Kriegsschiffe dringen überraschend bis dicht vor die Küste Schottlands vor. Ein britischer Zerstörer muss aus Südengland mehr als 1000 Kilometer weit heranlaufen, um sie zu stellen. Schottische Nationalisten sind empört.
„Rule Britannia! Britannia rule the waves!“ heißt es in einem englischen Lied aus dem 18. Jahrhundert, das bis heute wohl die inoffizielle Nationalhymne des Vereinigten Königreichs der Engländer, Schotten, Nordiren und Waliser ist.
(Foto: Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ vor Schottland (Videoausschnitt))
Die mächtige Royal Navy von einst ist allerdings nur noch ein Schatten ihrer selbst – das zeigte sich auch an einem Vorfall, der sich eigentlich bereits kurz vor Weihnachten zuge-tragen hat, erst jetzt aber so richtig bekannt wird: Demnach drangen russische Kriegs-schiffe überraschend in den Moray Firth ein, den charakteristischen großen Meeresarm im Norden Schottlands.
Da aber weit und breit kein britisches Kriegs- oder Küstenwachschiff bereitlag, um sie zu stellen, musste ein Zerstörer der Royal Navy erst rund 1100 Kilometer weit aus dem fernen Kriegshafen von Portsmouth in Südengland heranlaufen. Samt Alarmierung und Vorbereitung zum Auslaufen soll er dafür mehr als 24 Stunden gebraucht haben (siehe Grafik).
(Anmarschroute der HMS „Defender“)
Das britische Verteidigungsministerium schweigt sich zu dem Vorfall „unter Rücksicht-nahme auf operative Erfordernisse“ aus. Übereinstimmenden Medienberichten und Blogs zufolge dürfte er sich jedenfalls zwischen 20. und 23. Dezember zugetragen haben. Demnach tauchte mindestens ein russisches Kriegsschiff vor Nordschottland auf – die Rede ist freilich von einer ganzen „Task Force“, die in der Nordsee zu Manövern gewesen sei, was auch von russischen Medien bestätigt wird.
Das oder die Schiffe kamen der Küste demnach auf weniger als 55 Kilometer nahe – das ist zwar deutlich außerhalb der britischen Territorialgewässer, aber jedenfalls klar innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone des Königreichs und so nahe, dass sich Militärs, Küstenwächter und Geheimdienste auch anderswo in der Regel Sorgen machen würden.
Kreuzer oder Flugzeugträger
Um was für ein Schiff es sich genau gehandelt hatte, ist indes nicht hundertprozentig bekannt: Teils ist von einem Kreuzer die Rede, dessen Name nicht genannt wird, es könnte aber auch der Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ gewesen sein – der hielt sich russischen Berichten und einem Video zufolge (siehe Link am Ende der Geschichte und Foto unten) jedenfalls ganz sicher um den Jahreswechsel herum in internationalen Gewässern vor Schottland auf und nahm dann Kurs auf das östliche Mittelmeer, vermutlich Syrien. Er hat zur Zeit in der Regel etwa 20 Kampfflugzeuge und 15 Hubschrauber an Bord.
Auf dem Video des russischen Militär-Magazins „Swesda“ (Stern) ist bald nach Beginn (ab Sekunde 40) auch kurz in der Distanz ein britisches Kriegssschiff zu sehen, das die Russen beschattet (siehe Standbild unten aus dem russischen Video). Dabei handelt es sich um die HMS „Defender“, eine Fregatte der supermodernen Typ-45-Klasse (Daring-Klasse) – dieses Schiff musste allerdings, wie gesagt, erst aus Portsmouth mehr als 1100 Kilometer weit herandampfen: Es war zu dem Zeitpunkt so ziemlich das einzige einsatz-bereite Kriegsschiff der Royal Navy in britischen Gewässern, und näher vor Ort in schottischen Gewässern lagen überhaupt keine Überwassereinheiten.
(Die „Defender“ aus der Distanz gefilmt)
Der Zerstörer unter dem Kommando von Commander Philip Nash (siehe weiteres Foto unten) ist überdies, wie die ganze Daring-Klasse, in erster Linie zur Flugzeugbekämpfung konstruiert und dazu vor allem mit dem „Sea Viper“-Raketensystem bestückt. Von den bisher sechs Schiffen der Daring-Klasse (Verdrängung 8000 Tonnen, Besatzung rund 200 Mann) sind aber nur die ersten vier bisher auch mit Anti-Schiff-Raketen ausgerüstet; die Defender ist die fünfte der Klasse und hätte im Ernstfall wohl nur ihre einzelne 114-Millimeter-Kanone zum Einsatz bringen können, was zumindest in diesem Fall aber für Schüsse vor den Bug genügt haben würde. Jedenfalls drehten die Russen nach einigem Funkverkehr und viel hin und her wieder ab.
Test der britischen Reaktionszeit
Aus Militärquellen hieß es, dass die Russen sicher mit Absicht gehandelt hätten, und wohl mit dem Zweck, die britische Reaktion – vor allem Reaktionszeit – zu testen. Jonathan Eyal, Mitarbeiter des militärischen Think-Tanks „Royal United Services Institute“, meint gar, dass Moskau die Absicht gehabt habe, London einzuschüchtern. „Die russische Flotte, die an Stärke zulegt, dehnt ihre Einflusssphäre aus und wollte Präsenz zeigen. Die Russen haben damit gesagt: ,Wir sind in der Nordsee wieder im Geschäft, und wir sind stark!´“ Die Annäherung sei kalkuliert gewesen und Teil eines Musters: „Im Vorjahr flogen Kampfflugzeuge auf Schweden zu und drehten erst ab, als die Schweden Jäger gestartet hatten.“
Nun, bei letzterem allerdings lag der kluge Think-Tank-Analyst nicht ganz so richtig: Es stimmt, dass in der Nacht vom 28. auf 29. März zwei strategische Tu-22 „Backfire“-Bomber in Begleitung von vier Su-27 „Flanker“-Jagdbombern einen Angriff auf Stockholm und Ziele in Südschweden simuliert hatten – allerdings war Schwedens Luftwaffe aus nie wirklich dargelegten Gründen überrumpelt und brachte keinen einzigen Jäger hoch. Stattdessen starteten zwei dänische F-16-Jets, die als Teil einer permanenten NATO-„Luftpolizei“ für das Baltikum in Litauen stationiert waren, schlossen in die Nähe der Russen auf und beschatteten diese auf ihrem Rückflug.
(HMS Defender vor Glasgow, Juli 2012)
Wie dem auch sei: Schon im Dezember 2011 hatte es im Moray Firth einen ähnlichen Vorfall wie jetzt gegeben – ebenfalls mit Teilnahme des erwähnten russischen 65.000-Tonnen-Trägers: Damals waren er sowie ein Kreuzer und eine Fregatte in das Gewässer gefahren und ebenfalls von einem Typ-45-Zerstörer gestellt worden, der – erraten – in Portsmouth abgelegt hatte. Als Erklärung hieß es seitens der Russen, man habe sich vor besonders schlechtem Wetter in geschütztere Gewässer geflüchtet.
Mit heruntergelassener Hose
Tatsächlich war das britische Militär, das seit Jahren wie viele andere unter enormem Spardruck steht, in beiden Fällen mit heruntergelassener Hose erwischt worden, wie man so schön sagt: Nicht nur, dass die Royal Navy, von U-Booten abgesehen, in Schottland nur noch selten hochseefähige Einheiten hat, sind nämlich auch die großen „Nimrod“-Seeüberwachungsflugzeuge seit 2011 ausgemustert worden, sodass Britanniens Marine aus der Luft und über große Distanz ziemlich blind ist.
Die Annäherung der Russen sei erst von Fischern gemeldet worden, heißt es. Danach seien zumindest Flugzeuge der Royal Air Force in der Region aufgetaucht und hätten die Überwachung übernommen. Wer aber die Verhältnisse innerhalb des britischen Militärs kennt – und vor allem die enorme historische Rivalität zwischen Marine und Luftwaffe – weiß, dass das für die Royal Navy eine gewaltige Blamage bedeuten muss, die diese aber immerhin der Politik zuschreiben kann: Schließlich hat die Royal Navy ja auch seit einigen Jahren nicht einmal mehr ihre altbewährten „Harrier“-Kampfflugzeuge für ihre Träger – die Flieger sind auch dem Rotstift zum Opfer gefallen
Die Royal Navy verfügt heute an größeren Schiffen nur noch über 19 Fregatten und Zerstörer, vier amphibische Angriffsschiffe bzw. Träger (ohne Flugzeuge) und elf U-Boote (davon vier strategische mit Atomwaffen), also gesamt 34 Einheiten. 1985 waren es noch vier richtige Träger, zwei amphibische Angriffsschiffe, 56 Fregatten und Zerstörer und 33 U-Boote gewesen, also 95 Großkampfschiffe – und auch das war nur ein Resthauch jener Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gewesen, als die Briten die mächtigste Flotte der Welt hatten (Foto unten: die britische „Grand Fleet“, der in der Heimat stationierte Kern der Royal Navy, im Sommer 1914 bei einer Parade).
Im September 1939 umfasste sie 332 Großkampfschiffe (u. a. 15 Schlachtschiffe, 66 Kreuzer, 60 U-Boote), bis 1945 wurden gar weitere 553 (!) Großschiffe gebaut oder (meist von den USA) erworben, dennoch war die US-Marine damals schon größer.
(Die britische „Grand Fleet“ 1914)
Im globalen Flottenvergleich liegt die Royal Navy heute auf Platz fünf hinter den USA, China, Russland und Japan, aber noch vor Indien und Frankreich. Die USA sind mit ihren etwa 214 Großschiffen (davon zehn große Flugzeugträger) uneinholbar an der Spitze. Russland hat zwar immerhin auch noch etwa 146 große Einheiten (davon ein Träger), wovon man allerdings durchaus 74 Korvetten abziehen kann – das sind eher kleine Schiffe für Küstenverteidigung und kürzere Einsatzdistanzen, die man nicht unbedingt als Groß-kampfschiffe zählen muss. Russland baut seine Flotte kräftig aus, unter anderem mit vorerst zwei kleinen Flugzeugträgern französischen Typs und vielen neuen Fregatten und U-Booten.
Unabhängiges Schottland will aufrüsten
Die jetzige Affäre vor Schottland hat unterdessen auch Auswirkungen auf die Politik: In Schottland, wo heuer ein Referendum über den Ausstieg aus dem Königreich stattfinden wird, ist die Nationalpartei empört darüber, dass man von der Flotte nicht mehr be-schützt werde. Angus Robertson, verteidigungspolitischer Sprecher der Nationalpartei, sagte: „Wir heißen Freunde aus Russland und anderswo willkommen, aber es ist nicht hinnehmbar, dass es bei uns keine konventionellen Schiffe oder Flugzeuge für grund-legende Eskort- und Überwachungsaufgaben mehr gibt. Das Königreich nimmt den Norden nicht mehr ernst.“
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=rUC2zOAp6pU
Quellen: dailymail.co.uk/Swesda/diepresse.com vom 08.01.2014
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Hat dies auf Haunebu7's Blog rebloggt.