Er spricht von „Schmutzkampagne“ und „Verschwörung“ – und doch räumte Erdogan jetzt überraschend ein: Zwei heimlich mitgeschnittene Telefonate mit seiner Stimme, die im Internet veröffentlicht wurden, sind echt.
Viele Türken haben seit Ende Februar ein neues Hobby: Sie sitzen am Abend vor dem Computer und warten darauf, dass ein neues Video auf YouTube veröffentlicht wird, auf dem heimliche Telefonmitschnitte zu hören sind. Fast täglich laden inzwischen anonyme Regierungskritiker ein neues Video hoch. Auf den Mitschnitten ist immer die Stimme von Recep Tayyip Erdogan zu hören, mal im Gespräch mit seinem Sohn, mal mit wichtigen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Die Aufzeichnungen lassen den türkischen Premier als raffgierigen, machtbesessenen Politiker dastehen, der Millionensummen anhäuft und mit Eifer Fehden gegen seine Gegner führt.
Bislang bezeichnete Erdogan diese Veröffentlichungen als „Schmutzkampagne“ und „Verschwörung“. Die Aufzeichnungen seien „nichts als unmoralische Montagen“. Am Mittwoch räumte er jedoch überraschend ein, dass die diese Woche veröffentlichten Telefonate mit seinem früheren Justizminister Sadullah Ergin und mit dem Industriellen Metin Kalkavan tatsächlich stattgefunden hätten.
Von seinem Minister hatte er verlangt, für ein hartes Gerichtsurteil gegen den regierungskritischen Medienunternehmer Aydin Dogan zu sorgen. Dogan, zu dessen Konzern Fernseh- und Radiosender, Zeitungen, Zeitschriften und Buchverlage gehören, war Steuerhinterziehung vorgeworfen worden, ein Gericht hatte ihn aber freigesprochen, worüber Erdogan sich empört zeigte.
Kalkavan, der auch Präsident der Kammer der Schiffswirtschaft ist, forderte er auf, gegen die Auftragsvergabe zum Bau von Kriegsschiffen an eine zum Koc-Konzern gehörende Werft zu protestieren. Aus dem Gespräch klang heraus, er werde dafür sorgen, dass der Auftrag neu vergeben werde – diesmal an Kalkavan. Erdogan sieht den Großindustriellen Mustafa Koc als seinen Gegner.
Flucht nach vorne
Erdogan sagte in Ankara während einer Pressekonferenz, er habe nur gehandelt, um den Staat vor Schaden zu bewahren. Dass Gespräche, die über besonders gesicherte Telefone geführt wurden, abgehört und veröffentlicht wurden, sei ein „noch nie dagewesener Skandal“. An dem Vorwurf, es handele sich um manipulierte Aufnahmen, hielt er fest: An manchen Stellen gebe es „Montagen“, sagte er. Diejenigen, die hinter den Aufnahmen und Veröffentlichungen steckten, seien „charakterschwach“, schimpfte er.
Im Wesentlichen räumte er aber ein, die Telefonate mit Ergin und Kalkavan geführt zu haben. Im Fall von Ergin, der im Zuge der Kabinettsumbildung wegen der Korruptions-affäre am 25. Dezember 2013 seinen Ministerposten verlor, sei es „natürlich“ gewesen, dass er angeordnet habe, einen Fall zu überprüfen. „Parallele Strukturen“ im Staat und „dreckige Beziehungen“ machten so etwas erforderlich. Damit meinte Erdogan das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen, mit dem er sich seit Monaten einen erbitterten Machtkampf liefert.
Auch dass eine bereits beschlossene Auftragsvergabe zum Bau von sechs Fregatten rückgängig gemacht und seinem Freund Kalkavan zugeschustert wurde, fand Erdogan rechtens. Durch die Neuvergabe habe er dem Staat „Hunderte Millionen Dollar“ erspart, und das sei doch seine Aufgabe als Regierungschef. Außerdem gebe es viele Aus-schreibungen in der Türkei, und da könne es vorkommen, dass jemand von der Bewerbung ausgeschlossen werde und sich daraufhin bei ihm, dem Premier, melde. Denen rate er immer, Einspruch einzulegen.
Es dürften weitere Telefonmitschnitte auftauchen
Am 30. März sind Kommunalwahlen, von denen eine Signalwirkung für die Präsidentschaftswahlen im August erwartet wird. Da möchte dann womöglich auch Erdogan antreten. In den kommenden Tagen dürften also weitere Telefonmitschnitte auftauchen, die Erdogan erklären muss.
Erdogan scheint sich aber sicher, dass die Menschen weiter hinter ihm stehen. Sollte seine Partei, die AKP, bei den Kommunalwahlen unter das Ergebnis von 2009 fallen (38,8 Prozent), sei er bereit, sich aus der Politik zu verabschieden, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Umfragen sehen die AKP aber weiter als stärkste Kraft.
Zu den Gesprächen mit seinem Sohn Bilal, in denen er ihm befiehlt, mehrere Millionen Dollar und Euro vor Korruptionsermittlern in Sicherheit zu bringen, und in denen er ihm sagt, er solle ein Geschäft ablehnen, weil nicht genug Geld fließe, sagte Erdogan nichts.
Inzwischen äußern sich auch Politiker aus seinem Umfeld kritisch über die Korruptions-affäre und verlangen Aufklärung vom Premier – wenn auch nicht öffentlich. „Wenn diese beiden Telefonate stattgefunden haben“, sagt einer, „warum sollten dann die anderen Gespräche nicht auch so geführt worden sein?“
Quellen: AP/SpiegelOnline vom 05.03.2014
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