Erneut vorgezogene Parlamentswahlen und ein politisch motivierter Baustopp destabilisieren Bulgarien.
Ein Ende der Ukraine-Krise ist nicht in Sicht, da wachsen Befürchtungen, dass nun auch das EU-Land Bulgarien zum Schauplatz einer schweren Ost-West-Konfrontation werden könnte.
(Foto: Die South-Stream-Pipeline hätte Bulgarien wirtschaftlich gut getan, doch die USA und die EU fürchten Folgen für die Ukraine, die so ihre Monopolstellung als Transitland für russisches Gas verloren hätte)
Das „Armenhaus der EU“ befindet sich in einer politischen Dauerkrise und rutscht immer mehr ins Chaos ab. Nachdem vorgezogene Neuwahlen im Mai 2013 die Sozialisten zurück an die Macht gebracht hatten, sind nun für den 5. Oktober schon wieder vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt. Nach nur gut einem Jahr im Amt ist der parteilose Plamen Orescharski an der Spitze seiner Regierungskoalition aus Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit bereits gescheitert. Dass Orescharski politisch keine Zukunft mehr hat, galt in Bulgarien bereits seit der erdrutschartige Wahlniederlage für die Sozialisten bei den EU-Wahlen als sicher. Das Ende kommt dennoch unerwartet schnell.
Einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung hat eine Attacke auf den bulgarischen Bankensektor, deren Hintergründe bisher weitgehend im Dunkeln liegen. Nach Angaben des Innenministeriums haben Kriminelle über Internet und SMS bösartige Gerüchte in Umlauf gebracht, in denen die Corporate Commercial Bank (Corpbank) und die First Investment Bank (Fibank) mit zweifelhaften Geschäften in Verbindung gebracht wurden.
Die Folge waren eine Panik unter vielen Sparern und sogar massenweise Kontoauf-lösungen. Bei den Bulgaren waren damit Erinnerungen an den Zusammenbruch des Bankensektors in ihrem Lande in den 1990er Jahren geweckt, als 14 Institute Pleite gegangen waren.
Wenige Wochen zuvor hatte Bulgariens Regierung schon eine schwere außenpolitische Niederlage einstecken müssen. Nach starkem Druck Brüssels und Washingtons sah sich Premier Orescharski gezwungen, beim Bau der South-Stream-Gas-Pipeline einen „vorläufigen“ Baustopp zu verkünden. Weitere Bauarbeiten auf bulgarischer Seite solle es erst nach Beratungen mit Brüssel geben, so Bulgariens Regierungschef. Mit dem Rückzieher Sofias steht eines der ambitioniertesten Energieprojekte Russlands auf der Kippe. South Stream ist als südliches Pendant zur Ostseepipeline North Stream gedacht.
Die 2400 Kilometer lange Leitung soll von Südrussland durch das Schwarze Meer führen und russisches Erdgas nach Bulgarien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Österreich und Italien leiten. Mit Abschluss des Endausbaus ist ab 2018 eine Kapazität geplant, die fast dem Volumen entspricht, das derzeit aus Russland über die Ukraine nach West-europa fließt.
Genau darin liegt die Brisanz des Projekts. Wird South Stream Realität, verliert die Ukraine ihren Status als wichtigstes Durchgangsland für Russlands Gasexporte nach Europa. Bulgarien nimmt dann eine ähnliche strategische Schlüsselposition ein, wie sie bisher die Ukraine innehat.
Während Kiew damit der Verlust seiner faktischen Monopolstellung droht, eröffnen sich für Bulgarien durch South Stream mehrere Vorteile: eine höhere Versorgungssicherheit, aber auch Transit-Einkünfte und die Möglichkeit, Rabatte für russisches Erdgas auszuhandeln, so die „Neue Zürcher Zeitung“.
Von der EU werden vor allem Wettbewerbsbedenken als Grund für den energisch geforderten Baustopp angeführt. Aus Sicht Brüssels soll ein Gaslieferant wie Gazprom nicht gleichzeitig Betreiber einer Pipeline sein. Tatsächlich hat sich Gazprom bei dem Projekt längst die deutsche Wintershall, die italienische ENI und den französischen Konzern EdF mit an Bord geholt und als Partner beteiligt.
Nach Darstellung russischer und bulgarischer Medien soll Bulgariens Führung unter Hinweis auf einen möglichen Verstoß gegen die antirussischen Sanktionen zudem auch von einer Delegation um den ehemalige US-Präsidentschaftskandidaten John McCain „bearbeitet“ worden sein. Tatsächlich wurde der bulgarische Rückzieher bei South Stream kurz nach McCains Besuch bei Premier Orescharski bekannt gegeben.
Das Gas-Projekt ist nicht der einzige Grund, warum in Brüssel und Washington geargwöhnt wird, Bulgarien könnte sich zunehmend von der EU ab- und Russland zuwenden. Die Gesellschaft des Balkanlandes ist tief gespalten in EU-Befürworter und in Vertreter eines pro-russischen Kurses.
Über Jahrzehnte gehörte Bulgarien zu den loyalsten Verbündeten der Sowjetunion. Auch heute gilt der politische und wirtschaftliche Einfluss Russlands in dem ärmsten EU-Land als so groß, dass Bulgarien gelegentlich schon mal als „Trojanisches Pferd“ Russlands in der EU tituliert wird. Angesichts eines Durchschnittslohns, der umgerechnet bei 340 Euro im Monat liegt, sind viele Bulgaren von der EU-Mitgliedschaft inzwischen ent-täuscht und empfinden eine gewisse Genugtuung über die neue Eiszeit zwischen dem Kreml und Brüssel.
Zur weitverbreiteten Ernüchterung in Sachen EU kommt eine politische Dauerkrise in Bulgarien. Das Land kann längst zum Kreis der schwer regierbaren Staaten in Europa gezählt werden. Ähnlich wie dies in Italien über Jahrzehnte üblich war, scheitern auch in Bulgarien Politiker und Parteien in immer kürzerem Abstand. Dass Bulgariens Wähler regelmäßig enttäuscht werden und das Gefühl haben, sich im Kreis zu drehen, hat einen guten Grund. Seit dem Jahr 1989 hat sich in Bulgarien ein enges Geflecht aus ehemaligen kommunistischen Parteifunktionären, Geheimdienstlern, Organisierter Kriminalität, Oligarchen und Politikern gebildet. Häufig untereinander verfeindet, geht es in einer Art Paralleluniversum zur offiziellen Ordnung meist nur darum, ohne Rücksicht auf Verluste schnell materielle Vorteile zu ergattern.
Quelle: preussische-allgemeine.de vom 08.07.2014
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