trockenheit macht ihm Angst. „Der Staat hat nur ein Interesse daran, weitere Lizenzen zum Abholzen der Bäume zu verkaufen und die Menschen lässt er alleine mit der Dürre zurück.“
Erst geht der Regen, dann die Menschen.
Quellen: dpa/WeltOnline vom 21.08.2014
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Hat dies auf kantodeaschrift rebloggt.
das ist sehr traurig und beängstigend. entweder will das niemand begreifen, welchen einfluss die abholzung z.b. hat oder sie wollen es so, ich kann es mir nciht anders erkläre. leide tuen die, die einfach nur leben wollen und auch die, deren leben gerade erst beginnt und schon langsam ohne freude endet.:(
Hat dies auf Matthiass Space rebloggt.