„Ich erfand die Farbe der Vokale! … Ich bestimmte Form und Bewegung jedes Konsonanten und schmeichelte mir, mit den Rhythmen des Instinkts eine poetische Sprache zu erfinden, die eines Tages allen Sinnen verständlich sein sollte. Die Übersetzung hielt ich zurück … Ich schrieb das Schweigen, die Nächte, ich notierte das Unsagbare.“
Schriftsteller von Talent und Rang wechseln gelegentlich ihren Stil und die poetischen Themen, ihre politischen Ansichten, die Moral oder das Medium – oder bringen sich am Ende auch um. Aber daß ein bedeutender Dichter zu Lebzeiten und ohne zumindest von Alter, Blindheit oder Wahnsinn geschlagen zu sein, das Dichten einfach einstellt, ist eine Ungeheuerlichkeit. Und vollends skandalös, legt jener Attentäter am eigenen Werk von seiner jähen Unfähigkeit oder Unbilligkeit, auch fürderhin Literatur zu erfinden, nicht wie der Hofmannsthalsche Lord Chandos wenigstens noch eine längere (literarische) Rechenschaft ab.
Andererseits, als Rossini eines Tages der Kunst des Komponierens überdrüssiger war als der des Kochens, schuf solcher Wandel der Berufung selbst unter den unmusikalischen Liebhabern des Einfalls, einer Scheibe zart gebratener Tournedos auch etwas Trüffelleber und Tomate aufzulegen, dem Künstler noch ein zweites, bislang unsterbliches Angedenken…
Große Kunst, große Poesie ist immer die Ausnahme. Die Poesie Arthur Rimbauds aber ist die Ausnahme schlechthin und der Schriftsteller Rimbaud ein Kaspar Hauser der Literaturgeschichte. Denn obwohl man über sein Leben fast alles zu wissen glaubt, was man von einem fremden Leben gemeinhin zu glauben weiß, weiß niemand ganz gewiß, woher der Furor, der nur wenige Jahre durch Arthur Rimbauds Leben fegte, kam, wohin er spurlos gewichen: der Furor, auf dem Papier zu phantasieren, sehr früh, sehr schnell – und alles schon aus, ehe überhaupt so etwas wie ein Bildnis des Dichters als junger Mann entworfen war. Im Alter von Neunzehn, offenbar in den ersten Monaten des Jahres 1874, faßte Rimbaud den Entschluß, keine Gedichte und keine poetische Prosa mehr zu schreiben. Bis dahin war er ein „Kind mit unversehrtem, bösartigem Herzen, mit einer tyrannischen Unschuld“ (Jacques Rivière).
Der in der ardennischen Kleinstadt Charleville geborene Rimbaud war der Junge mit den „blauen Augen und den Apfelbäckchen, mit der plumpen Figur und den großen Händen und Füßen eines Bauerntölpels, mit der brüchigen Stimme des Heranwachsenden und dem nordfranzösischen Provinzakzent“ (Edmund Wilson).
Eine Ungeheuerlichkeit schon, daß ein Junge zwischen Sechzehn und Neunzehn neben Poe und Baudelaire, Verlaine und Mallarmé zum Revolutionär der modernen Poesie werden konnte; die größere Ungeheuerlichkeit für Literaten und Leser ist aber die Tatsache, daß dieser Rimbaud das Ende seiner sensationellen und explosiv kurzen Dichterexistenz um achtzehn Jahre überlebte, seine Poesie bald verfluchte, verbrannte, vielleicht vergaß und sich überhaupt einen Teufel um die Literatur oder klassische Kultur scherte.
So verführte Stefan Zweig die staunende Bewunderung im Vorwort zur ersten bedeuten-deren deutschen Rimbaud-Übersetzung, 1907 durch K. L. Ammer, zu einem quasi-erotischen Bild: „Beispiellos aber und einzig ist die Verachtung eines solchen Künstlers für die Kunst; daß er sich ihr nicht hingab, sondern sie an sich riß, vergewaltigte und dann… wegwarf und nie mehr anrührte.“
Mögen manche Ausbrüche auf dem Papier und aus der einschnürenden Wirklichkeit eines katholisch strengen Mutterhauses (der Vater, ein Armeeoffizier, hatte sich früh aus dem Staube gemacht), aus dem Muff der provinziellen Stadt und ihrer Schule von Rimbaud auch effektvoll inszeniert gewesen sein – seine Selbstauslöschung als Künstler, der sich seines Genies sehr wohl bewußt war, geschah so unbeirrbar selbstverständlich, wie sich der Gang der Natur vollzieht oder die Prosa Kafkas.
Ein Frühvollendeter zu Lebzeiten, und dabei viel jünger und geheimnisvoller als Keats, als Büchner, Heym oder, von den näher Entrückten, James Dean, Jimmi Hendrix, Jim Morisson.
Ein Faszinosum ist Rimbaud geblieben – und ein Idol. Für Claudel der „Mystiker im Stande des Wilden“, den Surrealisten (zunächst) ein Vorbild, für Henry Miller der durch sein „Schweigen“ uns noch Verzaubernde; und die amerikanische Rock-Sängerin Patti Smith weiß mittlerweile sogar das: „Rimbaud was a rolling stone.“
Es wirkte immer, als habe sich ein Schatten von seinem Körper, ein Körper von seinem Schatten vollkommen gelöst, als habe sich auf einmal die Person Rimbauds geisterhaft geteilt.
„Der Dichter macht sich sehend durch eine lange immense und überlegte Zügellosigkeit aller Sinne. Alle Formen der Liebe, des Leidens, des Wahns; er forscht selbst, er schöpft in sich alle Gifte aus, um nur die Quintessenzen zu bewahren“, schreibt der kaum 17-jährige Arthur Rimbaud in einem seiner als „Seher“-Briefe bekannt gewordenen Apologien der Literatur.
Am Höhepunkt der Commune de Paris (28. März 1871 bis zur „semaine sanglante Ende Mai 1871, bei der 20.000 starben) will dieser junge Dichter „(…) ein Arbeiter sein: Diese Idee hält mich zurück, wenn die wahnsinnige Wut mich hin zur Schlacht um Paris drängt – wo doch so viele Arbeiter gerade sterben, während ich Ihnen schreibe! Jetzt arbeiten? Niemals, niemals; ich streike.“, so im Brief aus Charleville an Georges Izambard, datiert mit 13. Mai.
„Es ist falsch zu sagen: ich denke: man müsste sage Man denkt mich.“ und darauf folgt dann auch der wohl berühmteste Satz Rimbauds: „Ich ist ein anderer.“
Jean Nicolas Arthur Rimbaud (* 20. Oktober 1854 in Charleville; † 10. November 1891 in Marseille) war ein französischer Dichter. Heute gilt er als einer der Großen der französischen Lyrik und Wegbereiter einer neuen Dichtung.
Gedichte:
Das Böse
Angesichts der roten Pfützen, die der Kugelhagel spritzt,
Der tagelang ins unbegrenzte Blau des Himmels knallt;
In Scharlach oder Grün, anbei ein König witzelt,
Stürzen Bataillone massenhaft in Feuerwalzen;
Angesichts der Grausamkeit, die 100.000 Menschen
Zu qualmenden Haufen zermalmt mit aller Kraft;
Im Sommer, im Winter, – Gefallene! – in dir, Natur, du Schöne,
O du, die diese Menschen als Heilige erschaffen! … –
Ist da etwa ein Gott, der über Altartücher lacht,
Über Damast und Weihrauch und große goldne Schälchen;
Der bei dem Geschunkel der Hosiannas schnarcht,
Und der erwacht, wenn Mütter angsterfüllt sich quälen,
Weinend unter ihren alten schwarzen Häubchen,
Wenn sie ihm, sich schneuzend, ein großes Soustück reichen!
Ausbruch der Sinne
In sommerlicher Abendstunde geh ich meinen Weg;
Zerstochen von Grannen, zertret ich das Gras:
Mein Bein spürt die Kälte, von Träumen bewegt,
Lass ich den Wind mein bloßes Haupt baden.
Ich halte den Mund, denn mein Kopf ist so leer:
Doch ewige Liebe beseelt meine Spur;
Und wie ein Zigeuner, der sich verzehrt
Nach Frauen, durchstreif ich voll Glück die Natur.
Lied vom höchsten Turm
Herbei, herbei,
Komm, Zeit der Liebe, sei.
So viel ich ertragen,
Ich hab es verwunden.
Schmerz und Verzagen
Sind zu den Himmeln verschwunden.
Und der zehrende Durst
Verfinstert mein Blut.
Herbei, herbei,
Komm, Zeit der Liebe, sei.
Gleich der Prärie
So vergessen auch,
Gewachsen, durchblüht,
Von Unkraut und Weihrauch,
Umschwirrt von wilden
Scheußlichen Fliegen.
Herbei, herbei,
Komm, Zeit der Liebe, sei.
Video: Arthur Rimbaud Documentary
Slide show of images from the life and travels of poet Arthur Rimbaud. Images of 19th century Charleville, Paris, the Commune, France, London, Belgium and many photographs of Aden and Harar taken by Rimbaud himself. Infamous manuscripts in Rimbaud’s handwriting; biographical drawings by Delahaye and friends. Poetry read by Joan Baez has been grafted onto music to help create an impression of the places, faces and scenes which Rimbaud knew and would recognize.
Quellen: PRAVDA TV/Wikipedia/versalia.de/zeit.de vom 22.02.2014
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Hat dies auf Oberhessische Nachrichten rebloggt.