Dortmunds größtes Geheimnis liegt tief unter der City: eine gigantische Luftschutzanlage für zigtausend Menschen. Wer sich näher mit der Anlage befassen will, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Wir sprachen mit Zeitzeugen, die vor den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs Zuflucht in der Anlage fanden.
(Foto: Der Bunker bei einer Begehung im Jahr 1958 – schon damals eine Tropfsteinhöhle)
Kaum eine andere deutsche Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg so von alliierten Bomben-angriffen heimgesucht wie der Kohle-, Stahl- und Logistikstandort Dortmund. Die Royal Air Force flog allein zwischen Mai 1943 und März 1945 insgesamt 105 Angriffe auf die Stadt. Offiziell kamen dabei 6341 Menschen ums Leben. Am 12. März 1945 warfen rund 1000 Flugzeuge binnen 50 Minuten eine Bombenlast von 4851 Tonnen über Dortmund ab — der größte Bombenangriff des gesamten Kriegs.
Die Nazis wussten um die Bedeutung Dortmunds als mögliches Ziel von Bombardements und trieben den Bau einer riesigen Anlage unter der City voran. Zeitzeugen berichten, bereits in den 1930er Jahren sei unter der Innenstadt gegraben worden — angeblich getarnt als U-Bahn-Bau. Mit dem großangelegten Bau von Luftschutzeinrichtungen begann die zuständige „Organisation Todt“, eine militärisch strukturierte Bautruppe, benannt nach ihrem Führer Fritz Todt, jedoch erst in den 1940er Jahren.
Wahrscheinlich aber wurden die Arbeiten erst im Jahr 1942 begonnen. Das geht zumindest aus einem Gedächtnisprotokoll hervor, das im Auftrag der Stadt Dortmund am 1. August 1966 verfasst worden war. Zuvor waren in Dortmund schon andere Luft-schutzanlagen errichtet worden, etwa der nach dem Krieg als Hotel genutzte Bunker vor der Westfalenhalle, mit dessen Bau bereits im Jahr 1938 begonnen wurde.
Aus dem Papier vom 1. August 1966 geht hervor, dass die zuständige Organisation Todt für den Bau „Kriegsgefangene, Fremdarbeiter und später auch sogenannte Instand-setzungstrupps der örtlichen Luftschutzleitung“ heranzog. Die technische Leitung oblag laut Papier der Tiefbau- und Bohrfirma Deilmann in Dortmund-Kurl. Die Stadtver-waltung um Oberbürgermeister Banike sei lediglich Erfüllungsgehilfin gewesen und habe keinen Einfluss auf den Bau der Anlage gehabt. Der zuständige Luftschutzleiter habe unbegrenzt Zugriff auf Reichsmittel gehabt, um die Arbeiten zu finanzieren.
Arbeiter wurden in einem Lager untergebracht
In einem Aktenvermerk vom 2. August 1943 wird festgehalten, dass „ab sofort“ sämtliche Luftschutzbauarbeiten in Dortmund der Organisation Todt unterstellt werden. Aus-ländische Arbeiter sollten „im Verhältnis 10 Ausländer auf einen Deutschen“ eingesetzt und in Lagern untergebracht werden. Die deutschen Arbeiter sollten dabei helfen, die ausländischen Kräfte im Lager zu überwachen, da sich das Lager jedoch in unmittelbarer Nähe der Baustelle im Westpark befand, wurde auf eine verpflichtende Unterbringung der Deutschen verzichtet.
80.000 bis 100.000 Menschen sollten in den gigantischen Katakomben Zuflucht finden. 19 Eingänge standen der Bevölkerung zur Verfügung, um bei Alarm in die Unterwelt zu fliehen. Der Haupteingang befand sich gegenüber des Hauptbahnhofs, an der Katharinen-treppe. Auch die inzwischen abgerissenen alten Pavillons vor der Petrikirche standen auf einem Bunkereingang. Als sie abgerissen wurden, kam für kurze Zeit eine Treppe, die in den Untergrund führte, ans Tageslicht. Inzwischen ist dieser Eingang jedoch wieder fest verschlossen.
Ab und zu treten bei Bauarbeiten Bunkereingänge ans Licht
Auch bei der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes tat sich plötzlich ein Loch auf und gewährte Neugierigen einen Blick in Dortmunds unterirdische Vergangenheit. Doch auch dieses Loch ist längst gestopft. Ein weißer Kamin mit Lüftungsschlitzen, ungefähr vor der Bahnhofsbuchhandlung und unter der Treppe, die zu den Regionalzügen führt, steht jetzt auf dem Loch und sorgt für die nötige Be- und Entlüftung der Anlage.
Der Historiker Michael Foedrowitz ist einer der wenigen Menschen, die die Anlage nach dem Krieg besichtigen konnten. Ende der 90er Jahre drehte er dort eine Dokumentation mit dem Titel „Bunkerwelten“. Er spricht von zwei nicht miteinander verbunden Systemen unter der Stadt. „Das ist die größte Anlage dieser Art in Europa“, ist sich der Bunker-Experte sicher.
Dr. Andreas Immenkamp, Oberkustos des LWL-Industriemuseums „Zeche Zollern“, fügt sogar hinzu: „Außerhalb Europas wird es keine vergleichbare Anlage geben, da nie der Bedarf bestand, eine zu bauen.“ Ergo sei das Labyrinth unter der Stadt die weltweit größte zivile Luftschutzanlage.
Die Ausmaße sind in der Tat gigantisch. 4,8 Kilometer lang sind die Gänge und erstrecken sich verwinkelt und mit zahlreichen Nebentunneln in einer Tiefe von 3,50 Metern bis 17 Metern vom Westpark bis zum Probsteihof. „Einige der Räume sind Hallen“, erklärt Foedrowitz. Diese sollten zweigeschossig ausgebaut werden, um noch mehr Menschen aufnehmen zu können.
(Bild: Der Verlauf des Tiefstollens unter Dortmund)
Arbeiten am Tiefstollen endeten mit Kriegsende
Daraus wurde jedoch nichts, die Arbeiten an den Tunneln stoppten mit Kriegsende. Im Bereich des ehemaligen Körnerplatzes, das heutige Westentor, befindet sich eine solche unterirdische Halle. Dort in der Nähe liegt auch noch der einzige von außen einsehbare und erkennbare Eingang.
Der Ausbau der Tunnelabschnitte ist unterschiedlich weit fortgeschritten. „Für den Bau wurden ab 1943 Zwangsarbeiter herangezogen“, erklärt Foedrowitz. Bei Fliegeralarm hätten die Bautrupps die Anlage verlassen müssen, bevor die Zivilbevölkerung in den Bunker strömte. Gearbeitet wurde bis Kriegsende. Augenzeugen, die wissen, wie es heute in dem Labyrinth aussieht, berichten, die jüngeren Stollen seien lediglich grob in den Fels geschlagen, während andere Teile des Gangsystems sauber mit betonierten Wänden ausgebaut seien.
Hier gibt es den restlichen Text – Link
Video: Bunkerwelten
http://www.youtube.com/watch?v=mS4qm0KM5yI
Quellen: Stadtarchiv Dortmund/derwesten.de vom 05.11.2013
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