Über die Globalisierung des Unfugs: „Homöopathen ohne Grenzen“.
Ja, auch Afrika, der geschundene Kontinent, kann endlich aufatmen – nachhaltige Hilfe ist unterwegs.
Nachdem sich nun Generationen von klugen Leuten an den Gesundheitsproblemen der „3. Welt“ versucht haben kommen seit einiger Zeit die wirklichen Profis zum Zug: die „Homöopathen ohne Grenzen“.
Wenn es in unserer Gesellschaft für alles ein Geschäftsmodell gibt, dann auch für das Helfen und Heilen. Beredtes Zeugnis dafür legt die Geschichte der „Ärzte ohne Grenzen“ ab, die seit 1971 auf ihre Art helfen und heilen. Wie bei allen Organisationen dieser Art haben sich mit der Zeit unschöne Flecken auf der weißen Weste der Hilfsbereitschaft ergeben (vgl. Skandalöse Schönheitsfehler), bis hin zu der Frage, ob eine medizinische Nothilfe Sinn macht, die ihre Voraussetzungen so wenig reflektiert.
Aber dass das Geschäftsmodell der Ärzte ohne Grenzen erfolgreich ist, kann kaum bestritten werden, und wo ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist, da gibt es Nachahmer. Deswegen haben sich auch die Homöopathen zusammengefunden, um grenzenlose Hilfe zu leisten – das fortdauernde Elend in der Welt bietet ihnen einen willkommen Anlass dazu. Die Entertainerin Anke Engelke hat schon vor Jahren das Treiben der „Homöopathen ohne Grenzen“ satirisch aufgespießt.
Aber da Homöopathen und ihre Fans nicht nur beratungs-, sondern auch satireresistent sind, treiben sie weiter auch dort ihr Unwesen, wo ihre Unmedizin auf keinen Fall hin-gehört: in den Dauer-Krisenregionen dieser Welt, die nichts weniger gebrauchen können als noch eine Form von Scharlatanerie.
Das miasmatische Konzept
Die Unverschämtheit, die hier zutage tritt, geht so weit, dass die hemmungslosen Homö-opathen suggerieren, auch schwere Krankheiten wie AIDS erfolgreich behandeln zu können. Zwar wird zugegeben, dass ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis für die homöopathische Quacksalberei im Falle von HIV-Infektionen fehlt, gleichzeitig macht man aber weiterhin Propaganda für die Umtriebe von Jeremy Sherr, der „entsprechend Hahnemanns Vorgehensweise bei der Entwicklung des miasmatischen Konzeptes“ davon schwafelt, dass die „AIDS-Erkrankung ein eigenständiges Miasma“ darstelle – also eben nicht die Folge einer Infektion mit dem HIV-Virus.
Bei dem besagten „miasmatischen Konzept“ handelt es sich um eine krude Vermischung antiker Vorstellungen mit privaten Phantastereien, die auf Samuel Hahnemann, den Begründer der Homöopathie selbst zurückgehen. Sie stammen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und hat noch jede Auseinandersetzung mit der Mikrobiologie verloren, aber das stört die Anhänger der Homöopathie nicht im mindesten.
Sie verfassen lieber „Ethikrichtlinien“, in denen sie kodifizieren, was passiert, wenn ihre eigene Kurpfuscherei versagt hat – man schiebt nämlich die Patienten, die so dumm waren, auf die Kurpfuscherei nicht anzusprechen, an die wirkliche Medizin ab.
HOG-Mitglieder halten sich an die Gesetze, die im Land gültig sind, vor allem was Infektionskrankheiten betrifft. Über allem steht aber die Sorgfaltspflicht, notfalls muss ein/e PatientIn in eine Klinik oder an die Schulmedizin überwiesen werden, wenn die Schwere der Erkrankung es erfordert und durch Homöopathie allein keine Hilfe zu erwarten ist oder die Kenntnisse des Behandlers nicht ausreichen.
Das zynisch-parasitäre Verhältnis zur echten Medizin tritt jedoch am deutlichsten in der Begründung dafür zutage, warum man die antiretrovirale Therapie gegen AIDS (die mit den eigenen Spinnereien zu „Miasmen“ inkompatibel ist) wirklich unterstützt:
Unsere aktive Unterstützung für die antivirale Therapie zur Eindämmung der HIV-Pandemie hilft bei der Erschließung von Bevölkerungsgruppen, die schulmedizinischer Therapie aus traditionellen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen skeptisch gegenüberstehen.
Mit anderen Worten: Die Homöopathen ohne Grenzen scheuen sich nicht, die Erfolge echter Mediziner als Türöffner bei „Bevölkerungsgruppen“ zu benutzen, denen die tatsächliche Medizin zwar hilft, die aber immer noch an Voodoo glauben.
Zuschlagen bei Schwäche
Bezeichnenderweise werden die Vertreter dieser „sanften“ Abart der Pseudomedizin gerne einmal sehr ruppig, wenn ihren Aktivitäten Widerstand entgegengesetzt wird. So berichtet Martina Lenzen-Schulte in ihrem Artikel „Alternativheiler für die Krisen-gebiete?“, dass ein Artikel von David Martin Shaw (Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel) im British Medical Journal über Machenschaften von Homöopathen in Krisengebieten höchst aufgebrachte Kommentare hervorrief, bis zu der debil-aggressiven Forderung, das „British Medical Journal“ solle „erschossen werden“.
Shaw bezog seine Kritik nicht hauptsächlich auf die deutschen „Homöopathen ohne Grenzen“, sondern auf die Namensvettern aus den USA, die „Homeopaths Without Borders“, die denselben Unfug betreiben wie die HOG, nur womöglich noch aggressiver und in anderen Ländern, nämlich Haiti, Guatemala, der Dominikanischen Republik, Sri Lanka und El Salvador. Zu der Strategie der amerikanischen Gesinnungsgenossen der HOG hatte Shaw in seiner Kritik anzumerken:
Ähnlich wie eine opportunistische Infektion, die ihre Chance bekommt, wenn das Immunsystem eines Menschen geschwächt ist, schlagen die „Homepaths Without Borders“ zu, wenn ein Land durch eine Katastrophe geschwächt ist.
Zunehmender Skeptizismus zuhause – globale Märkte gewinnen
Im Licht der opportunistischen „Bekenntnisse“ der deutschen „Homöopathen ohne Grenzen“ zur antiretroviralen Therapie bei AIDS, die sie eigentlich ablehnen müssten, kann man Shaw trotz des biologistischen Vergleichs zwischen einem menschlichen Körper und einer politischen Nation nur zustimmen. Und genauso kann man Martina Lenzen-Schulte recht geben, wenn sie hinter den Manövern der homöopathischen Quacksalber in der 3. Welt starke ökonomische Motive ausmacht:
Der zunehmende Skeptizismus auf der Insel [d.h. in Großbritannien] hat erst in jüngster Zeit wieder Folgen gezeitigt: Die zweitgrößte schottische Abteilung des NHS (Lothian) finanziert in Zukunft keine homöopathischen Therapien mehr – sie beruft sich bei ihrer Entscheidung ausdrücklich darauf, dass 72 Prozent der Bevölkerung der Region dies begrüßen („The Scotsman“ vom 27. Juni 2013). Das macht verständlich, warum auch in der Homöopathie globale Märkte an Attraktion gewinnen.
Dass sowohl die deutschen als auch die amerikanischen grenzbefreiten Homöopathen ohne Scham Spendengelder für ihren globalen Firlefanz verschleudern, die sie zum Beispiel über ihre Homepages einweben, ist dann in all seiner Konsequenz nur noch das Sahnehäubchen auf dieser ganzen traurigen Geschichte.
Man kann sich gerne fragen – wie es dieser Tage öfters geschieht – ob „unsere Enkel“ vielleicht dereinst wissen wollen, was wir eigentlich unternommen haben, als die Flüchtlinge massenhaft im Mittelmeer ertranken.
Möglicherweise wollen diese Enkel aber auch wissen, wie wir es zulassen konnten, dass die armen Länder nicht nur an Hunger und Krankheit litten, sondern zusätzlich von den unverfrorensten Scharlatanen ausgebeutet wurden, die die „entwickelte Welt“ zu bieten hat.
Quelle: heise.de vom 27.11.2013
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