Es war eine Beinahe-Katastrophe im Orbit: Der Raumanzug von Luca Parmitano lief bei einem Außeneinsatz mit Wasser voll, der Esa-Astronaut wäre fast ertrunken. Ein Untersuchungsbericht der Nasa zeigt, dass das Problem bekannt war, aber ignoriert wurde.
Wie es sich anfühlt, wenn das Schicksal zuschlägt, erfährt Luca Parmitano am 11. Mai 2005. Der Hauptmann der italienischen Luftwaffe rast in einem Kampfflugzeug des Typs AMX Ghibli über den Ärmelkanal, als ein Vogel in die Frontscheibe kracht und das Glas splittern lässt. Doch Testpilot Parmitano löst nicht etwa den Schleudersitz aus. Er bringt seine Maschine trotz eingeschränkter Sicht, fehlendem Funkkontakt und Höllenlärm sicher zum Stützpunkt zurück. Sein Lohn ist ein Orden des Staatspräsidenten.
(Foto: Luca Parmitano beim erstem Außeneinsatz (9. Juli 2013): Noch nie zuvor war ein Italiener im freien Weltraum geschwebt. Der Raumfahrer musste zusammen mit seinem Nasa-Kollegen Chris Cassidy Reparaturarbeiten durchführen und Materialproben in die Station zurückholen. Bei diesem Einsatz ging noch alles glatt)
Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass Parmitano mit an Kaltblütigkeit grenzender Selbstdisziplin sein Leben retten muss. Das zweite Mal kommt am 16. Juli 2013, der Italiener ist als europäischer Astronaut auf der Internationalen Raumstation zu Gast. Mit seinem US-Kollegen Chris Cassidy, einem ehemaligen Navy Seal, unternimmt er einen Außeneinsatz. EVA 23 heißt der Ausstieg im Nasa-Slang.
Es ist nach einem Einsatz eine Woche zuvor erst das zweite Mal, dass ein Italiener im freien All arbeitet. Plötzlich dringen nach und nach große Mengen Wasser in Parmitanos Helm, der Astronaut droht zu ertrinken. EVA 23 muss abgebrochen werden, Parmitano kann sich nur mit Mühe zurück in die Station kämpfen. Sein Lohn ist diesmal nichts Geringeres als sein Leben.
„Stellen sie sich vor, sie müssen mit geschlossenen Augen, den Kopf in einem Gold-fischglas, herumlaufen“, sagte Parmitano später. Anderthalb Liter Wasser im Helm hatten zum Beinahe-Unfall geführt, der bei der Nasa seither unter der Registriernummer 2013-199-00005 geführt wird. Im Kern geht es um die Frage, woher die enorm große Flüssigkeitsmenge kommen konnte.
Verstopfte Pumpe im Lebenserhaltungssystem
Ein fünfköpfiges Untersuchungsgremium hat den Vorfall nun aufgearbeitet. Die Gruppe unter Leitung von Chris Hansen, Chefingenieur für die ISS am Johnson Space Center in Houston, hat ihren rund 220 Seiten starken Bericht am Mittwoch vorgelegt. Wegen der US-Exportkontrollregeln sind allerdings viele Seiten mit technischen Details in der öffentlich zugänglichen Version geschwärzt.
Die Anzüge der Nasa für Außeneinsätze („Extravehicular Mobility Unit“) sind vor mehr als 30 Jahren entwickelt und seitdem nur leicht überarbeitet worden. Und doch, so zeigt der Bericht, gibt es bis heute Aspekte an ihnen, die nicht vollkommen verstanden sind. Bei Parmitanos Beinahe-Unglück hat offenbar eine verstopfte Pumpe aus dem Lebenser-haltungssystem im Rucksack des Anzugs EMU 3011 dafür gesorgt, dass Wasser in den Luftkreislauf eindringen konnte.
Doch woher die Aluminiumsilikatpartikel in der Pumpe genau stammten, kann die Nasa noch immer nicht sagen. Ingenieur Hansen behalf sich in einer Telefonkonferenz am Mittwochabend mit Allgemeinplätzen, sprach von einem „sehr komplizierten Problem“ und einem „sehr komplexen System“. Mike Sufferdini, Nasa-Verantwortlicher für die ISS, resümierte: „Man kann nichts als gegeben hinnehmen.“
(Parmitano (l.) und seine Kollegen nach dem fehlgeschlagenen Einsatz (am 16. Juli 2013): Durch beherztes Eingreifen der Raumfahrer kam es nicht zur Katastrophe. Parmitano hatte bereits bei einem Unfall mit einem Flugzeug gelernt, wie einem eiserne Selbstbeherrschung das Leben retten kann)
Problem als Lappalie abgetan
Klar ist nun aber auch: Vor allem Missmanagement bei der US-Weltraumbehörde brachte Parmitano in Lebensgefahr. Denn das Wasserproblem bei EMU 3011 war bereits beim ersten Einsatz des Italieners am 9. Juli 2013 aufgetreten. Es wurde als Lappalie abgetan, obwohl sich bereits damals ein halber bis ein Liter angesammelt hatten.
Als Ursache wurde – ohne große Untersuchung – eine defekte Trinkflasche vermutet. Statt einer umfassenden Fehlerdiagnose wurde das Teil einfach ausgetauscht, der Anzug getrocknet – und weiter ging’s. Eine Fehleinschätzung, die Parmitano beinahe das Leben gekostet hätte.
Wäre eingehender über den Wasservorfall diskutiert worden, hätte man ihn als gravierend erkannt, räumte Nasa-Manager Hansen ein. Diese Leichtfertigkeit bei der Fehleranalyse erinnert an die Katastrophen der Raumfähren „Challenger“ und „Columbia“, die ebenfalls durch vermeintliche Mini-Probleme ausgelöst wurden.
Das Unternehmen ILC Dover tüftelt im Auftrag der Nasa an einer neuen Generation von Raumanzügen, der sogenannten Z-Serie. Doch die soll frühestens 2017 auf der Internationalen Raumstation getestet werden. Bis dahin muss die US-Weltraumbehörde mit ihren existierenden Anzügen auskommen.
Die defekte Pumpe von EMU 3011 ist inzwischen ausgetauscht und für die Fehlersuche zur Erde gebracht worden. Zwei weitere Pumpen in anderen Anzügen sollen noch ge-wechselt werden. Bis die Hintergründe des Fehlers geklärt sind, gibt es keine Arbeits-einsätze für die Nasa-Astronauten im All – es sei denn, sie lassen sich partout nicht vermeiden. Ende Juli oder Anfang August, so schätzt man bei der Nasa, könnten die technischen Fragen geklärt sein.
Nach der Rückkehr in die Station war Parmitanos Leben übrigens noch ein weiteres Mal in Gefahr – das zeigt der aktuelle Untersuchungsbericht ebenfalls. Beim Trocknen des klatschnassen Anzugs aktivierte die Crew versehentlich die darin enthaltene Sauerstoff-Notration. Sie versorgt Raumfahrer im Krisenfall für 30 Minuten mit Frischluft. Doch ungewollt in der Station ausgelöst, ließ sie auch das Brandrisiko steigen.
Video:
Quellen: AP/dpa/Nasa/SpiegelOnline vom 27.02.2014
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Hat dies auf Oberhessische Nachrichten rebloggt.